Rot-grüne Koalition gerettet – Maulkorb bleibt

■ Niedersachsens Landtag debattiert über Rassismus-Thesen von Minister Trittin

Hannover (taz) – Nein, Gerhard Schröder wollte gestern im Niedersächsischen Landtag der FDP nicht bestätigen, daß jene strittigen Thesen über „Rassismus in Deutschland“ von dem Grünen- Minister Jürgen Trittin persönlich verfaßt worden sind. Gleich dreimal beschäftigt sich das Landesparlament in dieser Woche mit einem Thesenpapier, das als Grundlage für einen Vortrag des Bundesratsministers Trittin in London dienen sollte und es zum Nutzen des rot-grünen Koalitionsfriedens dann doch nicht geworden ist.

Dieser Frieden ist wiederhergestellt: Mit knappen Dementis bügelte Ministerpräsident Gerhard Schröder gestern alle Nachfragen der Opposition zu Trittins Vortrag in London ab. Damit wird auch aus dem heutigen CDU-Antrag auf „Entlassung des Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten“ wohl nichts werden. Es ist schon der dritte Oppositionsantrag dieser Art, und die Ablehnungen sind rot-grüne Routine.

Die Thesen über „Rassismus in Deutschland und die Festung Europa“, die die Pressestelle des Bundesratsministeriums vor vierzehn Tagen als Manuskript des Grünen- Ministers verteilt hatte, waren allerdings auch beim SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Johann Bruns auf Widerspruch gestoßen. Trittin hat sie anschließend in einem Brief an Bruns als „unautorisiertes Manuskript“ bezeichnen müssen. Dem Vorwurf, auch die SPD habe den Rassismus in Deutschland hoffähig gemacht, habe er in seinem Vortrag auf dem Londoner Forum des Goethe-Instituts nicht erhoben. Aus inhaltlichen wie aus sprachlichen Gründen (mangelnde Englischkenntnisse) sei er weit von der Vorlage abgewichen, schrieb Trittin. Eine vom Goethe-Institut gefertigte Zusammenfassung des Vortrags bestätigt dies.

An dem ganzen Vorgang ist eigentlich nur interessant, was ein Minister der Grünen in Koalition mit der SPD nicht mehr sagen darf. Die Thesen sehen im Rassismus in Deutschland „keine Randerscheinung, sondern ein Massenphänomen“. Im Herbst 1992 hätten 51 Prozent der Deutschen die Parole „Deutschland den Deutschen befürwortet“, heißt es dort. Dieser Rassismus sei kein Verarmungsphänomen, sondern vor allem ein Ausdruck von Wohlstandschauvinismus. Er sei die Verteidigung relativer Besitzstände gegen eine gerechtere Ordnung der internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen. Der Abstand zwischen den Lohnniveaus in reichen und armen Ländern sei mit Produktivitätsunterschieden nicht erklärbar. Man könne von einer „ethnisch begründeten Positionierung in der Weltwirtschaft“ sprechen. Mit den Kampagnen gegen „Wirtschaftsasylanten“ und „Asylbetrüger“ hätte insbesondere die CDU/CSU, aber auch große Teile der SPD den Rassismus in Deutschland überhaupt erst hoffähig gemacht. Die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl dränge Flüchtlinge, denen die Einreise doch noch gelänge, in die Illegalität, die wiederum den Rassismus fördere. „Europa ist ein Einwanderungskontinent“, geben die Thesen eine nun nicht gerade neue Erkenntnis wieder.

„Hätte Herr Trittin in London die Rede gemäß den Thesen gehalten, hätten wir ein großes Problem“, hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Bruns vorgestern in der ersten aktuellen Thesen-Stunde des Landtags gesagt. Erst durch den distanzierenden Brief Trittins seien für die SPD die entscheidenden Punkte klargestellt worden. Jürgen Trittin selbst und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Thea Dückert griffen in der Debatte nur noch die Propaganda der CDU gegen Flüchtlinge an. Damit war der Koalitonsfrieden gerettet, der Maulkorb für Jürgen Trittin aber bleibt. ü.o.