Auf fortschrittliche Weise übel

■ Trivialpathetische Formen und Virtuelles auf der „Mediale“ in Hamburg

Stählerne Silhouetten winkender Matrosen signalisieren in Flaggensprache an sieben Stellen Hamburgs, daß die Stadt sich ein Medienfestival gestiftet hat. Es soll das „Erste Festival für Medienkunst und Medienzukunft“ sein, der Stadt einen Platz im Festspielkalender verschaffen und alle vier Jahre wiederholt werden.

Im Norden ist es oft windig, und so ist manches bei diesem nicht ganz so neuen und noch sehr offenen Veranstaltungskonzept der am letzten Freitag begonnenen „Mediale“ ein bißchen aufgeblasen – und gemeint ist damit nicht das Konzert der 48 Staubsauger am 7. Februar. Zu 65 Veranstaltungen an 30 Orten gibt es je nach Sichtweise – ökonomisches Zentrum oder kommerzieller Fremdkörper? – eine sechstägige Medienmesse in der nördlichen Deichtorhalle, deren Gestaltung der amerikanische Bühnenbildner Robert Wilson übernommen hat. Trivialpathetische Formen – geöffnete Türen, Rußspuren an den weißen Wänden, Lehmboden, goldene Engel als traditionelle Mittlerwesen und eine Feuerstelle im schwebenden Kanu – zeigen, wie behende künstlerische Konzepte zu kurzfristig attraktivem Schickschnack-Design für die Selbstdarstellung der Medienanbieter aus Unterhaltungselektronik, Computerbranche und TV-Sendern anverwandelt werden können.

Gleich gegenüber in der südlichen Deichtorhalle haben Wulf Herzogenrath von der Nationalgalerie Berlin und Hausherr Zdenik Felix eine 1,3 Millionen Mark teure Ausstellung „Feuer, Erde, Wasser, Luft“ zusammengestellt. Hier zeigen 26 international gut bekannte Künstler aktuelle Reflexion zum Thema „vier Elemente“. Dies ist das Kernstück aller Veranstaltungen, das allein das Ereignis schon trüge. Emblem-Blätter des Barocks zeigen, in einer Art Einleitung direkt gegenüber dem Eingang, wie Komplexität auch ohne elektronischen Aufwand auf einem Blatt Papier darstellbar war. Da sich aber, in Erwartung medialer Großinszenierungen, keiner lange dort aufhalten wird, sei der Aufsatz über die hermetische Ikonologie der vier Elemente von Hartmut Böhme im Katalogjournal empfohlen.

Auch im Zentrum der Halle stehen noch keine piepsenden Monitore. Hier dominiert die minimalistische Kunst der siebziger Jahre mit direkten Materialdemonstrationen: Steinkreise von Richard Long, Wasserschläuche von Klaus Rinke, Gasbrenner von Jannis Kounellis und ein Windsegel von Hans Haacke. Dazu erzeugt James Turell in einem UV-Lichtraum einen immateriellen Raumkörper, mit dem auf den einst als fünftes Element gedachten Äther referiert wird. Auffälligste Videoskulpturen sind der „Versailles Fountain“ von Nam June Paik, dem Begründer der Videokunst, und ein begehbarer Vulkankrater mit einem Feuerballett auf einem Kreis von Monitoren: „Jeder Engel ist schrecklich“.

In den verdunkelten Räumen zwingen sowohl der Kanadier David Rokeby wie der Basler Nives Widauer Feuer und Wasser optisch zusammen und erfüllen mit solche virtuellen Siegen über die Natur die alte barocke und alchimistische Forderung nach der coincidentia oppositorum, der Einheit der Gegensätze. Nur eine Installation ist in new age-typischer Ungenauigkeit gescheitert: Die in Hamburg lehrende Performancekünstlerin Marina Abramovic stellt ihre Monitortische auf edle Mineralien und erzählt, mit Schlange um den Kopf, von Körper- und Erdströmen – was sich mit einem derartigen Umfeld nun wirklich nicht sinnlich vermitteln läßt.

Unter den Künstlern ist über die Mediale ein alter Konflikt aufgebrochen. Einige wollen das Sponsoring so weit wie möglich nutzen, haben auch bei ihren aufwendigen Inszenierungen gar keine andere Realisierungsmöglichkeit. Andere verweisen die Kunst auf ihre eigenen Mittel und ekeln sich vor schmutzigem Geld. Doch wo wäre in den achtziger Jahren noch sauberes Geld zu finden? Die „reine Kunst“ ist stets ein konservatives Argument gewesen. Künstler standen für ihre Visionen immer mehr oder weniger im Dienst von irgendeinem Mächtigen, der ihnen die teure blaue Farbe zuteilte oder das Feuerholz überließ.

„Ich nehme dem militärisch-industriellen Komplex soviel Geld, wie ich kann, und baue damit eben keine Bomben“ – das ist die Position des Amerikaners Paul Garrin. Sein weißer Pitbull verteidigt eine in Flammen stehende Villa, indem er über zwölf Bodenmonitore tobt und – interaktiv computergesteuert – die Besucher gemäß deren Verhalten angreift. Hier wird Macht inhaltlich bekämpft, mag der Erzeuger der Aussage auch von den Herstellern der Maschinen abhängig sein.

Der in New York lehrende Hans Haacke hat schon lange über die Verzahnung von Kunst, Wirtschaft und Politik gearbeitet. Es nimmt kaum wunder, daß er die Mediale als Vernebelungsstrategie und die Kunst als Anhängsel kommerzieller Interessen betrachtet. Er behauptet, daß ein bedeutender Sponsor sich in den USA durch die Finanzierung desjenigen ultrakonservativen Senators hervorgetan habe, der über das Kriterium sexueller Sauberkeit für einige Jahre Zensur durch die US-Bundeskunstverwaltung erzwang.

Die konsequent analysierten Strukturabhängigkeiten in der Gesellschaft mögen noch so unangenehm sein, auf Mischfinanzierung durch Sponsoring ist in den neunziger Jahren wohl nicht zu verzichten– solange auf dem Ereignischarakter von Kunst bestanden und eine direkte Zensur nicht ausgeübt wird. Die Generation derjenigen, denen die Eltern noch das Fernsehen im Interesse einer besseren Bildung verboten hatten, ist längst abhängig vom Geflimmer und Geblubber des elektronischen Kaminfeuers, wie es ganz realistisch Jan Dibbets 1969 an mehreren Tagen im WDR senden durfte. Und die Jüngeren verstehen das Problem ohnehin nur noch mit Mühe. Sie arbeiten ganz selbstverständlich mit den neuen Medien. Mit Cyberspacehelm und Datenhandschuh ausgestattet, wird dann in ebenso überzeugend dreidimensionalen wie inhaltlich trivialen Räumen herumspaziert, bis dem Anwender auf fortschrittliche Weise übel wird.

Projekte wie Bill Fontanas Klangachse Marseilles-Hamburg-St. Petersburg mit ihrer Direktübertragung von Geräuschen der Partnerstädte auf den Hamburger Rathausmarkt sammeln dazu ein paar Punkte im jahrhunderttypischen Kampf gegen die Zeit. Fordert die Kunst in der einen Halle physische Präsenz und eigenes Erleben, spielt in der anderen Yoko Ono den Himmel über New York via Satellit live und in Realzeit ein: Poesie und saturierter Leerlauf einer überdimensionierten Kommunikationsmaschinerie zugleich (dem Gebührenzähler des Netzbetreibers ist die Bewertung gleichgültig).

In den nächsten Tagen wird in Hamburg von der Lichtpyramide auf der Alster (in Speerscher Tradition) zu Projektionen der Deportationen während der NS-Zeit auf Züge im Hauptbahnhof, von Tanztheater (auf Kampnagel) zum „Simulations-Mosaik mobiler Datenklänge“ (auf dem Museumsschiff „Cap San Diego“) das Thema der neuen Medien eher vielfältig angerissen als erschöpfend abgedeckt.

Auch wenn die Mediale mit bizarren Marketing-Ideen wie einem neukomponierten Lied für Europa für sich wirbt, unter dem Dach der Mediale hat genug Platz gefunden, was den oft ziemlich sinnlos eskalierenden technischen Möglichkeiten eine inhaltliche Nutzung zuweist. So liegt hinter den Türen zur schönen neuen Medienwelt zwar keine neue Verheißung, aber immerhin ein Spiegel unserer Befindlichkeiten. Und das ist immerhin mehr als das tägliche TV-Programm. Hajo Schiff

Von 5. bis 10. Februar; „Feuer, Erde, Wasser, Luft“ bis zum 28. März; Katalogjournal 20 DM