Endstation Osteuropa

■ Flüchtlinge sitzen in Moskau und Petersburg fest

Kopenhagen (taz) – Drei Wochen lang haben 24 irakische Flüchtlinge die dänische Botschaft in Moskau besetzt, um ihre Ausreise nach Dänemark zu erzwingen. Das Flüchtlingsdrama, das sich bereits vor zwei Monaten zutrug, wurde erst jetzt durch einen Bericht der dänischen Tageszeitung Berlingske Tidende bekannt. Die Regierung in Kopenhagen hatte eine absolute Nachrichtensperre verhängt.

Die Öffentlichkeit hatte in der Vergangenheit verständnisvoll auf vergleichbare Aktionen reagiert. Im vergangenen Jahr mußte das dänische Parlament sogar ein Sondergesetz verabschieden, um palästinensischen Flüchtlingen, die monatelang eine Kirche in Kopenhagen besetzt hatten, ein Bleiberecht zu sichern.

Entsprechend empört waren jetzt die Reaktionen, als Einzelheiten der Botschaftsbesetzung bekannt wurden, die zwischen dem 10. November und dem 3. Dezember stattfand: In ihrer Verzweiflung hatten die fünf Frauen unter den Flüchtlingen – zwei von ihnen waren hochschwanger – gedroht, nach und nach ihre 13 Kinder zu töten, wenn sie nicht nach Dänemark ausreisen dürften. Kopenhagen blieb hart. Botschafter Henrik Iversen in Berlingske Tidende: „Es waren gebildete Leute, mit denen man reden konnte. Ich habe sie überzeugt, daß Dänemark ein Rechtsstaat sei und nicht akzeptieren könne, unter Druck zu handeln.“ Mit welchen Versprechungen er die Flüchtlinge zur Aufgabe bewog, will er nicht sagen. Angeblich weiß er auch nichts über ihr Schicksal, seit sie die Botschaft verließen.

Eine ähnlich harte Haltung hat die dänische Regierung auch 1988 an den Tag gelegt, als 18 DDR- BürgerInnen die Ostberliner Botschaft besetzten, um nach Dänemark ausreisen zu dürfen. Sie wurden direkt der Stasi ausgeliefert.

Die 24 Flüchtlinge in Moskau wurden im Keller der Botschaft untergebracht, damit der Kanzleibetrieb weitergehen konnte. Im Schnellverfahren lehnte Kopenhagen ihre Asylanträge ab, rechtlichen Beistand gab es nicht.

Das Drama ist nur die Spitze eines Eisbergs. In Moskau, Sankt Petersburg und den baltischen Staaten sitzen Tausende von irakischen und afrikanischen Flüchtlingen fest, denen es nicht gelingt, in ein westliches Land zu kommen. Ähnlich wie die Flüchtlinge in der dänischen Botschaft haben sie keine Möglichkeit zur Rückkehr in ihre Heimat, können aber auch nicht in Rußland bleiben. Estnische Behörden haben gerade bekanntgegeben, daß im letzten Jahr über 5.000 Flüchtlinge aus Afrika an der Grenze zwischen Rußland und Estland abgewiesen worden seien.

Da der Landweg gen Westen wegen der verschärften Asylpolitik Westeuropas praktisch zu ist, bleibt nur noch der Weg über die Ostsee. Die Not der Flüchtlinge wird offensichtlich von einer gut organisierten Mafia ausgenutzt. Einer der Treffpunkte, wo „Tickets“ über die Ostsee verkauft werden, soll das Moskauer McDonald's-Restaurant sein. In den letzten Monaten sind immer wieder Flüchtlinge mit altersschwachen Fischerbooten nach oft tagelanger Fahrt ohne ausreichend Wasser und Verpflegung in skandinavischen Häfen an Land gesetzt worden. Allein in den letzten drei Wochen sind so über 550 Flüchtlinge in Schweden und Finnland gelandet.

Die „Tickets“ kosten zwischen 500 und 2.000 Dollar pro Person, wie die Geflüchteten berichten. Angeblich sollen auch die Reste der in den baltischen Staaten stationierten russischen Soldaten in die Ausschleusungsaktionen verwickelt sein. Einmal in eines der skandinavischen Länder gelangt, sind die Flüchtlinge erst einmal sicher, da die baltischen Staaten und Rußland nicht als „sichere Drittstaaten“ gelten, in die sie ohne Prüfung ihrer Asylgründe wieder abgeschoben werden können.

Auch die 24 IrakerInnen aus der dänischen Botschaft in Moskau wären sicher in Dänemark gelandet, hätten sie gleich den illegalen Weg gewählt und nicht auf eine rechtsstaatliche Behandlung ihrer Asylanträge gesetzt. Reinhard Wolff