Sanssouci
: Nachschlag

■ Christo Bakalski und Heinz Nigg zeigten Berlin-Filme im Gropius-Bau

Der Anspruch des „Berliner Forums für Geschichte und Gegenwart“ war ein hehrer. Im Gropius-Bau, im lausekalten Kinosaal, sollten die zwei Videofilme des Bulgaren Christo Bakalski und des Schweizers Heinz Nigg ein Berliner Publikum befremden. Im kalten Blick der Bildermacher und Ethnologen, so der explizierte Wunsch, möchte Berlin sich spiegeln – gleichsam „von außen sehen“ – und in einer „spannenden Diskussion“ jubilierend als ein anderes, neu, erkennen. Es kam anders. Das für Berlinale-Zeiten überraschend große Publikum fand in den beiden Videofilmen nichts wieder als den eigenen Blick von vor zwei Jahren: Fremd erschienen die Bilder aus der längst vergangenen Wende-Gegenwart allein als die schon eingetroffene Vergangenheit der frühverstorbenen Zukunft.

Dies aber ist in erster Linie wohl auf einen Fehlgriff des Veranstalters zurückzuführen. Das „Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart“ nämlich, ein lockerer Zusammenschluß historisch und museal arbeitender Leute in Berlin, hatte ein wenig vorschnell den Blick des Ausländers als einen notwendig fremden Blick vorausgesetzt: Im Zeitalter des universalisierten Tourismus aber bedarf dies wohl ausgebuffter intellektueller und technologischer Strategien.

Der fremde Blick auf das andere lag zumindest weder im Vermögen von Christo Bakalski, der seit Jahrzehnten in Deutschland zu Hause ist, noch war er von ihm beabsichtigt. Im Gegenteil. Eine Liebeserklärung an das Berlin des Umbruchs und der neuen Wege sollte sein Film sein, so erklärte er, verwirrt durch den Vorwurf des Romantizismus, des Klischees und der Verfallsästhetik. Einer Liebeserklärung entsprach der Film zweifellos in weiten Teilen. Die Erklärung, die er abgab, war in jenen Maßen liebevoll, in denen man zu dem einen freundlich ist, weil man einen anderen liebt. Von diesem anderen aber kann Bakalski nicht sprechen in einem Film, den er in Berlin und Sofia als Städtebild ans Fernsehen verkaufen will. Drei Frauen, die er liebt in dieser Stadt, kommen zu Wort, in ihren langen Monologen und seinen langen Blicken durch eine Kamera, die, wenn sie nicht auf ihren Gesten ruht, sanft über graue Fassaden und lichte Mauerstreifen schweift: Landschaftsbilder aus einem Arkadien, die ihm nichts und nicht weniger sind als die Symbole einer Verehrung: „Ich liebe Berlin, ich fühle mich hier wohl, ich habe ein gutes Gefühl zu diesen drei Frauen in dieser Stadt, die hier ihr Leben gefunden haben. Das ist nicht möglich überall.“ Ob die Liebeserklärung in diesem filmischen Wechselspiel eines verliebten Blicks mit den langen Reden der Geliebten ihre Erfüllung fand? Bakalskis Liebe zu den drei Berlinerinnen bleibt dem Kinopublikum verborgen. Dieses sieht Berlin-Bilder, die langsam-poetische Ereignisgeschichte einer längst vergangenen Wendezeit: Möglichkeiten und Wünsche einer Zwischenzeit, so offen wie die langen Spaziergänge im Niemandsland zwischen den Mauern. Historisches Material für bessere Zeiten.

Der Film von Heinz Nigg ist nicht einmal dies. Was der Schweizer Ethnologe und Videoschaffende mit seinem Reise-Video „Kalter Frühling – Berlin – Hauptstadt des Dritten Reichs – eine Annäherung“ veranstaltete, ist weder Historie noch Ethnologie, sondern Ideologie. Daß diese als subjektive Suche daherkommt – als die Suche eines nicht nur gutmeinenden, sondern zudem noch netten Menschen –, macht das nicht besser. Heinz Nigg versetzt sich in seiner Video-Suche in eine Lage, in der er objektiv schon ist: In die Lage des Geburts-Begnadeten, der als 43jähriger die Nazi-Zeit als zwar noch dräuende, aber gleichwohl als Geschichte statt als unmittelbare Gegenwart erlebt. Berlin hat er so qua Schulpflicht als eine Stadt erkannt, die in den zwanziger Jahren boomte vor Aufklärung und Lebenslust und die kurz darauf in eine grauenhafte Agonie verfiel. Ausgerüstet mit diesem Code also reist er nach 89 erstmals nach Berlin, die bang-binäre Frage schon auf dem Tonband: Welche der beiden Epochen dieser Stadt werde ich hier wohl wiederfinden? Nun, wie gesagt, Heinz Nigg meinte es im Jahre 1991 gut mit uns, er fand die Faschisten noch nicht, sondern „eine Stimmung der zwanziger Jahre“, und engagierte Freunde, „die mich heimisch sein lassen in Berlin, obwohl ich noch nie da war“. So spricht seine Stimme aus dem Off. Die Bilder aber zeigen nicht die Heimat unter Freunden, sondern Filmausschnitte: Die Montage üblicher Berlin-Ansichten mit jenen alten Bildern, die wir als Kinderkino „Emil und die Detektive“ bis zum Pflichtprogramm der Nazi-Wochenschauen allesamt und immer wieder in unser alltägliches Imago von Berlin integrieren. Die Sprache unseres Unbewußten, die Nigg mit seinen Montagen sprechen lassen will, aber wird damit wenig berührt, kaum daß das Archiv der unsichtbaren Kräfte, welches dem Video in seiner reflexiven Dialogizität zu eigen ist, auch nur geöffnet wird. Der „Kalte Frühling“ spult nur unser aller inneren Film noch einmal ab. So war die Vorführung denn auch nur Auslöser für eine Diskussion, die uns seit je schon eigen ist: Hilflos plätscherten Fragen nach der Aufarbeitung unserer Geschichte; Lehrerinnen redeten über die (Un)Zumutbarkeit schockierender Bilder in Dachau und Auschwitz, eine Frau mit grauem Pferdeschwanz bekam einen fürchterlichen Hustenanfall. Die Fragen waren wohlmeinend, drängend und geübt. Und sie erfahren auch nach dem deutschen Paradigmenwechsel von 1992 – dem Wechsel von der Verdrängung der Nazi-Zeit zu ihrer verblödeten Affirmation – keine Entwicklung. Statt dessen verkündet Udo Gösswald, der verantwortliche Veranstalter, im leicht pastoralen Tonfall des altgedienten Geschichtshandwerkers, was jeder in der Runde weiß: daß man hier, im düster-kalten Kinosaal, auf historischem Grund sitzt, mit der Käthe-Niederkirchner-Straße zur Rechten und der „Topographie des Terrors“ zur Linken; daß die Arbeiten am Dokumentationszentrum aber leider weiter verschleppt werden..., daß es noch viel zu tun gibt. Fritz von Klinggräff

Der Film „Kalter Frühling“ samt einem Gespräch mit Heinz Nigg wird am 22.2. um 20 Uhr im FAB ausgestrahlt.