Tarkowskis tropfende Häuser

■ Sergej Bodrows „Ich wollte Engel sehen“ im Forum

Nat wohnt im Keller. Es tropft. An Wänden läuft es herab, brackige Lachen spiegeln das Kerzenlicht. Da denkt man natürlich gleich, wie übrigens auch beim wunderschönen, treuwachenden Hund in Kusturicas „Arizona Dreams“: Guter alter toter Tarkowski! Irgendwie hat er ja immer genervt mit seiner Tümelei und Mystik, aber irgendwie wäre es doch mal wieder schön, einen neuen Tarkowski-Film zu sehen — nur müßte er wirklich von Tarkowski sein. Das Berückende an Tarkowskis tropfenden Häusern war ja, daß sie für etwas anderes standen, als man selber zunächst empfand. Bei Tarkoweski waren sie Metapher für Heimat und Naturverbundenheit, für Familie sowie die gesamte russische Dichtung und Religion. Der Held trat hinaus, legte sich neben den treuwachenden Hund in den Schneematsch und kraulte ihm das vor Nässe stumpfe Fell. So sah bei Tarkowski das Glück aus.

Bodrows tropfender Keller — der ehemalige Weinkeller Iwans des Schrecklichen, behauptet Nat — steht für genau das, was man selber bei seinem Anblick zunächst empfindet: Unglück, Unbehaglichkeit. Unbehaust in Ruinen muß Rußlands Jugend hausen. Rußland ist ein morscher Bau, Moskau eine aufgegebene Stadt, darin leben noch ein paar Versprengte. Aber es hält sie nicht. Nats Hund ist auch schon weggelaufen.

In seinen früheren Forumsbeiträgen, die „Nichtprofessionellen“ und „SER/Die Freiheit ist das Paradies“, erzählte Bodrow von Reisen. Hier nun zeigt er einen Ort, der selbst verfällt und an dem nichts und niemand Dauer hat. Einen kurzen, schön gefilmten Moment der Nähe erleben Nat und Bob im tropfenden Keller. Dann trampt Nat nach Süden, Bob, der gefallene Engel auf einem Motorrad des Baujahrs 61, wird genau von dem Mafioso erschossen, den er selbst im Auftrag des Bosses erledigen sollte, und Kosyr bricht sich auf Bobs Motorrad den Hals — Nat hatte es ihm im Tausch gegen Madonnas Adresse gegeben.

Der tropfende Keller erinnert an Tarkowski, das Muster der eher aneinander vorbeilaufenden als sich begegnenden, in ihre Projektionen eingeschlossenen Figuren eher an Jarmusch, die Engel auf Motorrädern an Fritz Lang, die dazu tönende Rockmusik an „Easy Rider“. Der Film handelt von Haltlosigkeit und bleibt selber statisch. Zusehr bedeuten Bodrows Bilder und Motive genau das, was man im ersten Moment in sie hineinliest. Bodrow schafft es nicht, wie Tarkowski, sie gegen ihr Klischee zu verrücken. In einem anderen Haus hat es sich Bodrow mit seinen Unbehausten gemütlich gemacht — im Kino. Thierry Chervel

Sergej Bodrow: „Ich wollte Engel sehen“, Rußland 1992, 83 Min. Mit Alexej Baranow, Natalja Ginko u. A.