Literaturpostler streng am Text

■ Freie Schreibgruppen in Bremen: Die „Literaturpost" trifft sich in der Villa Ichon

Gibt es eine freie Literaturszene in Bremen? Kreative SchreiberInnen, die sich literarisch ausdrücken und mit ihren Texten eine Öffentlichkeit suchen? Das Bremer Literaturkontor weist in seinem Monatsprogramm auf sechs Veranstaltungen, zu denen sich nicht-professionelle AutorInnen treffen. Die taz will sie der Reihe nach besuchen. Heute: Die „Neue Literaturpost Bremen“ in der Villa Ichon.

In den Hochzeiten des „Schreiben kann jeder“, vor 10 Jahren etwa, entstand die „Bremer Literaturpost“. Wenn sie auch niemals die Bandbreite ihres berühmten Hamburger Vorbildes, des Literaturpostamtes von Frederike Frei erreichte, so funktionierte doch auch die Bremer Literaturpost nach einem schönen postkommunikativen Prinzip: Autoren sandten ihre Texte ein, und erhielten dafür die Texte ihrer KollegInnen zugeschickt, die sie wiederum kommentieren konnten. Eine kleine, für die Ansprüche der SchreiberInnen gerade richtige Öffentlichkeit entstand.

Nichts davon findet so noch statt. Seit vielen Jahren trifft sich stattdessen eine einigermaßen feste Gruppe zweimal im Monat, um ihre Texte von Angescht zu Angesicht vorzulesen und zu diskutieren. Ab und zu bringen sie ein Textheft heraus, ab und zu geben sie öffentliche Lesungen, zum Beispiel auf der Breminale. LiteraturpostlerInnen sind sie nur noch insofern, als ihre Veröffentlichungen per Abonnement von bisher 10 Nichtmitgliedern bezogen werden.

Am heutigen Abend in der Villa Ichon haben sich sieben Literaten getroffen, sechs LehrerInnen (Männer und Frauen drei zu drei), ein Psychologe, alle so zwischen 30 und 50 Jahre alt: „Die übliche Konstellation“, sagt Leiter Manfred Mossmann, der dienstälteste Literaturpostler (seit 1986).

Sie können schreiben, diejenigen die heute abend lesen, und sie können offensichtlich Kritik vertragen. Ulrike Kuckero charakterisiert in einem halbautobiographischen Text die Situation eines Mädchens, das auf der Polizei den Mann identifizieren soll, der ihr im Park „sein Ding“ gezeigt hat. „Ich bin doch ein bischen beklommen“, sagt sie nach der Lesung, aber die anderen bohren jetzt nicht in einer möglichen Wunde, sondern loben (klarer Stil) und kritisieren (zu lang), beides immer mit dem deutlichen Hinweis, daß es sich dabei um eine persönliche Einschätzung handelt.

Die Gruppe ist offen für Neuankömmlinge, diese aber müssen sich der Tatsache stellen, daß Manfred Mossmann ein gekonnter Alltagsanekdotenschreiber ist, und Hans-Martin Sänger ein geübter Satiriker, und daßalle zusammen die Arbeit an den Texten so ernst nehmen, daß mit bloß freundlich aufmunternder Bestätigung nicht gerechnet werden kann. Demnächst erscheint ein neues Textheft (“Nachrichten“), das in einer Lesung vorgestellt wird. Man darf, im alten Literaturpost-Gedanken, eigene Texte zum Thema einsenden. Cornelia Kurth

Neue Bremer Literaturpost, Pf. 103644