Landes-Holding als Notbremse

■ Sachsen will 500 Betriebe unter ein Holding-Dach retten

Flachs und Strom waren in den vergangenen hundert Jahren die wichtigsten Erzeugnisse der kleinen Stadt Hirschfelde in der Oberlausitz. Das Braunkohlekraftwerk wurde im vergangenen November abgeschaltet. Die Beschäftigten sind nun dabei, als „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ ihr Werk abzureißen und den Boden für einen Recycling-Park zu bereiten.

Die Hirschfelder Leinen- und Textil-GmbH ist einer der Treuhandbetriebe, die im sächsischen „Atlas“-Projekt aufgeführt sind. Atlas, das heißt symbolträchtig „Ausgesuchte Treuhandfirmen, vom Land angemeldet zur Sanierung“ und soll 145 regional bedeutsame Unternehmen mit Landesmitteln auf den freien Markt begleiten. Gelingt dies für die Hirschfelder Flachsgarnspinnerei, können dort einmal 200 Leute arbeiten. Das ist nicht besonders viel, aber in einer Region, die offiziell 15 und real 60 Prozent Arbeitslose zählt, ein lebenswichtiger Strohhalm. Brechen die letzten industriellen Inseln hier auch noch weg, wird sich der herbeigesehnte Mittelstand nicht ansiedeln können, bleiben die Gewerbegebiete nur potemkinsche Dörfer.

Als eine Fortsetzung von „Atlas“ bewertet Sachsens DGB- Sprecher Markus Schlimbach den vor einigen Tagen bekanntgewordenen Vorstoß der Landesregierung, die 500 sanierungsfähigen Ladenhüter der Treuhand unter das Dach einer „Sächsischen Industrie-Holding“ zu retten. Sachsen will Kanzler Kohl beim Wort nehmen, der inzwischen den Erhalt der „industriellen Kerne“ selbst befürwortet. Wie brisant das Thema ist, zeigen die Reaktionen des Dresdner Wirtschaftsministeriums auf die ersten Veröffentlichungen zur Holding. „Keinen Kommentar, aber auch kein absolutes Dementi“, wollte der Sprecher des Ministeriums geben. Dabei bleibt er auch, nachdem die erste Gesprächsrunde mit Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) in Bonn gescheitert ist. Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) dementierte Berichte, wonach sein Ministerium an einer Landes-Holding arbeitete. Das Land werde sich an dem Staatsunternehmen nicht beteiligen, stellte er klar. Streitpunkt ist nach Auffassung des sächsischen DGB die Beteiligung des Bundes an einer derartigen Holding. Sachsen zweifelt zwar nicht daran, daß die ausgesuchten Unternehmen eine Chance haben, sich nach der Sanierung auf dem Markt zu behaupten. Doch die Sanierungsmittel sind in den Kassen des Freistaates selbstverständlich nicht zu finden. Ausgefochten ist der Streit noch nicht, zumal Rexrodt angekündigt hat, für einen „selbsttragenden“ Aufschwung Ost „alles“ zu unternehmen.

Gewerkschafter haben den Vorstoß der Landesregierung bei einer Konferenz am Mittwoch dieser Woche begrüßt. Ähnliche Ideen hatten sie bereits vor eineinhalb Jahren in die Diskussion gebracht. Doch damals war auch das Haus Schommer nicht bereit, über eine angebliche Neuauflage der Planwirtschaft zu verhandeln. Inzwischen ist klar, daß es nicht darum geht, sondern um die letzten 300.000 der einst 700.000 Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe und Bergbau, um die letzte Chance, Regionen wie die Oberlausitz oder das Erzgebirge vor der Verödung zu bewahren. Detlef Krell