Scheckbuchdiplomatie bringt Polen in Bedrängnis

■ Wenn Polen dem deutschen Drängen nachgibt und für Flüchtlinge aus Osteuropa zum „sicheren Land“ wird, muß es jährlich etwa 50.000 Abgeschobene aufnehmen

Je schwieriger ein Problem, desto weniger wollen polnische Politiker darüber reden, kritisierte unlängst eine Warschauer Tageszeitung die Zurückhaltung des Innenministeriums, Details über die Verhandlungen mit Deutschland zur Asylfrage bekanntzugeben. Was die Bonner Asylpläne genau für Polen bedeuten, darüber scheint man sich an der Weichsel bisher nicht klar geworden zu sein. Bisher, so sind sich Fachleute in Polen einig, dient Polen Asylsuchenden nur als Transitland.

Das dürfte sich ändern, wenn Deutschland Polen zum „sicheren Land“ erklärt und für die Flüchtlinge das Tor gen Westen endgültig zugeht. Dann rechnet zumindest Polens Presse mit mindestens 50.000 Flüchtlingen jährlich, die von Deutschland nach Polen abgeschoben werden. Diese Zahl geistert herum, seit Polens stellvertretender Innenminister nach Bonn gereist ist – zusammen mit der von beiden Seiten inzwischen dementierten Drohung des Auswärtigen Amtes, notfalls wieder die Visapflicht für Polen einzuführen.

Die meisten der bereits anerkannten Flüchtlinge in Polen leben weiter in den Übergangslagern, obwohl sie bereits über eine Aufenthaltserlaubnisund eine Arbeitsgenehmigung verfügen und fast ausnahmslos auch einer recht gut bezahlten Arbeit nachgehen. Nur Aussicht auf eine eigene Wohnung haben sie nicht, da die Mieten auf dem freien Markt in so horrende Höhen gestiegen sind, daß selbst gutverdienende Polen sich diese nicht leisten können. Die Mehrheit der Bevölkerung wohnt ja auch in Sozialwohnungen, von denen es zu wenig gibt, in Genossenschaftswohnungen, auf die man früher 20 Jahre warten mußte, oder bei Verwandten. Alle diese Optionen sind Flüchtlingen versperrt. Die Möglichkeit, in die Gesellschaft integriert zu werden, ist damit gleich Null. Genau das – und nicht der Lebensstandard in Deutschland – ist auch der Grund dafür, warum selbst viele anerkannte Flüchtlinge versuchen, sich weiter nach Westen durchzuschlagen.

Deshalb auch sind die Probleme, die durch die deutsche Asylrechtsänderung in Polen entstehen werden, mit Scheckbuchdiplomatie nicht zu lösen. Die Flüchtlinge nämlich kommen bald, die Wohnungen für sie können dagegen selbst bei großzügigsten deutschen Finanzspritzen erst in einigen Jahren fertig werden. Deshalb kann die Taktik der polnischen Regierung bei den Verhandlungen eigentlich nur darauf ausgerichtet sein, Zeit zu gewinnen. Aufhalten kann es das deutsche Ansinnen nicht – das 1991 geschlossene Rückführungsabkommen mit den Staaten des Schengener Abkommens verpflichtet Polen, von Deutschland abgewiesene Ausländer aufzunehmen. Und das gilt ausdrücklich auch für Drittstaatler, auch wenn Außenminister Skubiszewski nun davon spricht, das Abkommen sei nur für polnische Bürger geschlossen worden und die Forderungen Bonns stellten eine „Reinterpretation“ dar.

Geschlossene Ostgrenze als Preis für offene Westgrenze

Der Druck aus Bonn zeigt bereits Wirkung in Warschau. Abgeordnete der Christnationalen haben angekündigt, den Außenminister notfalls mit einer Unterschriftenaktion zwingen zu wollen, für Rumänen, Bulgaren und die Länder der GUS eine Visapflicht zu verhängen. Ein Sprecher des Innenministeriums indes erklärte gestern, Polen wolle den Zustrom von Ausländern durch ein strenges System von Einladungen, nicht durch Visapflicht eindämmen. Im Innenministerium würden zur Zeit entsprechende Vorschriften ausgearbeitet. Danach sollen Bürger der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der baltischen Staaten sowie Rumänen und Bulgaren nur nach Polen einreisen dürfen, wenn sie eine amtlich bestätigte Einladung vorweisen können. In diesen gebührenpflichtigen Einladungen muß der Gastgeber sich verpflichten, für alle Kosten des Aufenthalts und gegebenenfalls für die Kosten der Rückführung aufzukommen, falls ihr Gast die polnischen Gesetze übertritt oder versucht, illegal über die Grenze in ein Nachbarland zu reisen. Die Einladungen sollen in einem Computer registriert werden. Es wird also nicht mehr möglich sein, daß eine einzige Person Hunderte von Einladungen ausstellt. Wie es heißt, soll außerdem die materielle Lage des Einladenden überprüft werden; ein Arbeitsloser würde danach kaum in der Lage sein, wochenlang Gäste unterzubringen.

Ein solches Vorgehen wäre die logische Folge, sollte sich die Bonner Gangart durchsetzen. Das ist es auch, was Innenminister Seiters bereits vor Monaten von seinem polnischen Amtskollegen Milczanowski forderte. Bei diesem rennt er da offene Türen ein. Außenminister Skubiszewski dagegen möchte die Grenzen zum Osten offenhalten. Gründe dafür gibt es mehrere. Durch den Krieg in Ex- Jugoslawien führt der einzige Handelsweg nunmehr über Rumänien in den Nahen Osten. Hinzu kommt, daß in den östlichen Nachbarstaaten eine große polnische Minderheit lebt, die keine polnischen Pässe besitzt und deshalb von der Verhängung der Visapflicht am härtesten getroffen würde. Vom polnischen Außenhandel ganz abgesehen – schon jetzt sind die meisten Joint-ventures in Weißrußland polnisch.

Polens Europaminister Jan Bielecki sieht das Problem dagegen in weiteren Kategorien: Er ist nun auch für die Einführung der Visapflicht für die östlichen Nachbarn und Rumänien. Seine Begründung: Polen habe nun die Wahl, sich für den Westen oder den Osten zu entscheiden. Und da man in die EG wolle, sei die Antwort klar: Wenn der Preis für eine offene Westgrenze eine geschlossene Ostgrenze sei, müsse man letztere eben schließen. Klaus Bachmann, Warschau