Es geht um Ansehen, Geschäft und Macht

Die Kulturpolitik des Irans zielt darauf ab, „das betrügerische Gesicht des Westens vor der Gesellschaft zu entlarven“. Offizielle Kulturbeziehungen nützen ausschließlich der iranischen Regierung  ■ Von Fahimeh Farsaie

Es geht nicht um die kulturellen Beziehungen!

Ein konstruktiver Kulturaustausch fordert zwei zuverlässige Partner, die gleichberechtigt und vertrauensvoll ihre „gedanklichen Beziehungen“ planen und durchführen. Die islamische Republik Irans schreibt das Wort „Kultur“ zwar sehr groß, damit meint sie aber ausschließlich die „islamische Kultur“.

Von Anfang an verkündete Khomeini eindeutig und unmißverständlich: „Wir haben diese Revolution gemacht, um die islamischen Gesetze umzusetzen.“ Das gleiche Lied wird auch heute gesungen. Und zwar von Präsident Rafsandschani, der besonders an Beziehungen mit dem Westen interessiert ist und sich darum bemüht. Das Lied bekommt allerdings durch seine spezielle Betonung einen anderen Klang mit einem interessanten Effekt: „... Wir sind die Erben des reinen und echten Islam. Insofern müssen die anderen vor uns Angst haben, wenn es um einen gedanklichen Austausch geht, nicht wir vor ihnen!“ Dies sagte Rafsandschani vor zwei Monaten im islamischen Parlament, als er den neuen Minister für Kultur und islamische Führung, Laridschani, designierte. Als wichtigste Aufgabe seines Amtes nannte er: „dem Einfluß der fremden Schergen“ im kulturellen Bereich „vorzubeugen“. Daraufhin verkündete der neue Minister Laridschani: „Der Minister für Kultur und islamische Führung als ein kulturelles Hauptorgan des Landes darf nicht nur den (westlichen) kulturellen Angriffen gegenüber keine Schwäche zeigen, sondern muß [...] das betrügerische Gesicht des Westens vor der Gesellschaft entlarven.“

Daß diese Äußerungen nach dem Rücktritt des Ministers Khatami gemacht wurden, verleiht ihnen ein besonderes Gewicht. Khatami mußte zurücktreten, weil er der Meinung war, daß man „mit Brandmarken und Lanze“ die Verbreitung des Wortes nicht verhindern kann. Diese Ansicht vertreten die islamischen Regierungsmänner allerdings nicht. Deshalb hat das höchste Gremium im kulturellen Bereich, „Der höchste Rat der Kulturrevolution“, dessen Chef Rafsandschani ist, „die Grundsätze der Kulturpolitik des Landes“ in 112 Paragraphen verabschiedet. Acht wichtige staatliche Einrichtungen sind diesen Grundsätzen unterworfen; u.a. der Minister für Kultur und islamische Führung, die islamischen Rundfunk- und Fernsehanstalten und das Auswärtige Amt, nämlich die offiziellen Partner für Kulturangelegenheiten mit dem Ausland. Sie haben sich nach diesem islamischen „Manifest“ zu richten.

Genau in diesem Rahmen hatdie „Organisation 15. Khordad“ – die die Belohnung für Rushdies Kopf immer höher setzt – am 14. Februar in Teheran ein Seminar zum Thema „die Fatwa und Rushdies Mordaufruf“ veranstaltet, zu dem zahlreiche ausländische Schriftsteller und Lyriker eingeladen wurden.

Also, es geht um Gewalt, den Angriff, die Angst, um das Brandmarken und die Lanze. Wer kann mit dieser militärischen Sprache und diesen Gedanken an einem konstruktiven Kulturaustausch interessiert sein? Wer kann in solch giftiger Atmosphäre von einem gleichberechtigten Geben und Nehmen zwischen zwei kulturellen Welten sprechen? Wer kann behaupten und garantieren, daß die Projekte, die im Rahmen dieses „kämpferischen“ Kontextes durchgeführt werden müßten, den „Konsumenten“ einen sonderlichen Nutzen bringen?

Worum geht es überhaupt? Um die internationale Anerkennung des islamischen Regimes im Iran. Um das Ansehen der islamischen Republik in „der internationalen Gemeinschaft“. Es geht ums Geld, um den herzlichen Empfang des Chefs der Zentralbank der islamischen Republik, Mohamad Aadeli (den Möllemann im Dezember letzten Jahres empfing), und um den zweiten Kredit der deutschen Banken an das islamische Regime in Höhe von vielen Millionen Mark.

Rafsandschani hat bis zur nächsten Präsidentenwahl nur noch sechs Monate, um zu beweisen, daß er alles erreicht und geschafft hat, was er geplant und versprochen hatte; daß er es verdient hat, noch mal gewählt zu werden.

Alles dreht sich um das Ansehen, das Geschäft, die Macht. Kulturelle Beziehungen „normalisieren“ die Verhältnisse. Das muß gestört werden!

Durch einen Kulturboykott? Bringt er nicht das Gegenteil hervor? Trifft er nicht die Falschen? Schadet er nicht den Betroffenen? Der Tenor all derer, die gegen einen Kulturboykott sind, klingt mißtrauisch und pessimistisch. Vor allem sind sie um die potentiellen „Konsumenten“ dieses Austausches besorgt: „Die StudentInnen, die Deutsch lernen wollen, die deutsche Literatur lesen möchten. Die Kulturschaffenden, die von Deutschen ausgebildeten Leute, die vom Weltgeschehen abgeschnitten worden sind“, wie Peter Weidhaas, der Leiter der Buchmesse, sie nennt und zitiert. (taz, 27.9.92).

Peter Weidhaas hat sich wahrscheinlich mit den „falschen“ Leuten im Iran getroffen. Die iranischen Intellektuellen, die sich nicht unbedingt nach der dominanten Kultur im Iran richten, sind vom „Weltgeschehen“ nicht abgeschnitten. Die Berichterstattung über wichtige Kulturweltgeschehen in jeder Literatur- und Kulturzeitschrift zeigt, daß diese Behauptung nicht richtig ist. Die Übersetzungen zahlreicher Neuerscheinungen der Weltliteratur ins Farsi zeigen die Anwesenheit und das Interesse iranischer Kulturschaffender. (Die in London erscheinende iranische Zeitung Kayhan berichtet, daß sogar die „Satanischen Verse“ übersetzt wurden und im Iran mit Neugier und Begeisterung gelesen wurden!)

Die Reisen mancher iranischer Intellektueller nach Europa und in die USA beweisen ebenfalls das Gegenteil dieser Behauptung. Selbst Schahrnoosch Parsipour, die wegen ihrer Erzählung („Frauen ohne Männer“) im Gefängnis saß, ist seit acht Monaten in Europa, Amerika und Kanada unterwegs. Ihre beiden Bücher („Tuba und der Sinn der Nacht“, „Frauen ohne Männer“) werden im Union-Verlag im Frühjahr veröffentlicht. Mahmoud Doulatabadi wurde mehrmals nach Deutschland eingeladen und nahm an verschiedenen Veranstaltungen und Lesungen teil. Zwei Bücher von ihm („Der leere Platz von Ssolutsch“ und „Die Reise“) sind bereits im Union-Verlag erschienen, und sein drittes Buch (ein Roman in zehn Bänden: „Klidar“) wird zur Zeit von Sigrif Lotfi übersetzt. Farideh Laschaie, eine bekannte Malerin, hat ihre von der Natur inspirierten Bilder in mehreren Städten Deutschlands ausgestellt. Ali Sarkuhi, der Chefredakteur der Kulturzeitschrift Adine (Freitag), die nicht zu den offiziellen Printmedien des Irans gehört, hielt vor ein paar Monaten literarische Vorträge in mehreren Städten Europas. Musikgruppen (Folklore und klassische Musik Irans – Schadjarian, Nazeri) und Theatergruppen (Ssadegh Hatefi) machen ständig und überall lange Tourneen... Selbstverständlich könnte man diese Liste weiter ergänzen!

Dies alles findet nicht auf einer staatlichen Ebene, nicht im Rahmen eines Kulturabkommens, nicht anläßlich einer offiziellen Kulturbeziehung statt. Und gerade deswegen läuft es so frei, ohne irgendeinen staatlichen Einfluß, ohne Zensur, Einschränkung und Empfehlung. Diese Veranstaltungen sind zustande gekommen, weil hier ein autonomes iranisches Zentrum und da ein deutsches Kulturhaus sich darum gekümmert haben. Oder das Interesse dieses Verlages oder jene Konferenz dies gefordert haben.

Natürlich bekommt ein Kulturaustausch in bestimmter Hinsicht andere, größere und vielfältigere Dimensionen, wenn er staatlich geplant und veranstaltet werden soll. Vor allem, was den Austausch der offiziellen islamischen Kultur und die Werke derer betrifft, die sich nach dieser dominanten Kultur richten.

Jede/r kann aber gerne auf diese Großartigkeit und Vielfalt verzichten, denn: „Redefreiheit ist das Leben“, wie es Salman Rushdie ausdrückte.

Fahime Farsaie ist Schriftstellerin. Sie wurde in Teheran geboren, 1972 wegen einer kritischen Erzählung für 18 Monate inhaftiert und floh 1983 in die Bundesrepublik Deutschland.