Zwischen den Rillen
: Klassik, einmal anders

■ Rock im Zeitalter seiner...: Dinosaur Jr. und Superchunk

Dinosaur Jr.: Inzwischen abgelegt als Achtziger-Jahre-Ding; 1987 aber hat die Band eine Platte gemacht, nach der die Welt anders aussah: „You're Living All over Me“. Hier lebte eine Musik „all über uns“, der man anfangs mühsam noch einen Papa Neil Young und eine Mama Hüsker Dü zuzuschreiben versucht hatte, aber schnell lernte, daß hier mehr ineinandermutiert war. Dinosaur Jr. war ein indirekter Anschlag auf die wohlgepflegte Peter- Frampton- und Allman-Brothers-Verachtung der Undergroundrockszene. J. Mascis und seine damaligen, mittlerweile in andere Bands auseinandergestobene Kollegen hatten das objektiv Abgehangene des Siebziger- Rocks mit einer offensiv als Haltung durchgezogenen Abgehangenheit transzendiert.

Die sprichwörtliche Faulheits- Aura um das eh schon schlaff belanghaarte Haupt von Mascis ist immer spannungsgebendes Chiffre für eine Musik gewesen, der genug Energie eingepflanzt ist, dem doch augenscheinlich so trägen Mind eines bewegten Ass followen zu lassen. Das ist in erster Linie der, wie sagt man doch so ungern, „unverwechselbaren“ Gitarrenarbeit zu verdanken, deren heulendes Suchen eine Art „Eloquenz“ im Ausdruck hat, der sich Mascis' Gesang wiederum bewußt versagt. Die Stimme bricht sich in krächzender Faulheit an weichen Wörtern, die Verlautbarung vermeidend, eher in sich hineingesprochenes Sentiment sind.

Schön also, daß Mascis mit den aktuellen Statisten an Bass und Schlagzeug auf „Where you been“ eine weitere schleichende Umformulierung der mit den vier vorhergehenden Alben ausgebreiteten Selbst- und Songverliebtheit vornimmt. Die im legendären Stück „Freakscene“ (1988) gerade noch auszuhaltende und deshalb so durchschlagende „Überfrachtung“ des Songs mit Gitarrenschichten und unvermittelt ineinanderstiebenden Bruchstücken hin zu einem überwältigenden Ganzen ist hier noch am ehesten in der Singleauskopplung „Start Choppin'“ gegenwärtig. Die wirkliche Umformulierung ist dabei eine Art zu singen, die immer wieder auf der Platte auftaucht: hoch und dünn, da wo die Stimme eigentlich versagt. Aber in diesem Versagen an klassischer Kopfstimme entwickelt Mascis eine merkwürdige Wärme. Das singen, was man nicht singen „kann“, das heißt darf: ein Ringen um Schönheit in den höchsten Tönen.

Mit Erfolg. So was wie Soul. Und selbst wenn J. Mascis dabei an Neil Young gedacht haben mag, löst sich sein Gesang doch ab auf eine andere Ebene, auf der er sich eher mit seinem eigenen Gitarrenmusik-Entwurf unterhält. Doch ein Ding für die Neunziger? Vielleicht ist dieser Dekaden-Anspruch den (mittlerweile überwiegend ruhigen) Songs und ihren am Ende doch klassischen Qualitäten gar nicht gewachsen.

Superchunk sind zunächst mal ein ganz anders gelagerter Fall: Schlaffheit fällt dieser Musik nun als erstes überhaupt nicht ein. Sie hüpft, als hätte man in North Carolina nie verlernt – oder besser: gerade erst entdeckt –, wie man jung und nicht gleichzeitig dumm sein kann. Freunden ungestümen Liedgutes werden 13 Song-Sahnetorten ins Gesicht gefeuert, daß man sich dafür nur bedanken kann. Eine schwindelerregende Sicherheit in der Wahl der Mittel, immer knapp entlang getastet am Grat zwischen Konvention und Reduktion auf das Nötige, läßt die Frage nach der „Neuerung“ im Mund verfaulen. Listig überspielt, daß Punkrock ja gar nicht mehr lebt. Die Gitarre hier und der überschwenglich fordernde Gesang da spielen sich die Bälle zu, als lernte man so etwas im Kindergarten.

Dabei geht es hier nicht um schmerzverzerrten Aufschrei, um das Einfordern von Repräsentation, Anteilen, Macht. Gerade im Ignorieren dieses Ansprechens einer (politischen) Umgebung aber zeigt sich eine durch die schlichte Präsenz der Band und ihrer Musik behauptete Ordnung, die ihre eigenen Regeln setzt und konsequent als Lebensentwurf auf Bühne und Platte übertragen ist. Nicht das polternde Hauen auf den Tisch der Mächtigen, bei dem leider allzuoft die nächstfolgende Fraternisierung schon mitklingt, sondern das Krachmachen zum Aufbau einer eigenen Kraft wird hier zur Rockmusik.

Daß das nur geht, wenn Grundbedingungen des Leben- und Arbeitenkönnens erfüllt sind, ist klar. Aber Superchunk zeigen, wie Rock und Punk und das, was ihnen an Variationen entspringt, als Modell bewahren kann, dem immer wieder und ohne abtötende Abnutzungserscheinungen eine verbindende Stärke abgerungen werden kann. „On The Mouth“ ist eine Platte, die in sechs Tagen eingespielt wurde. Das ist kurz. Eine funktionierende Band kann also in dieser Zeit etwas auf Tonträger bringen, was einer schon länger von nicht wenigen ausgehöhlten und zu Tode gerittenen Idee eine wiederum brauchbare Gestalt gibt. Als wäre es eben etwas Neues.

Dieses „als ob“ ist genau der Genuß: man weiß, daß es nichts Neues ist, empfindet es aber als solches. Melodik und Rhythmik sind aus vielen Vorlagen abgepaust und übereinandergelegt, und über die Zeit, in glücklichen Fällen vielleicht unter Mitwirkung von Brüderchen Zufall, in eine an wenigen Parametern festzumachende Klarheit verfestigt. Das sind dann wohl klassische Qualitäten. Jörg Heiser

Dinosaur Jr.: „Where You Been“ (WEA).

Superchunk: „On The Mouth“ (Cityslang/EfA).