Kabuler Regierung zunehmend isoliert

Tausende von Toten und Verletzten in Afghanistans Hauptstadt/ Saudi-Arabien und Pakistan wollen zwischen verfeindeten afghanischen Mudschaheddin-Fraktionen vermitteln  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Die anhaltenden Diadochenkämpfe in Afghanistan haben Pakistan und Saudi-Arabien bewogen, sich energischer als bisher um eine Lösung zu bemühen. Nach Angaben der Hilfsorganisation „Médecins sans Frontières“ sind dort in den vergangenen beiden Wochen mindestens tausend Menschen getötet und dreitausend verwundet wurden. Zusammen mit dem Iran verlangen die beiden Regierungen nun eine sofortige Feuereinstellung in Afghanistan, und der saudische König Fahd hat die Streitenden zu Gesprächen nach Riad eingeladen. Kaum hat sich der afghanische Präsident Rabbani, der sich der militärischen Umklammerung durch seinen Gegner Hekmatyar nicht entwinden kann, für weitere zwei Jahre im Amt bestätigen lassen, kommt er damit nun auch politisch unter massiven Druck.

Am klarsten hat die pakistanische Regierung ihr Mißfallen über die anhaltenden blutigen Auseinandersetzungen zum Ausdruck gebracht. Am Dienstag war ihre Botschaft in Kabul ein weiteres Mal von Raketen getroffen worden. Gleichzeitig verbreitete sich die Nachricht vom Tod dreier UNO- Flüchtlingshelfer und eines holländischen Beraters. Sie veranlaßte den Sprecher des pakistanischen Außenministeriums zur Bekanntgabe einer erneuten Reduktion des Botschaftspersonals. Er unterstützte auch die Initiative des saudischen Königs, alle kämpfenden Parteien zu Gesprächen nach Riad einzuladen, mit denen er die Hoffnung auf eine „breitangelegte Lösung für Afghanistan“ verbindet.

Diese Formel muß vor allem Präsident Rabbani beunruhigen, der denn auch sogleich bekanntgegeben hat, nicht nach Riad kommen zu können. Sein bisheriges Verhalten war darauf ausgerichtet gewesen, den Führungsrat der neun Exilgruppen zu marginalisieren und dem Land solide staatliche Strukturen zu geben – unter seiner Führung, versteht sich. Statt nach seiner viermonatigen Regentschaft zurückzutreten, berief er, gegen den Willen der Mehrheit der Mudschaheddin-Fraktionen, einen „Rat der nationalen Delegierten“. Von dieser einseitig zusammengesetzten „Shura“ ließ er sich am 30. Dezember unter dem Getöse der Raketen seines Widersachers Gulbuddin Hekmatyar zum Präsidenten wählen.

Dies trieb die kleinen Gruppierungen in die Arme Hekmatyars und bestärkten diesen, den militärischen Druck auf die Hauptstadt zu vergrößern. Seit dem 19. Januar läßt er Kabul wieder täglich unter schweren Artilleriebeschuß setzen. Gleichzeitig sind seine Kämpfer von Osten her näher ans Zentrum herangerückt. Zusammen mit der schiitischen „Hizbe Wahdat“ versucht Hekmatyar jetzt, Rasul Sayyafs Milizen die Kontrolle über den westlichen Zugang zur Hauptstadt zu entreißen. Sayyafs Gruppierung ist die einzige, die Rabbanis und Massuds „Jamat Islami“ militärisch noch unterstützt.

Der Kampf um die Macht in Kabul hat nicht nur die sunnitischen und schiitischen Gegner Rabbanis zusammengebracht. Jetzt sollen auch Kontakte zwischen Hekmatyar und dem Usbeken-Führer Rashid Dostam bestehen, der noch vor kurzem von Hekmatyar als Volksfeind Nummer eins bezeichnet worden war. Aber inzwischen hat sich Dostam mit Rabbani und Massud zerstritten. Bereits letztes Jahr ließ er seine Milizen gegen Regierungstruppen aufmarschieren, und die Schießereien endeten erst, als Rabbani Dostams neue politische Formation, „Janbash Milli“, mit 150 Delegierten zur „Shura“ zuließ. Doch Dostam blieb auf Distanz zu Kabul – auch räumlich, denn er verlegte sein Hauptquartier nach Mazari Sharif, um von dort aus seine Macht in der Nordregion zu konsolidieren.

In diesem Gebiet, vor allem in der Stadt Kundus nördlich von Kabul, haben mittlerweile zwischen sechzig- und hunderttausend Menschen vor dem Bürgerkrieg in der benachbarten zentralasiatischen Republik Tadschikistan Zuflucht gesucht, die ab sofort von der UNO versorgt werden sollen. Dieser Flüchtlingsstrom macht es Hekmatyar möglich, sich als Partner des UNHCR um internationale Akzeptanz zu bemühen. Auch Pakistan trägt Dostams wachsendem Gewicht Rechnung und erkannte kürzlich seine „Janbash-Partei“ als eine der offiziellen afghanischen Formationen an.

Der Spielraum für die Regierung in Kabul wird damit politisch und militärisch immer enger. Auch außenpolitisch droht sich das Regime, nach der offensichtlich manipulierten Wahl vom 30. Dezember, zunehmend zu isolieren. Es dauerte zehn Tage, bis der iranische Präsident Rafsandschani Rabbani zu dessen Wahl gratulierte, während die pakistanische Regierung dies ganz unterließ. Die Unfähigkeit der Regierung, ihr feindlich gesinnte Gruppen militärisch zu kontrollieren, hat die Zahl der zivilen Opfer in die Höhe getrieben, und die Ermordung der UN-Beamten gefährdet die Verteilung dringend benötigter Hilfsgüter. Aber vor allem die Art und Weise, in der Rabbani seine Rivalen politisch auszuhebeln versucht, konsterniert die Regierungen der Nachbarländer, die gehofft hatten, mit ihm und Massud moderate Integratonsfiguren zu haben, welche den schwierigen Übergang bewerkstelligen könnten.

Rabbanis Ankündigung, mit seiner Wahl und der Konstituierung eines Parlaments (200 ausgewählte Mitglieder der „Shura“) sei der alte neunköpfige Führungsrat aufgelöst, hatte den gegenteiligen Effekt und bewirkte einen Zusammenschluß seiner Gegner. Sechs Gruppen trafen sich Anfang der Woche östlich von Kabul in der Stadt Jalalabad, um sich für die Gespräche in Riad auf eine gemeinsame Position zu verständigen. Falls Rabbani bei seinem Entschluß bleibt, nicht nach Saudi- Arabien zu kommen, dürfte dies die Position Hekmatyars sowohl innerhalb der afghanischen Fraktionen als auch bei den interessierten Regionalmächten stärken. Allerdings macht man sich dort kaum Illusionen über Hekmatyars Fähigkeit, einen Konsens unter den Mudschaheddin herbeizuführen. Pakistan bemüht sich daher weiterhin, auch Rabbani und Massud für diese erneute Anstrengung im politischen Rekonstruktionsprozeß zu gewinnen. Der erste Versuch, das tief gespaltene Land innerhalb eines Jahres zu stabilisieren, scheint vorläufig gescheitert – am Ehrgeiz des Präsidenten ebenso wie am Widerstand seiner Rivalen, die sich nach 14 Jahren des Kampfes um die Siegesbeute geprellt sehen.