Ausgrenzung beginnt mit der Sprache

■ Gesichter der Großstadt: Emine Demirbüken ist Ausländerbeauftragte von Schöneberg und Sprecherin des "Bundes der EinwanderInnen aus der Türkei" / Nichtdeutsche oder Immigrantin?

Schöneberg. Am Anfang war das Wort. Und das Wort trennte Licht und Finsternis, Himmel und Erde, Gut und Böse, und, als es zu Gesetzen geronnen war, Ausländer und Inländer. Eine Ausländerbeauftragte wie Emine Demirbüken ist nach dem Wortlaut der deutsche Gesetze zuständig für diejenigen, die hier womöglich schon 30 Jahre leben oder hier geboren wurden, aber das falsche Blut in den Adern kreisen haben, nicht jedoch für diejenigen, die mit der Blutgruppe deutsch hinter dem Ural zur Welt kamen und nun gerade im Hauptbahnhof einrollen. Emine Demirbüken weiß das alles nur zu genau, als türkische Frau ist sie gleich doppelt Expertin in Sachen Ausgrenzung. Die Absonderung, auch das weiß sie, beginnt in der Sprache und kann in Pogromen enden.

Und deshalb hält die 33jährige in ihrem kleinen Büro im Rathaus Schöneberg auch keine „Ausländersprechstunden“ ab, sondern „Bürgersprechstunden“. Und was ist sie selbst? Nichtdeutsche? Das Wort stellt auch wieder nur die Deutschen ins Zentrum. Fremde? Die Türkei ist ihr längst fremder als Deutschland. Immigrantin? „Ja, das bin ich.“ Und ihre Geschwister, die hier geboren wurden? „Das sind Bürger türkischer Herkunft.“ Aber schon hat die Sprache, jedenfalls die mündliche, wieder jemand ausgegrenzt: ihre Schwester. Auch dessen ist sich Emine, Sprecherin des „Bundes der türkischen EinwanderInnen zu Berlin e.V.“, der ersten türkischen Organisation mit dem feministischen Stachel im Fleisch ihres Namens, wohl bewußt. Geboren in der Türkei als älteste von vier Kindern, kam Emine 1969 als Siebenjährige nach Berlin. „Wir wohnten direkt an der Mauer. Ich, das Kind aus der Türkei, habe damals nicht kapiert, warum man da nicht rüberkonnte.“ Auch die Sprachbarrieren schienen ihr zuerst unüberbrückbar: „Vier Monate war ich taub und stumm in der Schule, aber dann ging es.“

Die kleine Emine lebte sich mit den Jahren so gut ein, daß sie irgendwann auch zu Hause nur noch Deutsch sprach.

Aber nun mußte sie wieder zurück über die Hürde: „Meine Eltern hatten damals noch vor, in die Türkei zurückzukehren, und schickten mich 1977 voraus, obwohl ich kaum mehr Türkisch verstand. Für mich waren das die schmerzvollsten Jahre meines Lebens. Ich lebte bei meiner sehr traditionell eingestellten Tante und besuchte eine Schule, die in den damaligen Jahren des Terrors oft angeschossen oder überfallen wurde. Im Unterricht war ich von allen die Langsamste, weil ich die Fragen der Lehrer erst ins Deutsche und meine Antworten dann wieder ins Türkische übersetzen mußte.“ Nachts saß sie oft „bis drei, vier Uhr“ über den Büchern, um endlich das Abitur abzulegen. Der Anreiz dazu: „Meine Mutter hatte mir versprochen, daß ich dann wieder nach Berlin zurückdürfe.“

Sie schaffte es. Aber das Paradies tat sich hier auch nicht mehr auf. „Die Bundesrepublik tut nach außen hin so demokratisch, aber sie ist es nicht“, ärgert sich die Ausländerbeauftragte von Schöneberg und schüttelt ihre schwarze Haarpracht. „Da ist viel vom Ausländerproblem die Rede, aber nicht vom Deutschenproblem. Andauernd höre ich etwas von türkischen Sitten, aber nie etwas von deutschen. Unsere Künstler werden aus Haushaltsmitteln für die Ausländerintegration gefördert, aber nicht aus dem normalen Kulturetat. Und wehe, sie schreiben etwas übers Ozonloch und nicht über die Ausländerfeindlichkeit.“

Wo sieht sie dafür die Ursache, in den Worten, den Gesetzen oder der deutschen Mentalität? „Das mischt sich alles“, findet sie. Die Deutschen – die, das ist auch so ein schrecklicher, verallgemeinernder, falsche Grenzen erzeugender Artikel, ohne den aber leider die Grammatik nicht mehr stimmt – „die Deutschen“, sagt sie und läßt ihrem Temperament freien Lauf, „hatten immer Probleme mit anderen Kulturen, die geschluckt, assimiliert oder ausgegrenzt wurden. Die multikulturelle Gesellschaft existiert nur dem Anspruch nach.“

Oder auch als schmerzlicher Zusammenstoß. „Die deutsche Gesellschaft und die Eltern“, sagt sie, „beide rissen an mir.“ Als das Mädchen Emine in Berlin Germanistik und Publizistik zu studieren begann und am ersten Studientag statt wie bisher um 18 erst um 22 Uhr nach Hause kam, wollte ihr die Mutter gar das Studium verbieten. Erst nach langen und harten Auseinandersetzungen konnte sie sich die Freiheit erkämpfen, nach ihrem Gusto zu leben und zu arbeiten: ab 1982 als freie Journalistin im türkischen Programm des SFB und seit 1988 als Ausländerbeauftragte Schönebergs.

Man – man? Auch das ist so ein zweifelhaftes Wort – mag Emine Demirbüken gerne zuhören. Vielleicht deshalb, weil sie Grenzziehung und Ausgrenzung so hauteng erfahren hat, verkörpert sie genau das Gegenteil: eine große Offenheit.

Daherschwadronierenden Politikern ist sie mit Leichtigkeit gewachsen, weil sie genauso gut formulieren, aber auch Gefühle zeigen kann. Und wenn ihr jemand blöd kommt, so wie jener Journalist eines Anzeigenblättchens, dessen geistige Fähigkeiten nur dafür ausreichten, um in einem Portrait einzig ihre körperlichen Merkmale zu beschreiben, dann weiß sie sich ihrer Haut zu wehren. Der Mann wurde mit dem Titel „Chauvi des Jahres 1992“ geehrt.

Souverän agierte Emine auch bei der Feier zur Eröffnung der neuen Räume des „Bundes der EinwanderInnen aus der Türkei in Berlin e.V.“ in der Schöneberger Langenscheidtstraße 11, zu der vor einer Woche allerlei Berliner Politprominenz erschienen war. Sozialsenatorin Ingrid Stahmer lobte „das erste richtige Selbsthilfeprojekt für türkische Berliner“, zu dem sich 16 Vereine plus Einzelpersonen zusammengeschlossen hätten; DGB-Chefin Christiane Bretz schimpfte auf das große I im Namen, „das ich nicht mag, weil ich das nicht gutfinde“; und Emine Demirbüken berichtete locker von all den Menschen, die sich hier jetzt treffen könnten: Jugend-, Frauen-, Sport- und Kulturgruppen. Ein anderes wichtiges Ziel des Bundes aber sei es, so ergänzt sie, jetzt einen überregionalen Dachverband als politische Interessenvertretung der ImmigrantInnen – mit großem I – zu schaffen. Wird am Ende ein anderes Wort stehen: Mensch? Ute Scheub