Gramsci: Vordenker rechter Psychosekten?-betr.: Interview mit Thomas Krüger, SPD-Senator für Jugend und Familie, taz vom 23.1.93

betr.: Interview mit Thomas Krüger, SPD-Senator für Jugend und Familie, taz vom 23.1.93

Senator Krüger hat sicherlich recht, wenn er im Zusammmenhang mit der GFPM vor totalitären Sekten-Strategien warnt, die ihren Einfluß mit Hilfe staatlicher Machtpositionen auszudehnen versuchen. Aber warum muß er dies mit der unsinnigen Behauptung verbinden, diese Strategien entsprächen den Überlegungen des italienischen Marxisten Gramsci zur „kulturellen Hegemonie“? Dort geht es nämlich darum, daß die Arbeiterbewegung sich nicht in ökonomischen Verteilungskämpfen verzettelt, sondern eine gesamtgesellschaftliche Ausstrahlung entwickelt, die für eine mehrheitsfähige Politik erforderlich ist. „Hegemonie“ und „Zivilgesellschaft“ sind bei Gramsci antitotalitäre Konzepte, und deshalb wurden sie in den 70er Jahren keineswegs „auf totalitäre Weise von den Kommunisten“ rezipiert, wie Krüger behauptet, sondern von den verfemten Eurokommunisten, der „Neuen Linken“ und der Sozialdemokratie. Hat Krüger sich jemals die Mühe gemacht, Gramsci zu lesen? Die deutsche Übersetzung der Kerkerhefte wird gerade vom Argument-Verlag herausgegeben. Er könnte sich auch von seinem Parteifreund Peter Glotz über Gramscis Bedeutung für die Strategie eines „demokratischen Sozialismus“ aufklären lassen. Oder will Krüger nur ein wenig beim beliebten Gesellschaftsspiel mitmischen, die Offensive rechter Gruppen den Vordenkern der Linken in die Schuhe zu schieben? Jan Rehmann, Berlin 61