"Auch ein Künstler darf nicht lügen"

■ Der Kunstwissenschaftler Gunnar Gerlach über sein Konzept für die Ausstellung Medienwelt und Kunstmedien

INTERVIEW

»Auch ein Künstler darf nicht lügen« Der Kunstwissenschaftler

Gunnar Gerlach über sein Konzept für die Ausstellung Medienwelt und Kunstmedien

„Medienwelt und Kunstmedien“ ist die Ausstellung überschrieben, die am kommenden Wochenende vom Hamburger Berufsverband Bildender Künstler in der Kampnagel-Halle 3 eröffnet wird. Sie zeigt Beiträge von 20 Künstlerinnen und Künstlern aus Hamburg und Köln, Wien und Hannover, New York und London. Auch diese Präsentation steht im Zeichen des „Mediale“-Festivals. Keine Anti-Austellung, wohl aber eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kunst und Medien hat der Hamburger Kunstwissenschaftler Gunnar Gerlach, verantwortlich für Konzept und Realisierung dieser Ausstellung, im Sinn.

Gunnar Gerlach, der unter anderem im ehemaligen Kunsthaus und Kunstverein vor zwei Jahren die Ausstellung zum „Golfkrieg“ initiierte, nahm die Gelegenheit wahr, sich zu seiner aktuellen Arbeit im folgenden dezidiert zu äußern.

Was für ein Ausstellungskonzept hast du dir zurechtgelegt?

Grundlage des Konzeptes bildet das analytische Eingehen auf den Begriff Mediale selber, abgeleitet von „Medium“ als die Mitte, das Vermittelnde. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob Mediale alleine schon in dem Begriff Technik, also 'Neue Medien' aufgeht. Das glaube ich nicht. Interessant ist, auf welche Medien sich Künstler beziehen. Da ist zunächst einmal alles gültig, vom Blatt Papier bis zum High-Tech-Gerät. Entscheidend ist, ob ein Stoff Leitfähigkeit besitzt, so wie Fett und Filz, Kupfer und Korn.

Die an der Ausstellung beteiligten Künstler äußern sich entsprechend auch in allen Medien, von der Zeichnung, Fotografie, Installation, Performance bis zu Computerspielen. Was sie eint, ist ihr Umgang mit dem Medium Kunst selber, indem sie in ihre Arbeit immer die Fragestellung einbeziehen: wo beginnt der verantwortungslose und wo der verantwortungsvolle Umgang mit Medien.

Als Ausstellungsmacher setzt du also, nicht zum ersten Mal, auch auf die persönliche Integrität der Künstler?

Die Integrität der Künstler in ihrer politischen und sozialen Reflexion ist sehr wichtig. Nach Tschernobyl und nach dem Golfkrieg muß sich die Vorstellung von Wahrnehmung grundlegend geändert haben, weil wir das, was wir sehen, weder wissen können noch glauben dürfen.

Aber wo beginnt denn die moralische Verantwortung, wenn man sich auf nichts verlassen kann?

Der Ansatz könnte sein, daß die Künstler wieder Aufklärer werden. Sie sollten uns deutend erklären, was als Bild noch glaubwürdig ist, wo es noch legitime, authentische Informationen liefert.

In diesem Kontext muß man auch darauf hinweisen, daß die Künstler selber natürlich an eine Grundfrage ihrer Identität stoßen, da die Skepsis der Bevölkerung durch die aktuellen Katastrophen und Kriege generell gewachsen ist. Und durch die Lügen, die über Medien verbreitet werden. Nicht jedes Medium der Kunst bietet sich noch an, es als Kunst einzusetzen, denn wenn man verantwortungsvoll damit umgeht, darf man nicht lügen, auch nicht als Künstler.

Wie können diese Grundfragen der Identität also geklärt werden?

Ich denke, daß jeder halbwegs vernünftige Künstler im Moment in eine Identitätskrise geraten muß, weil die beiden Grundbegriffe, auf die man sich bisher beziehen konnte, nämlich Natur und Kultur momentan nicht mehr definiert sind, weil sie mittlerweile beide sowohl Technisches integrieren als auch ihren alten Bestimmtheiten von Systemtheorien aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht mehr gerecht werden. Die Frage der Authentizität stellt sich neu. Es stellt sich die Frage, ob heute nicht überhaupt nur noch gemalt werden dürfte, weil man, mit Video, Filmmaterial und Computer vielleicht automatisch an der Erkenntnislüge, wie sie im Golfkrieg vorgeführt wurde, teilhat.

Insofern sind die Systeme zusammengebrochen, wie auch weltweit Systeme zusammengebrochen sind. Und man kann nur das unterstützen, was Heiner Müller gesagt hat, daß in dieser neuen Situation eine große Chance darin besteht, daß die seit der Auflärung bestehende systematische Trennung von Philosophie und Kunst aufgehoben wird und sich beide Bereiche wieder aufeinander zubewegen. Es muß ein neues Verhältnis im Zusammenspiel von Sinnenlogik und Rationalität und in diesem Sinne auch von Wort und Bild geben.

Damit bekommt auch die Kunstvermittlung als elementar wichtige Tätigkeit des Ausstellungsmachens wie des Interpretierens, eine Tätigkeit die für das Publikum auch einiges klärt, eine neue Bedeutung.

Im Sinne wechselseitiger Aufwertung?

Nein. Aber wenn es um den Begriff der Verantwortung geht, muß man sehen, daß wir in einer vernetzten Welt leben, wo ständig mit beiden Seiten manipuliert wird. Künstler und Philosophen müssen deshalb gemeinsam an dem Begriff der Wahrheit arbeiten und ihn neu definieren. Genau diese Fragen wollen wir mit unserer Ausstellung aufbrechen. Das Publikum soll sich Gedanken machen über die aktuellen Zusammenhänge in einer medialen, vernetzten Welt und den daraus resultierenden Herrschaftsansprüchen.

Wo könnten neue Definitionen ansetzen?

Die Kunst muß jetzt endgültig

1herankommen an ein Konzept, das

Aby Warburg bereits Anfang unseres Jahrhunderts entworfen hat, nämlich zurück zum substantiellen Sehen. Wir werden wieder aufgefordert, die Menschenrechte des Auges zu wahren. Anders geht es nicht mehr, denn in der Fülle und Masse müssen wir lernen, das Substantielle, Qualitätvolle von allem anderen zu unterschieden. Außerdem löst sich eine Vision von Lenardo da Vinvci ein, daß die Künstler der Zukunft auch hervorragende Ingenieure sein werden.

Wie ordnet sich diese Ausstellung in den Kontext der Mediale ein?

Es ordnet sich insofern ein, als es keine Anti-Ausstellung ist, sondern die Ausstellung, die vielleicht die kritischsten Fragen an das Medium selber zurückführt. Unwohl fühle ich mich im Kontext der Gesamtmediale, weil letztendlich vom Mediale-Büro viel zu wenig für die wirklich interessanten Projekte von den einzelnen Künstlern und kleineren Institutionen getan wird. Der Gesamtkomplex der Mediale, der nach außen hin verkauft wird, erschöpft sich bisher weitgehend in Name-Dropping-Attitüden: eben Postmoderne. Sinnliche und intellektuelle Inhalte werden an die Verpackung verraten.

Was ich gut finde an Thomas Wegners Konzept ist, daß er als schlauer Geschäftsmann den Begriff Mediale gewählt hat und damit die kunstunfreundlichen Politiker in der Stadt und auch die nicht ganz so kunstbegeisterte Bevölkerung mit dem Begriff Mediale an Hamburg als Medienstadt gebunden hat und damit die Möglichkeit gefunden hat, das gesamte Konzept zu verkaufen.

Du hattest auf die neue Rolle der

1Kunstvermittlung bereits hingewiesen,

welche Aufgaben kommen dabei dem Ausstellungsmacher zu?

Man muß Abschied nehmen von der Vorstellung, daß man als Wissenschaftler oder Ausstellungsmacher noch in irgendeiner Form autoritär arbeiten kann. Man kann das nur schaffen mit dem Ideal, allen Beteiligten gleichermaßen gerecht werden zu wollen und sich selbst eher im Sinne des Zen-Buddhismus als kleinster Nenner betrachtet, der aber das Spektrum im Auge haben muß und dafür zu sorgen hat, daß alle gleichermaßen gerecht behandelt werden.

Dann ist in den letzten Jahren ja deutlich geworden, daß es zum Teil immer wichtiger geworden ist, wer eine Ausstellung leitet, als welche Künstler daran teilnehmen. Man muß sicherlich über die Gründe dafür nachdenken. Und darüber, ob das nur negativ ist, wie viele Künstler denken, oder ob das die logische Folge davon ist, daß wir momentan auch eine Künstlerschwemme haben. Je mehr wir eine Freizeitgesellschaft werden, je härter die sozialen Bedingungen werden und je mehr der Kunst durch den starken Finanzmarkt zugesprochen wird, auch ein Ort des sozialen Aufstiegs zu sein, um so mehr Künstler haben wir. Und in dieser Inflation von Namen und Künstlern können sich die Besucher zum Teil auch die einzelnen Künstler und ihre Konzepte nicht mehr merken. Und dann sprechen eben bestimmte Ausstellungsmacher für bestimmte Programme und damit auch für eine gewisse Kontinuität.

Die Fragen stellte Mechthild Bausch

Kampnagel K3, Eröffnung: 6.2., 19 Uhr, bis 15.2.