„Panik-Orchester“ im Giftgas-Prozeß

Gericht lehnt im Prozeß um Lieferung von Giftgasanlagen in den Irak Ersatz für einen erkrankten Gutachter ab/ Staatsanwaltschaft revanchiert sich mit Ablehnungsantrag gegen Richter Pani  ■ Von Thomas Scheuer

Darmstadt (taz) – Seit geraumer Zeit wird in hessischen Justizkreisen der Darmstädter Giftgas-Prozeß als „Pani-k-Orchester“ betitelt, unter Anspielung – nicht nur – auf den Familiennamen des Vorsitzenden Richters Alfred Pani. Seit Montag ist das Chaos perfekt. Weil Richter Pani ohne Ersatz für einen erkrankten Sachverständigen weiterverhandeln will, stellte die Staatsanwaltschaft am Montag gegen ihn Befangenheitsantrag.

In dem Prozeß sind Manager aus Hamburg und Hessen angeklagt, Anlagen und Chemikalien für die Giftgasproduktion illegal in den Irak geliefert zu haben. Auf Vorschlag der Staatsanwaltschaft hatte das Gericht Prof. Werner Richarz, einen Experten für Chemieanlagenbau der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, zum Sachverständigen bestellt.

Die Anklageschrift hatte sich nicht zuletzt auf ein schriftliches Gutachten des Zürcher Wissenschaftlers gestützt, wonach die von den angeklagten Managern in den Irak gelieferten Anlagen speziell für die Herstellung von Giftgas konstruiert worden seien. Nach einer schweren Operation Ende letzten Jahres konnte Prof. Richarz nicht mehr an den seit April 1992 laufenden Hauptverhandlung teilnehmen. Die Staatsanwälte beantragten die Bestellung eines Ersatzgutachters. Dies hätte allerdings bedeutet, daß nach bisher 47 Verhandlungstagen die komplette Beweisaufnahme noch einmal von vorne hätte begonnen werden müssen — ein teurer Spaß bei rund 80.000 Mark Prozeßkosten pro Tag! Der Vorsitzende Richter Pani hatte nämlich über die Sachverständigen Anwesenheitspflicht an jedem einzelnen Verhandlungstag der immerhin auf rund zwei Jahre angelegten Beweisaufnahme verhängt. Eine eigenwillige Anordnung, die bereits einiges Kopfschütteln in Justizkreisen auslöste. (Zum Vergleich: In den Mannheimer Imhausen-Rabta-Prozessen hatten die Gutachter nur zum Vortrag ihrer Gutachten erscheinen müssen.)

Am gestrigen Montag gab Pani seine Entscheidung bekannt, den Prozeß ohne Ersatzgutachter für Richarz fortzusetzen. Damit hätte der 13. Strafkammer des Darmstädter Landgerichts für technische Fragen nur noch der emeritierte Professor der Universität München Kurt Dialer als Sachverständiger zur Verfügung gestanden. Und den hatte die Verteidigung vorgeschlagen.

Schlechte Karten also für die Ankläger in der zentralen Streitfrage, ob die in den Irak gelieferten Anlagen für die Produktion chemischer Kampfstoffe „besonders konstruiert“ waren oder ob es sich vielmehr um Mehrzweckanlagen handelte, die auch zur Synthese anderer Produkte, etwa von Schädlingsbekämpfungsmitteln, getaugt hätten.

Genau dieser Knackpunkt war zwischen den Hauptgutachtern Richarz und Dialer umstritten. Der Darmstädter Giftgasprozeß drohte seit geraumer Zeit, zur Justiz-Posse zu geraten. Beobachter zitieren das Lied von den „zehn kleinen Negerlein“: von den ursprünglich zehn Beschuldigten bevölkern nach neun Monaten Verhandlungsdauer nur noch vier die Anklagebank. Schon kurz nach Prozeßbeginn erklärte das Gericht einen 69jährigen Geschäftsmann, dem stets ein Notarzt beistehen mußte, für verhandlungsunfähig. Vier weitere Angeklagte wurden beurlaubt, nachdem sie gestanden hatten, Technik oder Chemikalien unerlaubt exportiert zu haben – natürlich ohne von deren militärischer Verwendung auch nur geahnt zu haben.

Und gegen die schillerndste Figur der Giftgas-Connection, den Deutsch-Iraki Nazar Al Kadhi wurde das Verfahren „vorläufig ausgesetzt“. Obwohl mit den Beschaffern Bagdads bestens im Geschäft, war Al Kadhi von 1986 bis 1988 im Irak eingekerkert worden — aus Gründen, die er für sich behält. Jedenfalls diagnostizierte ein Psychiater als Folge der Haft ein „KZ-Syndrom“ bei dem Manager, worauf ihn Richter Pani in die psychotherapeutische Behandlung entließ. Blieben also vier Angeklagte übrig, die derzeit keinerlei Anstalten machen, entweder geständig oder ernsthaft krank zu werden.

Vom militärischen Verwendungszweck der gelieferten Technologie gewußt zu haben bestreiten alle vier vehement. Daß mit den Anlagen „made in germany“ im Chemiewaffenkomlpex „Muthana“ nahe der nordirakischen Stadt Samarra tatsächlich nie etwas anderes als Giftgas hergestellt wurde und werden sollte, weiß das Gericht mittlerweile aus Berichten von UNO-Inspektoren. Ob die Lieferanten das aufgrund der technischen Spezifikationen seinerzeit hätten erkennen müssen, darüber steht dem Gericht wohl ein komplizierter Expertenstreit ins Haus — den Gutachter Dialer nach dem Willen Panis mit sich alleine ausmachen sollte. Die „allgemeine Aufklärungspflicht“ des Gerichts, so Pani gestern, gebiete nicht zwingend, einen zweiten Experten beizuziehen.

Wozu tat er es dann bei Prozeßbeginn? Pani sah keinen Anlaß, an der Sachkunde und der Objektivität Dialers zu zweifeln. Dagegen warf Staatsanwalt Thorer dem Richter vor, die „Waffengleichheit“ zwischen Anklage und Verteidigung aufgehoben zu haben; damit stehe das Urteil praktisch schon heute fest. Der Ankläger beantragte umgehend, Pani wegen Befangenheit zu ersetzen.