Ist Botho Strauß ein Faschist?

„Bocksgesang“ heißt Strauß' deutsches Pamphlet im „Spiegel“. Eine Replik  ■ Von Willi Winkler

Früh, so früh, beginnt das Jahr dieses Jahr: Der Fasching noch nicht vorbei, aber schon beschert uns der Spiegel eine härene Kapuzinerpredigt, läßt Asche streuen auf Häupter hoch und nieder. Das restliche Jahr über kann's ja so lustig zugehn, daß es kracht – Salmonellen und Asylantenhetze und Scheidungsgerüchte aus dem englischen Königshaus tanzen Woche für Woche ihr fröhliches Ringelreihen –, aber einmal schlägt man sich doch an die Brust, bereut, beichtet und hofft auf Ablaß. Danach wird in bester katholischer Tradition weitergesündigt: Sex & Gewalt & TV und alles, was sonst noch lustig ist.

Mehr noch als über die S/M- Nummer, die der Spiegel da vollführt, muß man sich über den Dominus wundern, den er sich aus Berlin verschrieben hat. Pater Botho Strauß ist sein geistlicher Beruf eine Berufung; in letzter Zeit besteht sie vornehmlich darin, diese profane Welt zu verabscheuen.

Neulich erst hat er sich wieder furchtbar geärgert. Wohin er schnippte mit der Fernbedienung: überall nur Schrott im TV. Nun weiß zwar jedes Kind, daß im Fernsehen nur Schrott kommt (wenn nicht zufällig eine auf drei Stunden heruntergekürzte Aufzeichnung einer Schaubühneninszenierung von Botho Strauß' „Park“ läuft), aber unser Pater findet alles, alles grauenhaft. Und wie der weiland Abraham a Santa Clara schleudert er sein Krafft-Doitsch hinab ins gemeine Volk, schickt Blitze hinein in Talkshows und Redaktionen und Universitäten, zetert, zerbert, zürnt, als wär er nicht bloß Gottes Stellvertreter auf Erden, sondern der Allmächtige höchstpersönlich.

Aber der Pate meint es, „bei all ihrer Schlechtigkeit“, gut mit den Menschen. Sie sind ja so arm dran, die „Volkszugehörigen“, leiden unter „Demokratismus“ und „Gewaltlosigkeit“, stöhnen unter der Knute „brutaler Affirmation“, ächzen unter der „Konvention des intellektuellen Protestantismus“ und, ach, den „Gewalten des Blödsinns“.

Und was fehlt? fragt der Pater erhobenen Zeigefingers. Es fehlt uns der „große Knall“, es bräuchte halt eine „Resurrektion des Führers“. Endlich ist es heraus: Unter Adolf hätte es das nicht gegeben, keine Sendungen wie „Ich bekenne“ und „Verzeih mir“ (schon weil es bei Adolf kaum TV gab).

„Weder der einzelne noch die Menge unterhalten die geringste Verbindung zu Prinzipien der Entbehrung und des Dienstes oder zu anderen sogenannten preußischen Tugenden, die sich ein Hitler noch nutzbar machte.“ Als der Haider Jörgi mit etwas weniger gewundenen Worten Hitlers Beschäftigungspolitik als beispielhaft pries, mußte er als Landeshauptmann von Kärnten zurücktreten. Pater Botho könnte allenfalls aus seinem Ein-Mann-Konvent austreten, aber das wird sich keiner wünschen.

Ist Botho Strauß also ein Faschist? Das wäre dann zuviel der Ehre. In seinem letzten Pamphlet, das als Nachwort zu George Steiners Kampfschrift „Von realer Gegenwart“ erschien, vergoß er schon einmal heiße Zähren darüber, daß die Welt, nun, da der Führer nicht mehr führen kann, nicht auf sein, auf Bothos, Kommando hört. Die Lage hat sich seither verschärft (es „wird Krieg geben“), er hat schon mal die Springerstiefel angezogen. Mit ihm marschiert, die Blutfahne hoch, die Reaktion. „Der Reaktionär“, hieß es 1990, ist gar keiner, „er schreitet im Gegenteil voran, wenn es darum geht, etwas Vergessenes wieder in die Erinnerung zu bringen“.

Unserm lieben Pater Botho geht es aber um ein wenig mehr als Nostalgie. Er hat den „psychopathischen Antifaschismus“ gründlich satt. Nach den „Böhsen Onkelz“ also jetzt der gute Onkel Botho. Die Schokolade, die er herumreicht, ist zartbitter im Geschmack, aber nicht ganz neu. Der Pater hat inzwischen ein feines, kleines Fähnlein Aufrechter um sich geschart. Die nach 68 in die Jahre gekommenen konservativen Revolutionäre bekämpfen im Walkman den Untergang des Abendlands, bereuen den Vatermord von damals, und manchmal kann man sie beobachten, wie sie verzweifelt an der Nachtglocke des FAZ-Feuilletons reißen. Dessen Herausgeber Joachim C. Fest macht den Zuchtmeister. Zum Jahrestag der Machtergreifung schrieb er vor zwei Wochen in der Frankfurter Allgemeinen: „Dabei beginnt auch die Ahnung zu dämmern, daß eine Gesellschaft der selbstauferlegten Verbote und Restriktionen bedarf.“ Die Neonazis von Mölln verfügten ja nicht mal über eine „rechtsradikale Ideologie“; „viel eher ist da eine Orientierungslosigkeit am Werk, die von der permissiven Gesellschaft selber erzeugt wird“.

Bei Heidegger hieß das glaubich „den Führer führen“. Wie Fest möchte Botho Strauß die rechtsradikalen Jugendlichen, „verwahrloste Kinder“, führen. Wie es sich für einen diplomierten Dichter-Seher-Priester gehört, weiß er ihnen schon zu helfen: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hatten „ursprünglich einen sakralen, ordnungsstiftenden Sinn“. Das wird den nächstbesten Afrikaner und Türken aber freuen, wenn er aufgeklatscht wird. Pater Botho kommt dann vorbei und sprengt ihm mit dem Weihwasser die schönen Worte aufs Grab: „Die Wirklichkeit blutet wirklich jetzt.“

Sturzbetrunkene Sätze sind das, tief geschöpft aus dem Blutbrunnen des Heiligen Deutschland. In Tadschikistan werden noch „Blutopfer“ gebracht, freut sich der Pater, aber hier? Nur Pack, nur „Spötter, Atheisten und frivole Insurgenten“ überall.

Der Feind steht jedoch nicht links, nicht rechts, sondern direkt vor der Nase: da, da im Fernseher. „Ich sehe“, sagt der Seher vom Kreuzberg herab (nicht etwa den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes, sondern:) „zwischen einem Schau- Gespräch und einem Schau-Prozeß nur graduelle Unterschiede in der Vorführung von Denunzierten.“ Ich fürchte, bei diesem tiefgedachten Satz werden Herr Thoma und Herr Böhme sehr, sehr nachdenklich. Und die Hinterbliebenen der Verschwörer vom 20. Juli 1944 wird es freuen, auf die Weise zu erfahren, daß der Schauprozeß vor Roland Freislers Volksgerichtshof immer noch einen Kalauer hergibt.

Als echter Untergangsprophet macht Pater Botho unentwegt den Spengler, raunt von Massen und Eliten, von Niedergang und Verfall und daß viel zu wenig für Einzelgänger, für so feine Kerle wie ihn, getan werde.

Da rackert er sich ab wie nix, und kaum ein Schwein guckt. Da verweigert er sich seit bald zwanzig Jahren der Öffentlichkeit, läßt seine Preise von andern abholen, liest nicht, und dann merkt es keiner!!! Er zieht sich in die Einsamkeit Schönebergs zurück – und es interessiert niemanden. Die Leute interessiert doch nur das große F. Fernsehen wollen sie, Talkshows wollen sie, einer wie der andere ein „deformierter, vergnügungslärmiger Landsmann“, aber nicht lesen, schon gar nicht Botho Strauß.

Vom Büttenpapier bis in die Bütt ist es nur ein lächerlicher Schritt. Gefährlich kokett knistert's, preziös spreizt sich die Meinung, und nebenher dürfen wir einen anderen Niedergang bestaunen, den des großen Sprachmeisters Botho Strauß. Sein steifes, altfränkisches Professorendeutsch liest sich, als würde es Wilamowitz- Moellendorff live aus dem Altgriechischen übersetzen. Sein Widersacher Nietzsche hätte sich wahrscheinlch totgelacht und wäre dann nicht verrückt geworden.

Um Moses zu sein, der die Gesetzestafeln am Fuß des Berges zertrümmert, müßte sich Botho erst einen Bart wachsen lassen und Hörner dazu, damit sein „anschwellender Bocksgesang“ etwas anstößiger wirkte. So aber entbirgt sich sein Bromios („der laute Schrecken“, B.S.) als Konsensschreiber, der alles beraunt, was seit Hans Sedlmayrs „Verlust der Mitte“ (1948) und Hans Egon Holthusens „Unbehaustem Menschen“ (1951) der konservativen Kulturkritik hoch und heilig ist. Der Schwulst, den Botho Strauß im Spiegel jetzt ex cathedra verkündet, findet sich weniger aufwendig, aber ähnlich volksnah, in der Kirchenzeitung Ihres Vertrauens. Gelobt sei Botho Strauß. – In Ewigkeit, Amen.