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Später Gedenktag

■ Paris erinnert an Judenverfolgung

Paris (taz) – François Mitterrand hat sein Versprechen eingelöst: Per Dekret erklärte er den 16. Juli zum „nationalen Gedenktag für die Opfer der rassistischen und antisemitischen Verfolgungen, die unter der faktischen Autorität der sogenannten ,Regierung des französischen Staates‘ begangen wurden“. Am 16. Juli 1942 hatte in Frankreich mit einer ersten Razzia in Paris die großangelegte Judenverfolgung begonnen. Französische Polizisten spürten 13.000 Juden auf – darunter 4.000 Kinder – pferchten sie zunächst im Vélodrome d'Hiver im 15. Pariser Arrondissement ein und schickten sie in die deutschen Gaskammern. Insgesamt wurden 75.000 Juden aus Frankreich deportiert.

Zum 50. Jahrestag der Großrazzia im vergangenen Sommer war die Debatte über die Verantwortung aufgeflammt. Mehrere hundert Persönlichkeiten hatten Mitterrand damals aufgefordert, endlich anzuerkennen, „daß der französische Staat von Vichy verantwortlich ist für die Verfolgungen und die Verbrechen an den Juden in Frankreich“. Doch Mitterrand, der 1942 selbst einen Posten in Vichy angenommen hatte, bevor er sich zum Widerstand entschloß, wollte die vier Jahre der Vichy-Regierung weiterhin aus der französischen Geschichte ausblenden: „1940, da gab es einen französischen Staat, das war das Vichy-Regime, das war nicht die Republik“, lautete seine Antwort. Unter Pfiffen legte er am 16. Juli 1992 erstmals Blumen an der Gedenktafel des längst abgerissenen Vélodrome d'Hiver nieder; an diesem Ort soll nun ein Denkmal errichtet werden.

Zur Empörung vieler hielt Mitterrand bislang an einer anderen Geste fest: Am 11. November 1992, Tag des Waffenstillstands im Ersten Weltkrieg, ehrte er erneut das Grab von Maréchal Pétain auf der île d'Yeu mit Blumen. Während seine Vorgänger den Kriegshelden und späteren Staatschef der Kollaborationsregierung von Vichy nur ab und zu bekränzt hatten, war es Mitterrand, der daraus seit sechs Jahren eine Tradition gemacht hat. Diese Unterscheidung des Kriegshelden von dem Verbrecher Pétain wird in Frankreich immer weniger verstanden.

Vor einem Israel-Besuch erklärte Mitterrand, er „verstehe die Emotion der jüdischen Gemeinschaft sehr gut“, und versprach eine feierliche Geste. „Ich werde jedoch keine juristische Anerkennung der Verantwortung der französischen Republik vornehmen“, betonte er damals. Der Präsident des „Rates der jüdischen Institutionen in Frankreich“, Jean Kahn, interpretierte das Dekret nun als „Verurteilung des Regimes der Schande, aber auch des Verrats an Frankreich, durch den Präsidenten der Republik“. Bettina Kaps

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