RAF-Urteil verärgert Staatsschutz

■ Gericht verurteilt RAF-Gefangene zu weiterer Haft/ Deeskalation zwischen Guerilla und Staat vor dem Ende?

Berlin (taz) – Der Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf, die RAF-Gefangenen Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe und Lutz Taufer nach fast achtzehn Jahren weiter in Haft zu halten, hat die Staatsschutzbehörden und das Bonner Justizministerium in Alarmstimmung versetzt. Man fürchtet, daß die Entscheidung eine „Eskalations-Automatik“ auslösen und „von der RAF-Kommandogruppe als katastrophales Signal verstanden“ werden könne.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) in Karlsruhe wurde offenbar von der Eile überrascht, mit der die Düsseldorfer Richter zu Werke gingen. Insbesondere die Tatsache, daß das OLG nach dem monatelangen Streit über die von den Inhaftierten abgelehnte psychiatrische Begutachtung auf eine mündliche Anhörung der Betroffenen von vornherein verzichtete, löste in Justizkreisen Kopfschütteln aus. Noch einen Tag vor der OLG-Entscheidung vom 2. Februar hatte die BAW dem Gericht schriftlich vorgeschlagen, den von den Gefangenen favorisierten Frankfurter Kriminologen Peter- Alexis Albrecht zusätzlich zu einem Psychiater mit einem Gutachten zu betrauen. Das OLG lehnte diesen Kompromißvorschlag ab.

Dellwo-Anwältin Barbara Klawitter sagte gegenüber der taz, ihr Mandant weigere sich weiterhin, an einem psychiatrischen Gutachten mitzuwirken. Gegenstand der Gerichtsentscheidung sei „eine politische, nicht eine psychiatrische Frage“. Die Gefangenen könnten allerings nicht verhindern, wenn ein vom Gericht bestellter Psychiater etwa „nach Lage der Akten“ ein Gutachten anfertigen würde. In jedem Falle werde man beim Bundesgerichtshof Beschwerde gegen den jetzt ergangenen OLG- Beschluß einlegen.

„Weder im Ergebnis noch in der Abstimmung“, verlautete gestern lapidar aus dem Bonner Justizministerium, sei „die Sache besonders gut gelaufen“. Deutlicher äußerte sich der Verfassungsschutz. Die Staatsschützer seien „verärgert, daß die Chance, die die Republik zum erstenmal seit 20 Jahren hat, nicht ergriffen wird“. Jeder, der sich auch nur am Rande mit der Problematik auseinandergesetzt habe, wisse, daß mit dem Verdacht der „Psychiatrisierung“ für jeden RAF-Langzeitgefangenen die „absolute Schmerzgrenze weit überschritten“ sei. Außerdem werde keiner der Betroffenen „noch einmal die Waffe in die Hand nehmen“.

Dellwo, Krabbe und Taufer wurden 1975 nach dem Überfall eines RAF-Kommandos auf die deutsche Botschaft in Stockholm verhaftet. Im Verlauf der Besetzungsaktion kamen seinerzeit zwei Botschaftsangehörige und zwei Kommandomitglieder ums Leben. Das OLG Düsseldorf verurteilte die Attentäter 1977 zu lebenslanger Haft. Im vergangenen November beantragten die Gefangenen, ermutigt durch die vom früheren Bonner Justizminister Klaus Kinkel eingeleitete sogenannte Entspannungsinitiative, ihre vorzeitige Entlassung, über die das OLG Düsseldorf als zuständiges Gericht zu befinden hatte. Der 6. Senat erklärte die Freilassung der Gefangenen jetzt für „unmöglich“, weil sie zu einer psychiatrischen Begutachtung nicht bereit seien. Sie könnten jedoch jederzeit erneut einen Antrag zur Aussetzung auf Bewährung stellen, wenn sie ihre Meinung änderten.

Im Verfassungsschutz wird für den Fall, daß der Düsseldorfer Beschluß auch vor dem Bundesgerichtshof Bestand hat, ganz offen über das endgültige Scheitern der sogenannten „Kinkel-Initiative“ nachgedacht. Dann, meinte gestern ein Mitarbeiter des Kölner Bundesamts, könnte das zum „Testfall“ werden: „Macht die RAF nichts, lehnen sich die Politiker noch weiter zurück, macht sie was, geht alles von vorne los, und jeder hat es wieder mal vorher gewußt.“ Gerd Rosenkranz