Schalck-Golodkowski in Posemuckel

Ein innovativer Newcomer will den Berliner Markt der Stadtrundfahrten skandalträchtig bereichern  ■ Von Günter Ermlich

„Auf den Spuren der Hugenotten – Stadtspaziergang zur Geschichte der französischen Einwanderer“; „Von der Stalinallee zur Mainzer Straße: Der Friedrichshain“; „Friefhöfe an der Bergmannstraße“. Der Markt der Möglichkeiten, eine Stadt oder ein Stadtviertel zu erkunden, per Bus oder per pedes, diversifiziert sich zusehends. Berlin ist auch hier eine Fundgrube: immer mehr Kleinveranstalter, wachsende themenspezifische Angebote, kleinteiligere Besichtigungsorte. Das „Dickicht der Städte“ wird von einem Geflecht von Busfahrten, Spaziergängen, S-Bahn- und Schiffstouren überzogen.

Kaum hat sich die alternative Berliner Stadtrundfahrt zu „Stätten der Revolution '89“, von drei jungen Ostberliner Kulturfreaks des „Museums für verbotene Kunst“ fachkundig in Szene gesetzt, etabliert, da treibt die Existenzgründungswelle im Sightseeing-Gewerbe schon die nächste Blüte: Der Kleinveranstalter „Scandal-Tours“ mit Sitz in Ostberlin steuert ausschließlich „Originalschauplätze des verbürgten Skandals“ an. „Die Touristen wollen nicht immer nur langweilige, immer wiederkehrende Denkmäler, Opernhäuser und Kirchen vorgeführt bekommen“, erläutert Herbert Kuhnert von „Scandal- Tours“. „Was die Leute wirklich interessiert, das sind die Orte handfester, hautnaher Skandale, auch wenn es mal unter die Gürtellinie geht.“

Mit seinen zwei Mitstreitern hat Kuhnert über ein Jahr lang intensiv in Archiven recherchiert, Skandalorte von außen und innen in Augenschein genommen und sich mit den Genehmigungsbehörden in Verbindung gesetzt. Kürzlich fand im Kreis Auserwählter die Jungfernfahrt statt. Das Echo war vielversprechend. Deshalb erhoffen sich die drei jungdynamischen „Skandalierer“, wie sie sich selbst scherzhaft nennen, großen Zulauf. „Gerade in Berlin, wo die Mauer als der anziehende Magnet der früheren Frontstadt ausgedient hat“, erklärt Kuhnert, „müssen jetzt attraktive touristische Knallbonbons her.“

Und die haben Kuhnert & Co. parat: Das Chambre separée, in dem Heinrich Lummer sich von seiner Stasi-Dame becircen ließ; die Lagerhallen in Mühlenbeck vor den Toren Berlins, wo KoKo- Schalck-Golodkowski seine Schieberware hortete; Sascha Andersons Wohnhaus im Bezirk Prenzlauer Berg; die klandestine Zwischenlagerstätte des großen Lenin- Denkmals, dessen Einzelteile von gewieften Lenin-Spechten bereits in Umlauf gebracht werden ... und und und. Doch das Konzept, besonders die Auswahl der Skandalschauplätze, überzeugt noch nicht hundertprozentig. „Wir haben darüber hinaus noch eine ganze Menge in petto“, erwidert Kuhnert vielsagend, „das verraten wir aber noch nicht.“

Auch die Brache Potsdamer Platz will „Scandal-Tours“ anfahren, solange es sie noch gibt. Warum? „Ist es etwa kein Skandal, daß der Momper-Senat damals die Filetgrundstücke an Daimler und Sony zu Kotelettpreisen verscherbelt hat?“ antwortet Kuhnert. Apropos Momper: die Ellinghaus- Bude am Ku'damm, wo Meister Momper sich jetzt als Immobilienfritze verdingt, soll auch angesteuert werden.

„Vor dem Schöneberger Rathaus“, erzählt Kuhnert zur Gestaltung, „lauschen wir dann dem Gegröhle der historischen Viererbande Kohl, Momper, Brandt und Wohlrabe, wie sie am 10. November 1989 in schönster Disharmonie vom Balkon herunter unsere Nationalhymne malträtierten.“ Auch weitere musikalische Fingerzeige wie die der Münchner Freiheit mit „Skandal im Sperrbezirk“ oder „Shame and scandal in the family“ sollen auf der Fahrt für gute Laune sorgen.

Dem Newcomer auf dem Markt der Stadtrundfahrten ist es gelungen, einige prominente DDR- Großkopfete als Zugpferde vor ihren Karren zu spannen. Sogar ehemalige SED-Politbüro-Mitglieder wie Günther Schabowski sollen sich dem Vernehmen nach nicht zu schade sein, in beratender Funktion mitzuarbeiten.

Die skandalöse Sightseeing- Idee ist in Deutschland ein Novum. Ihr Vorbild stammt aus der amerikanischen Hauptstadt Washington. Kuhnert macht kein Hehl aus seinem Berliner Plagiat. „Über kurz oder lang wäre doch garantiert jemand anders in diese Marktlücke gestoßen.“ Während seines letztjährigen Urlaubstrips war der 37jährige arbeitslose Lehrer per Zufall auf die skandalträchtige Washingtoner Tour gestoßen. „Dort machen Schauspieler den Rundfahrtgästen regelrechte Szenen“, schwärmt Kuhnert. „Die Begrüßungsworte spricht beispielsweise ein George Bush. Er kündigt eine ,Hauptstadt voller Skandale‘ an. Auf diese Art werden jede Menge Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufs Korn genommen: Ex-Präsidentengattin Barbara Bush, Ex-Schauspieler Ronald Reagan, Ex-Watergate- Sündenfall Richard Nixon.“ Derweil zuckele der Bus an Kapitol, Pentagon und dem Weißen Haus vorbei. „So richtig schön tratsch- und klatschhaltig wurde die Tour“, so Kuhnert mit glänzenden Augen, „als unser Bus das Hotel Vista passierte.“ Hier bannte man Washingtons Bürgermeister Barry bei der unvorsichtigen Drogenaufnahme auf Zelluloid.

„Ohne Zweifel ziehen Sex- Skandale am schärfsten“, weiß Kuhnert. Der unbestrittene Höhepunkt der Washington-Tour war für ihn das herrschaftliche Haus, in dem sich Gary Hart mit Fotomodell Donna Rice zum heimlichen Tête-à-tête traf. Zur Erinnerung: Als die Affäre ruchbar wurde, kostete das Harts Kopf als Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Eine wahre Fotografierorgie ging vor dem Haus los, gibt Kuhnert zu Protokoll, und vertraulich gesteht er: „Auch ich habe mitgeknipst.“

Kann sich denn Berlin/Hauptstadt der BRD mit Washington skandalmäßig auch nur annähernd messen? „Berlin hat seine Qualitäten und wird uns genug Skandalnachschub bescheren“, hält Skandal-Kuhnert dagegen. So richtig schön ausbaufähig werde die Tour wohl aber erst sein, relativiert er dann nach Sekunden der Reflexion, „wenn die ganze Bonner Mischpoke in Berlin endlich Einzug hält“. Deshalb sind die drei von „Scandal-Tours“ auch „für die konsequente Umsetzung des Hauptstadtbeschlusses und den unverzüglichen Umzug der Bonner Regenten und Administratoren und Sekretärinnen“. Schade, daß so ein eingespieltes Duo wie Lafontaine/ Klimmt mit Schlägern in der Staatskanzlei und schönen Kontakten zur Unterwelt nicht seinen Wirkungskreis in Berlin habe, bedauert Kuhnert. Doch dafür setzt er voll auf „Olympia 2000“ und hofft auf die anhaltende Geschenkempfänglichkeit der IOC-Honoratioren“. Bis es soweit ist, werden sich die „Skandalierer“ wohl oder übel mit hausgemachten Posemuckel- Skandälchen der Berliner Pflanzen über Wasser halten müssen.

Übrigens: Im April oder Mai soll's dann richtig losgehen mit den ersten echten Scandal-Tours.