piwik no script img

Ein serbo-kroatisches Zwischenspiel

In Zentralbosnien geht der Krieg zwischen Muslimanen und Kroaten weiter/ Da die Kämpfe zwischen Serben und Kroaten nachließen, konnten Kroaten ihre Truppen gegen Muslime einsetzen  ■ Aus Travnik Erich Rathfelder

Die zehn Lastwagen des UNO- Konvois haben ein erstes Ziel erreicht. Langsam klettern die britischen Soldaten aus ihren Fahrzeugen. Aus der Ferne ist das Knattern der Maschinenpistolen zu hören. „Donnerstag, 11.Februar 1993, 11.30Uhr. Leichte Kampftätigkeit in Gornji Vakuf“, meldet Anne Lotter, seit 14 Tagen Presseoffizierin bei den britischen UNO- Truppen in Bosnien-Herzegowina, per Sprechfunk an die Zentrale ihrer Truppen. „Wir werden jetzt warten, bis sich die Lage beruhigt, dann fahren wir weiter. Warrior- Panzer werden die Straße durch die Kampfzone für uns absichern.“

Dies ist immerhin eine positive Nachricht. Denn die Straße hier ist nicht nur die Hauptroute für die Hilfstransporte in das Innere Bosniens. Seit dem 24.Januar, als die Kämpfe in Zentralbosnien begannen, ist das gesamte, noch unter der Kontrolle der bosnischen Regierung stehende Gebiet von der Außenwelt abgeschnitten worden. Auf der „Piste“, wie die im Frühsommer vorigen Jahres entstandene und seit Monaten von UNO- Truppen ausgebaute Trasse genannt wird, fahren nur noch wenige Autos.

Selbst die UNO hat ihre Fahrten reduziert. Lediglich die Hälfte der rund tausend Tonnen Hilfsgüter, die allein die UNHCR, die Hilfsorganisation der UNO, normalerweise täglich in die Region schleust, kann im Moment befördert werden. Und da die Hilfslieferungen der humanitären Organisationen ausfallen – denn, so Lotter, „die erhalten keinen militärischen Geleitschutz“ –, ist wiederum mit Engpässen für die Versorgung der Bevölkerung in Sarajevo oder Tuzla zu rechnen. „Wenn die Kämpfe noch lange anhalten, dann werden wir wohl wieder mit dem Hunger auch im inneren Bosniens konfrontiert sein.“ Die Lage in den von serbischen Streitkräften umzingelten ostbosnischen Gebieten bei Goražde und Srebrenica sei sowieso katastrophal. „Dort sind allein an einem einzigen Tag in der vergangenen Woche 42 Menschen am Hunger gestorben.“

Die Sonne des Februartages bringt die spärlichen Eisreste am Straßenrand zum Schmelzen. Zwar sind die Nächte noch eiskalt, das Thermometer fällt weit unter minus 10 Grad, doch erste Anzeichen des Frühlings sind nicht mehr zu übersehen. Darüber können sich die Menschen um Gornij Vakuf aber nur wenig freuen. Denn gerade die günstige Witterung hat die Kriegstätigkeit befördert. Hätte die serbische Artillerie, die nur noch acht Kilometer entfernt ist, bei hohem Schnee und Eiseskälte bewegt werden können?

Die jetzt fallenden Schüsse jedoch stammen nicht aus serbischen Gewehren: Der unerklärte Krieg zwischen den Streitkräften der selbsternannten kroatischen Republik Herceg-Bosna HVO und bosnisch-muslimanischen Territorialeinheiten geht trotz mehrerer Waffenstillstandsabkommen weiter.

Das Signal zur Weiterfahrt nach Gornij Vakuf wird gegeben. In Abständen von jeweils 200 Metern sind britische Panzer in Stellung gegangen und sichern mit ihren Kanonen den Konvoi. Links und rechts tauchen die ersten zerstörten Häuser auf. Ein Dachgeschoß brennt. Niemand ist zu sehen. Nur auf der andere Seite des Flusses stehen einige bewaffnete Männer und Frauen im Schutze eines Innenhofes. Es ist jedoch nicht zu erkennen, welche Seite sie unterstützen. Die Kroaten haben die Oberhand gewonnen, ohne den Widerstand der Muslimanen vollständig zu brechen, erklären britische Soldaten, die den Weg fast täglich fahren. In der 25.000 Einwohner zählenden Stadt, wo 56 Prozent sich bei der Volkszählung als Muslimanen und 42 Prozent als Kroaten definierten, ist nicht nur die muslimische Altstadt zerstört worden.

Gekämpft wird nicht nur in Gornij Vakuf. Auch in der etwa 60 Kilometer entfernten Stadt Busovača und den von dort südlich in Richtung Sarajevo gelegenen Dörfern sind Muslimanen und Kroaten aneinandergeraten. Nach wie vor tobt der Propagandakrieg. Sprechen kroatische Offiziere von 10.000 muslimischen Kämpfern, die nach den ersten Schüssen in Busovača von Zentralbosnien aus auf die Stadt marschierten, so klagen muslimanische Soldaten die kroatischen Streitkräfte der Herzegowina der systematischen Vertreibungspolitik an. In Busovača sollen 350 Menschen, darunter 250 Frauen und Kinder, in einem Lager über eine Woche lang von den kroatischen Streitkräften festgehalten worden sein.

Mißtrauen wächst zwischen den ehemals Verbündeten. Selbst in den Cafés, wo heute noch alle gemeinsam an Kaffee und Schnäpschen nippen, kommt es immer häufiger zu lautstarken Diskussionen.

„Erst vor vier Tagen wurde mein Cousin in Novi Travnik auf offener Straße von betrunkenen HVO-Soldaten erschossen. Nur so, zum Spaß. – Und auch hier in unserer Stadt, in Vitez, kann es jeden Tag zur Katastrophe kommen,“ berichtet Nina K., eine sechzehnjährige Schülerin. Denn alle diese Städte und Dörfer haben eines gemeinsam: sie sind von Kroaten und Muslimanen in etwa gleichen Anteilen bewohnt. „Die bosnische Polizei kann gegen solche Übergriffe nichts tun. Würde sie die Mörder meines Neffen verhaften, wäre in Novi Travnik der Teufel los“, fügt die Mutter der Schülerin hinzu. Und das passiere angesichts einer militärischen Situation, in der die Fronten gegenüber den serbischen Streitkräften keineswegs gesichert seien.

Denn nach wie vor ist Travnik – eine Stadt in der neben 80.000 Einwohnern inzwischen 120.000 Flüchtlinge leben – von den serbischen Streitkräften bedroht. Immerhin hat die serbische Artillerie die historische Altstadt verschont. Die Moscheen, von denen einige Ende des vierzehnten Jahrhunderts gebaut, heute zu den kostbarsten Baudenkmälern Südosteuropas gehören, sind bisher ebenfalls unbeschädigt geblieben.

Die vielen frisch aufgeworfenen Gräber auf den Friedhöfen am Burghang sind Zeichen der Trauer. „Es ist schon zum Verzweifeln, die Auseinandersetzungen spielen doch nur den Tschetniks in die Hände.“ Der junge Mann will die Welt nicht mehr verstehen. „In Travnik kämpfen wir doch alle zusammen.“ Er selbst, ein Serbe und echter Bosnier, wie er sagt, – sein Vater ist Serbe, seine Mutter Muslimanin, seine Frau Kroatin – kämpft in der bosnischen Armee.

Hier, in dieser Stadt, kaum 60 Kilometer nördlich von Gornij Vakuf gelegen, ist einer der wichtigsten strategischen Punkte des Krieges. Gelänge es den Tschetniks in Travnik durchzubrechen, stünde ihnen der Weg nach Sarajevo offen. Das Herzland Bosniens wäre dann völlig eingeschlossen. „Das sind kroatische Extremisten, die uns in den Rücken fallen.“

Ist dies der wirkliche Grund? Zefir N., ein etwa dreißigjähriger ehemaliger Fuhrunternehmer schüttelt den Kopf. „Die Extremisten sind in der politischen Führung der sogenannten kroatischen Republik Herceg-Bosna. Die wollen sich doch nur das holen, was ihnen in Genf zugesprochen wurde.“ Nach dem Vance-Owen-Plan würde Gornij Vakuf, die Gegend um Busovača und auch Travnik selbst an die kroatischen Bezirke fallen. „Schon jetzt wollen sie die Kontrolle haben, deshalb haben sie die bosnische Armee in diesen Städten angegriffen. Europa und die Welt haben es ihnen leicht gemacht.“

Zefir wirkt traurig und resigniert. Europa verstehe die bosnischen Muslime nicht. Er spreche Englisch und nicht arabisch, er reiste früher nach Paris und Berlin, in die USA und nach Kanada und nicht nach Saudi-Arabien, er rauche (leider) und halte die religiösen Regeln nicht ein. Er sei ein aufgeklärter Europäer wie alle anderen und habe mit der arabischen Welt doch gar nichts zu tun.

„Indem man uns zur islamischen Gefahr erklärte, konnten Vance und Owen Bosnien aufteilen. Das Resultat sehen sie ja. Und auch der Clinton-Plan scheint da keine Besserungen zu bringen. Denn auch dieser hebt das Embargo nicht auf. Warum bringt man uns nicht gleich alle um? Wir wollen keine Almosen, keine Hilfslieferungen, sondern echte Hilfe. Helft uns, Goražde, Srebrenica und Sarajevo zu befreien.“

Der Kommandant der bosnischen Armee in Travnik, Ahmed Kulenović, glaubt noch immer, daß ein Waffenstillstand möglich ist. Der Mann verweist darauf, daß die Kommandeure der kroatischen HVO in Travnik schon in der jugoslawischen Armee mit ihm zusammengearbeitet hätten. Der neue Waffenstillstand, der von den beiden Oberkommandierenden der kroatischen HVO, Mile Petković und der Armee Bosniens, Zefer Halilović, für Montag, den 15.Februar beschlossen wurde, könnte diesmal halten. „Es ist ein kategorischer Befehl ergangen, die Schützengräben einzuebnen und wieder zusammenzuarbeiten.“

Hier in Travnik, wo die Bosnische Armee 80 bis 90 Prozent der Frontkämpfer stelle, gebe es bisher keine Probleme. Anders als damals bei dem Fall von Jajce, der ebenfalls nur durch die Kämpfe zwischen Kroaten und Muslimanen möglich wurde, sei seine Armee auf solche Auseinandersetzungen nun besser vorbereitet. „Beide Seiten haben Fehler gemacht. Und die kroatische HVO hat ihre Ziele nicht erreichen können.“

Der Befehl, die Kontrolle über die im Vance-Owen-Plan den kroatischen Provinzen zugeschlagenen Gebiete zu übernehmen, sei nach der prinzipiellen Entscheidung der Serben, den Plan zu akzeptieren, ergangen. Und zwar von dem designierten Verteidigungsminister Bosniens, dem Kroaten Bozo Rajić: Ein Hinweis darauf, daß die Aktion im voraus vorbereitet worden war, sei die Tatsache, daß schon um den 20. Januar kroatische Artillerieeinheiten von Tomislavgrad nach Gornij Vakuf verlegt worden waren. „Wissen Sie, es ist doch auffallend, daß der Kampf um den Kuprespaß zwischen Serben und Kroaten bei Tomislavgrad abgeebt ist. So konnten die Kroaten ihre Artillerie dort abziehen und Gornij Vakuf beschießen.

Ist das serbo-kroatische Zusammenspiel in Bosnien schon so weit gediehen? Vor der Hauptpost von Busovača, im Hauptquartier der Kroatischen HVO in der Stadt, herrscht Nervosität. In den Nachbargebäuden haben sich schwer bewaffnete HVO-Soldaten niedergelassen. Die Patrouillen, die an jeder Straßenecke stehen, halten ihre Waffen schußbereit. Es sind nicht unbedingt freundliche Blicke, die sie den Journalisten zuwerfen. Erst als Darjo Korić, ein 32jähriger Politikwissenschaftler aus der Herzegowina und Vizepräsident der selbsternannten Republik Herceg-Bosna, kommt, erhellen sich die Mienen. Zunächst weist Korić alle Spekulationen über ein Zusammenspiel mit der serbischen Seite zurück.

Doch läßt er klar erkennen, daß „Europa und die Welt das Gebiet bis Travnik und Jajce“ den Kroaten zugesprochen habe. „Wir werden auch den Clinton-Plan akzeptieren, der unsere Interessen hier nicht berührt. Wir akzeptieren jede Lösung.“ Und die könnte darin bestehen, daß den Serben ein Korridor zur Krajina bei Brčko zugestanden würde. „Der wird zwar schmal wie ein Bleistift. Doch würde dieses akzeptiert, dann könnte schon in vier Wochen Frieden sein.“

Die Voraussetzung hierfür wäre, daß die bosnische Armee aus den im Vance-Owen-Plan beanspruchten Gebieten zurückgezogen würde. Davon kann jedoch keine Rede sein. „Selbst Gornij Vakuf ist noch nicht vollständig in kroatischer Hand. Und die Lage um Busovača ist auch nicht klar“, sagt ein bosnischer Militär, der ungenannt bleiben will. Nun wolle die Welt die bosnische Regierung für die Weiterführung des Krieges verantwortlich machen. Dabei habe sie selbst die Situation herbeigeführt, weil das Land entlang ethnischer Kriterien geteilt werden solle. Das aber könne Bosnien niemals akzeptieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen