Rühe fürchtet um die Wehrkraft

■ Neue Sparpläne für die Bundeswehr schmecken dem Verteidigungsminister gar nicht

München (dpa/AP) – „Ich finde, daß das unangemessen ist“, erregte sich der Bundesverteidigungsminister Volker Rühe am Samstag in München. „Ich sehe nirgendwo anders solche drastischen Einsparungen, wie wir sie jetzt bei der Bundeswehr durchführen müssen.“ Am Rande der 30. Konferenz über Sicherheitspolitik beklagte sich der CDU-Politiker darüber, daß ihm Finanzminister Theo Waigel die Sparmaßnahmen „praktisch diktiert“ habe.

Der Ex-Verteidigungsminister und Nato-Generalsekretär Manfred Wörner gab sich ebenfalls „äußerst besorgt“, was die Pläne der Bundesregierung anbelangt, die Bundeswehr bis 1995 auf weniger als 370.000 Mann schrumpfen zu lassen. Wörner erklärte, es sei noch zu prüfen, „ob und wie das akzeptabel ist“. Der Generalsekretär forderte Bonn auf, der Nato die Pläne zur Verringerung der deutschen Streitkräfte vorzulegen.

Helmut Kohl hatte keine neuen, konkreten Zahlen genannt und auch erklärt, daß die Wehrpflicht weiter erhalten bleiben müsse. Die allgemeine Wehrpflicht, führte der Kanzler aus, sei „Ausdruck der persönlichen Mitverantwortung des Bürgers für ein Leben in Frieden und Freiheit“. Kohl betonte zugleich, Wehrpflichtige würden zu Missionen der Vereinten Nationen nur freiwillig herangezogen. Deshalb werde es stärker als bisher erforderlich sein, den Anteil an gut ausgebildeten Zeit- und Berufssoldaten zu erhalten.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jürgen Koppelin hingegen erklärte, wer eine Bundeswehr wolle, die ihrem Auftrag gerecht werden könne, „wird um die Veränderung von einer Wehrpflicht- in eine Freiwilligenarmee nicht mehr herumkommen“. Ziel müsse eine Bundeswehr von zirka 220.000 Soldaten sein. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Walter Kolbow, sagte ebenfalls, am Ende des notwendigen Umstrukturierungsprozesses der Bundeswehr könne „durchaus eine Freiwilligenarmee“ stehen. Bis zum Jahr 2000 müsse die Sollstärke der Bundeswehr unter 300.000 Soldaten sinken, forderte Kolbow.

Neben der Diskussion über die Lage in Bosnien und eine mögliche militärische Intervention war der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von UN-Missionen der zweite Schwerpunkt der Münchner Konferenz, zu der rund 200 Militärexperten aus allen Mitgliedsstaaten der Nato angereist waren. Sowohl der Nato-Generalsekretär Wörner als auch der französische Verteidigungsminister Pierre Joke drängten nachdrücklich auf eine baldige Beteiligung deutscher Truppen an UN-Einsätzen. Helmut Kohl befand in diesem Zusammenhang, Frieden und Sicherheit seien nicht „zum Nulltarif“ zu haben. Er stimme der Forderung von UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali nach einer vollständigen Teilnahme der Bundesrepublik an „friedenserhaltenden, friedensschaffenden und friedensdurchsetzenden Maßnahmen“ zu.

Zumindest in dieser Deutlichkeit überraschend sprach sich auch der SPD-Oppositionsführer Hans-Ulrich Klose dafür aus, der Bundeswehr im Fall einer entsprechenden Verfassungsänderung die Teilnahme an Blauhelm-Aktionen der UNO auch dann zu erlauben, wenn dabei zur Verwirklichung der Aktion geschossen werden muß. Klose ging damit erneut über den SPD-Parteitagsbeschluß vom Mai hinaus, der den Waffengebrauch bei Blauhelm-Missionen allein zur Selbstverteidigung der Soldaten erlaubt.