■ In der neuen Bundeswehrdebatte verwischen alte Fronten
: Solidarpakt auf militärisch

Von solchen Konfusionen mit verblüffender Pointe werden wir demnächst immer mehr bekommen: Kanzler Kohl signalisiert die Bereitschaft zur Reduzierung der Bundeswehr unter das Planziel von 1995 und erntet die Empörung seiner Etappenverteidigungsminister Wörner und Rühe sowie von der FDP. Auch Welt und FAZ warnen, man müsse die Bundeswehr auf personellem Stand halten. Ansonsten würden die öffentlichen Sozialdienste mangels „Zivis“ zusammenbrechen. Solch merkwürdige Befürworter hatten die Kriegsdienstverweigerer noch nie!

Die neuerliche Bundeswehrdebatte ist der Solidarpakt auf militärisch und endet im gleichen Gestrüpp der neu verwirrten Interessen. So dokumentiert sich die Regierungskunst der vergangenen goldenen Jahrzehnte als die Kunst, gierige Mäuler möglichst gleichmäßig zu stopfen. Wenn jetzt nichts mehr zu verteilen ist, erhöht sich der Lärmpegel der kollektiven Empörung und verringert sich die Übersichtlichkeit der unterschiedlichen Interessenformationen. Wer ist eigentlich gegen wen und warum? Rühe will als erster Abrüstungsminister punkten, aber die Bundeswehr in der bisherigen Form erhalten. Wörner will die Bundeswehr ge- und wenn möglich verstärkt als stabilen Pfeiler der Nato gegen das Chaos im Osten. Große Teile der FDP auf der einen und die PDS auf der anderen Seite des politischen Spektrums wollen die Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee.

Es gruppiert sich etwas um in der öffentlichen Debatte um Funktion und Rolle der Bundeswehr in der heutigen Weltlage. Nur von diesem Ausgangspunkt her lichtet sich das Chaos der unterschiedlichen Argumentationen etwas. Wenn die Bundeswehr schon reduziert werden muß, so die einen, dann soll sie zumindest effektiver werden. Weniger Soldaten – verbesserte Technologie wäre hier die Lösung, also ein Votum für die Interessen der Rüstungsindustrie. Wenn die Bundeswehr schon reduziert werden muß, dann aber als Berufsarmee, heißt die andere Lösung, also ein Votum dafür, die Kritik an internationalen Einsätzen möglichst dadurch zu reduzieren, daß nur Berufssoldaten und nicht Wehrpflichtige betroffen wären. Der Kanzler wiederum macht – das Wahljahr 94 vor Augen – aus der finanzpolitischen Not eine Tugend und kann erstmals mit einer gesellschaftlich populären Sparidee aufwarten.

Unklar ist derzeit die Haltung der Opposition. Die SPD jedenfalls scheint einigermaßen verwirrt, ihre allfällige Forderung nach Einsparungen beim Verteidigungshaushalt plötzlich im Arsenal des Kanzlers wiederzufinden. Traditionellerweise hatte sie vor dem Modell Berufsarmee mit Rekurs auf Weimar gewarnt, damit kein Staat im Staat entstehe. Die heutige Hauptgefahr, die Berufsarmee zum Instrument deutsche Außenpolitik zu machen, scheint sie noch gar nicht begriffen zu haben. Ein Konzept, das den Sparzwang einerseits, die gewachsene internationale Verantwortung andererseits zum Ausgangspunkt nimmt, wird schmerzlich vermißt. Die künftige deutsche Außenpolitik den Militärs zu überlassen, wäre der eigentliche innenpolitische Offenbarungseid. Antje Vollmer