Eingeklemmt zwischen Ost und West

Ein paradoxer Erlaß zum Bleiberecht aus dem sächsischen Innenministerium: Ein Äthiopier, der in Westdeutschland bleiben könnte, wird aus Sachsen abgeschoben  ■ Von Bettina Markmeyer

Berlin/Chemnitz (taz) – Für den Äthiopier Reta Bedada Leulseged hat die Wiedervereinigung nicht stattgefunden. Das allein wäre wenig bemerkenswert, zerfällt doch auch den Deutschen ihr „einig Vaterland“ nach wie vor in zwei real existierende Teile. Den 28jährigen Leulseged aber könnte das, was die Deutschen bloß Nerven kostet, das Leben kosten.

Der 1985 als Student in die DDR eingereiste Äthiopier muß und will in Deutschland bleiben. Ordnungsgemäß beantragte er in Chemnitz eine Aufenthaltsbefugnis. Doch Sachsen will ihm nicht gewähren, was in den alten Ländern oder Berlin längst üblich ist. Für den Äthiopier begann eine Odyssee zwischen den Behörden in Ost und West, deren letzter Grund in einem absurden Erlaß aus dem sächsischen Innenministerium zu suchen ist.

Die bundesweite Altfallregelung, die äthiopischen Flüchtlingen ein Bleiberecht gewährt, wird im Freistaat nämlich so interpretiert, daß sie keinem Betroffenen zu einem Aufenthalt verhelfen, wohl aber herangezogen werden kann, um die Anträge der ÄthiopierInnen abzulehnen. Was den Ex-Studenten Leulseged zu der Feststellung veranlaßt, es sei „nicht fair, durch verschiedene Hindernisse den Weg zu versperren und uns ins Unmögliche zu führen“.

Sein Weg ins Unmögliche dauert nun schon ein Jahr und zwei Monate. Am 30.Dezember 1991 beantragte er bei der Ausländerbehörde des Chemnitzer Landratsamts eine Aufenthaltsbefugnis und teilte der Behörde auch die rechtliche Grundlage seines Ansinnens mit: „Aufgrund der Beschlüsse der Innenministerkonferenz [vom 3.Mai 1991, die Red.] habe ich jetzt die Möglichkeit, eine Aufenthaltsbefugnis zu erhalten, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen. Äthiopische und afghanische Staatsangehörige, die bis zum Dezember 1988 in das heutige Bundesgebiet eingereist sind, erhalten eine Aufenthaltsbefugnis. Ein vorheriges Asylverfahren ist nicht erforderlich.“ Zweieinhalb Monate später lehnte Chemnitz den Antrag ab und befahl ihm, bis zum 31.März 1992 „das Bundesgebiet zu verlassen“. Andernfalls werde er abgeschoben. „Es wird eingeschätzt“, verbreitete sich die Behörde in bestem Beamten- Deutsch, daß weder „ein Härtefall“ noch „erhebliche Abschiebungshindernisse vorliegen“.

Leulseged war 1985 als Student nach Chemnitz, damals noch Karl- Marx-Stadt, gekommen, schloß sein Ingenieur-Studium im Frühjahr 1991 mit dem Diplom ab und besuchte – ebenfalls erfolgreich – einen Kurs der Münchener Management-Akademie. Dazwischen aber lag ein Rückkehrversuch in das von den letzten Bürgerkriegswirren vor dem Sturz des Mengistu-Regimes zerrissene Äthiopien, der ihn verzweifelt wieder nach Deutschland trieb. Sein Vater war gestorben, seine Mutter schwer krank. Sie starb noch während seines Aufenthalts. Sein Bruder kämpfte im Bürgerkrieg, die Schwester war nach Kenia geflohen. Sein Heimatort, 300 Kilometer von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt, war teilweise zerstört. Hunger und die Kämpfe der verfeindeten Volksgruppen bestimmten den Alltag. Was er sich in sechs harten Uni-Jahren angeeignet hatte, interessierte niemanden. – Am 11. März 1992 legte Leulseged in Chemnitz Widerspruch gegen die Verweigerung der Aufenthaltsbefugnis ein. Einen Tag später stempelte ihm die Ausländerbehörde sein Ausreisedatum in den Paß. Das zuständige Regierungspräsidium weigerte sich, über seinen Widerspruch zu entscheiden. Daß der für diesen rechtswidrigen Akt zuständige Sachbearbeiter inzwischen vom Dienst suspendiert wurde, nützte Leulseged indes nichts.

Er floh von Chemnitz – wo bis heute nicht über den Widerspruch entschieden ist – nach Berlin, weil er dort FreundInnen hat, weil er deprimiert war und heimatlos, weil sein Erspartes zusammenschmolz und weil er auf Hilfe hoffte. Er meldete seinen neuen Wohnsitz an und beantragte erneut – diesmal bei der Berliner Ausländerbehörde – eine Aufenthaltsbefugnis. Ohne Erfolg. Zuständig sei und bleibe Chemnitz. Man könne nichts für ihn tun. Wohl aber gegen ihn: Neuerdings wird Leulseged vorgeworfen, er halte sich illegal in Berlin auf.

Seit Dezember letzten Jahres führt nun die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John wegen der „Aufenthaltsangelegenheit Leulseged“ einen Briefwechsel mit dem sächsischen Innenminister Heinz Eggert, um diesen zu einer Bleiberechtsentscheidung „nach der allgemeinen Verwaltungspraxis der Bundesrepublik“ zu bewegen. Die Korrespondenz enthüllte den Beteiligten schließlich das Wesen des sächsischen Sonderwegs für ÄthiopierInnen. Im Erlaß vom 9.Dezember 1991 heißt es, „daß äthiopische Staatsangehörige, die bis zum 31.12. 1988 eingereist sind und sich als Asylbewerber oder de facto Flüchtlinge im Freistaat Sachsen aufhalten, Aufenthaltsbefugnisse erhalten, soweit keine Ausschlußtatbestände vorliegen“.

Bekanntlich konnte in die DDR aber niemand als AsylbewerberIn einreisen, da die Grenze nicht eben leicht passierbar war, vor allem aber weil in der demokratischen deutschen Republik kein Asylrecht existierte. Folglich kann sich der sächsische Erlaß – wie selbst der Referent für Ausländerangelegenheiten im Innenministerium, Jochen Vierheilig der taz bestätigt – nur auf ÄthiopierInnen beziehen, die bis Ende 1988 in die damalige Bundesrepublik eingereist sind. KeinE äthiopischer StudentIn aus der Ex-DDR kann also im heutigen Sachsen in den Genuß einer Aufenthaltsbefugnis gelangen: weil dies der Erlaß, der sie gewähren sollte, ausschließt.

Nein, absurd sei das nicht, meint Vierheilig. Schließlich sei denkbar, daß ein äthiopischer Asylbewerber von Westdeutschland nach Sachsen umzöge und sich dann auf die Altfallregelung berufen wolle. Wieviele Fälle er kenne? Nun, so direkt keinen. Ob Leulseged jetzt Asyl beantragen solle, um als äthiopischer Asylbewerber eine Aufenthaltsbefugnis in Sachsen erwirken zu können? Nein, das hätte er dann schon bis Ende 1988 tun müssen. Aber da war er doch noch glücklich, ein afrikanischer Student in der völkerfreundlichen DDR... Eben, heißt es in Dresden. Eben weil Leulseged als eineR der äthiopischen StudentInnen kam, „die in die DDR einreisten mit dem Ziel, nach ihrer Ausbildung zurückzukehren und im Heimatstaat das Erlernte umzusetzen, ist das Anliegen der Altfallregelung nicht gegeben“. So schrieb es das sächsische Innenministerium an die Berliner Ausländerbeauftragte. Barbara John startete daraufhin ihren vorerst letzten Versuch. „Die sogenannte Altfallregelung für Flüchtlinge aus Äthiopien ist geschaffen worden“, so John, „weil ihnen die Rückkehr nicht zugemutet werden soll. Warum sollte der Student weniger gefährdet sein als ein abgelehnter Asylbewerber?“ Im Vergleich zu äthiopischen AsylbewerberInnen (West) werde dem Ex-Studenten (Ost) „Unrecht getan“, wenn ihm die Aufenhaltsbefugnis verweigert werde. Die Antwort aus Dresden steht noch aus.

Reta Bedada Leulseged wartet weiter – wohnhaft in der wiedervereinigten Hautstadt, aber eingeklemmt zwischen Ost und West. „Studiert zu haben“, sagt er, „ist keine Garantie dafür, nicht in Äthiopien zu sterben.“