Wie porträtiert man Schönhuber?

■ Anstiftung und Aufklärung: Eine Debatte zur Darstellung des Rechtsradikalismus in den Medien

Die Berliner Pädagogin und Publizistin Katharina Rutschky steuerte der Diskussion um die Berichterstattung über Rechtsradikalismus eine bedenkenswerte Überlegung bei. Auf einer Tagung des Adolf-Grimme-Instituts in Marl über „Rechtsradikalismus und Medienrealität“ sagte sie, die Medien spitzten lediglich eine Perspektive zu, die schon die Gesellschaft gewählt habe, um das Problem „auf Distanz zu bringen“. Fremdenfeindlichkeit und Asylbewerberhetze würden vornehmlich am abweichenden Verhalten von Jugendlichen bearbeitet. „Was wäre“, fragte Rutschky, „wenn man eine ähnliche Ausleuchtung wie mit dieser Altersgruppe mit Erwachsenen, mit den Machteliten in Wirtschaft, Kultur und Politik vornehmen würde?“

Man würde wohl auf den allgegenwärtigen rassistischen Alltagsdiskurs stoßen. Auf tausenderlei Beleidigungen und Demütigungen, auf das Nebeneinander statt Miteinander der Kulturen, auf Ressentiments. Man würde gewahr, wie Gefühle ausgenutzt werden können, wie mit Zahlen und Fakten gelogen wird, wer die Fäden zieht und wem das nützt. Man würde nachvollziehen können, wie Themen gemacht und andere unterdrückt werden. Dies aber scheint nicht medien-, auf keinen Fall fernsehgerecht. Denn den Medien gelingt als Teil und Profiteur der Verhältnisse nur sehr selten die zu solcher Kritik nötige Distanz. Im handwerklichen Alltag ist das Ungewöhnliche die Nachricht, nicht das Normale – das Ereignis und nicht die Struktur.

So stürmen denn randalierende, brandschatzende und mordende Jungmänner die deutschen Wohnzimmer. Daß sie um ihre Filmreife wissen, ist wiederum den sie ablichtenden JournalistInnen bewußt. Die Probleme, die die Nachdenklicheren unter ihnen damit haben, kristallisierten sich auf dem Marler „Einkehrtag“ (Helga Kirchner vom WDR) in der Frage: Haben die Medien durch ihre Berichterstattung die rechtsextreme Gewaltbereitschaft verstärkt? Klaus Schönbach vom Hannoveraner Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung beantwortete dies mit einem klaren Jein. Pädagogisch bemüht und übervorsichtig pendelte er zwischen den Polen „Aufklärung“ und „Anstiftung“. Daß Hetzkampagnen beispielsweise der Bild-Zeitung gegen „Asylanten“ zur Gewalt von Rechts beigetragen haben, hielt Schönbach für erwiesen. Andererseits habe aber die Berichterstattung auch dazu geführt, daß eine Mehrheit der Deutschen gegen Ausländerhaß und Gewalt zu demonstrieren begonnen habe.

Daß ständige Gewaltdarstellungen – fiktiver oder realer Art – die emotionale und mentale Abstumpfung fördern, blieb des Professors einzige handfeste These zur Wirkung von Medienbeiträgen. Sein, zumindest angesichts der TV- Realität, hilflos wirkender Appell an die JournalistInnen unter den etwa 80 TagungsteilnehmerInnen: größte Vorsicht und Augenmaß bei Berichten über rechte Gewalt, rechte Ideen und Rechtsradikale ebenso wie bei der „Erzeugung von Eindrücken über die Größe des Asylantenproblems“.

Die pädagogische Geste erboste die Pädagogin Rutschky. Sie polemisierte gegen „die streberhafte Überreaktion des Guten“, bezeichnete Lichterketten als bloße „Methode zur Gemütspflege“ und behauptete – analog zum früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, der PazifistInnen für Auschwitz zur Verantwortung zog –, das „Gutmenschentum“ fordere die männliche deutsche Jugend erst recht heraus, sich nonkonform, also gewalttätig und rechtsradikal zu gebärden. „Gewalt“, argumentierte Rutschky, „ist eine Abweichung, die männlich-jugendliche Individualität stiftet.“ Dies sei bei der Analyse der gegenwärtigen Jugendgewalt vorrangig, die rassistische Gesinnung demgegenüber nachrangig zu verhandeln.

Rutschky provozierte Protest. Siebzehn Tote forderten die deutschen Zustände allein im letzten Jahr. Die Bekämpfung dieser politischen Kriminalität Polizei und Justiz zu überantworten, wie Rutschky vorschlug, erschien vielen TagungsteilnehmerInnen naiv. Zeichneten sich die Staatsorgane doch trotz ständig zunehmender Haß-Verbrechen von Rechts durch Verharmlosung, Nachlässigkeit und eine Engelsgeduld mit gefaßten Tätern aus und bequemten sich erst nach den Morden von Mölln zu effektiverer Verfolgung und Verurteilung.

Daß JournalistInnen die Ursachen des Fremdenhasses schlüssiger erklären können als Angehörige anderer Berufsgruppen, dürfte schließlich niemand in Marl von den MedienvertreterInnen in der abschließenden Diskussionsrunde auf dem Podium erwartet haben. Enttäuschend aber für eine Fachtagung – zu der neben dem Grimme-Institut die Bundeszentrale für politische Bildung und, als Mitfinanzier, die Programmzeitschrift TV Movie geladen hatten –, wie wenig am Ende über Fragen des journalistischen Handwerks debattiert wurde.

Auch gestandene Macher wie Joachim Wagner von „Panorama“ und Ulrich Kienzle vom ZDF versuchten die Sensibilität in ihren Sendeanstalten für die Gefahren von Rechts mit der Anzahl von Beiträgen über Rechtsradikale zu belegen, statt eine selbstkritische Debatte über das Wie dieser Beiträge oder gar die vergleichsweise dürftige Hintergrundberichterstattung zuzulassen. Hinzu kam ein peinlich hilfloser Austausch über die total mißglückte Live-Berichterstattung von der großen Berliner Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit, in dessen Verlauf sich Wagner zu der Anregung verstieg, künftig von solchen Großereignissen nicht mehr live zu berichten, um Pannen auszuschließen. Die öffentlich-rechtlichen Kameras hatten allein die EierwerferInnen ins Bild gerückt sowie einen angesichts des scheinbaren Mißlingens der gutgemeinten Massenkundgebung verzweifelt stotternden Jürgen Engert vom SFB.

Wie berichtet man über rechte Organisationen? Wie porträtiert man einen Schönhuber? Wie arbeitet man der Faszination entgegen, die Bilder von Gewalt und Bränden ausüben? Wie zeigt man Faschisten, die Auschwitz leugnen? Wie schildert man das konfliktträchtige Zusammenleben von Fremden und Deutschen? Wie fühlt man latent fremdenfeindlichen PolitikerInnen auf den Zahn? Nur eins war klar: Wenn auch mancher Bericht, manche Reportage, manche Analyse eine andere als die beabsichtigte Wirkung erzeugt haben mag, wenn sie dem rechten Zeitgeist nutzte oder gar zur Nachahmung anregte, so wäre doch Totschweigen für einen unabhängigen Journalismus immer die schlimmere Alternative. Bettina Markmeyer