Die Feinen und die Bösen

Wer mit den Moden durch die Achtziger ging, wird sicher noch ein paar Naziklamotten im Schrank haben. Bloß ist das heute nicht mehr so lustig. Die Party ist vorbei, reden wir über sie!  ■ Von Bodo Morshäuser

Die Stellungnahmen und Talkshows zum Thema Rechtsextremismus reißen nicht ab, inzwischen hat fast jeder, dem ein Mikro vorgehalten wurde, gesagt, für ihn seien die Brandanschläge völlig unerwartet gewesen. Auffälligerweise waren es gerade die gebildeten, an diesem Thema länger schon arbeitenden Menschen, die am konsterniertesten feststellten, daß dieser offene Haß für sie überraschend gekommen sei.

In der Bundesrepublik gab es drei Phasen, in denen rechtsextreme Parteien eine Rolle spielten: Anfang der Fünfziger, Ende der Sechziger und Anfang der Achtziger. Daß der 1982 gewählte Bundeskanzler eine geistig-moralische Wende versprochen hat, ist ihm von Linken übelgenommen worden. Daß er sie nicht vollzogen hat, ist ihm von Rechten übelgenommen worden. Seit 1983 kursierte deshalb in der rechtsextremen Szene der Begriff „Wendebetrüger“, der die Kohls meinte. Daß es einen Rechtsruck, also eine gesamtgesellschaftliche Bewegung nach rechts von Anfang der Achtziger bis heute gegeben hat, wissen Verfassungsschützer zu berichten. Anfang der Achtziger ist eine Aussage wie „Das Boot ist voll“ von ihnen noch als rechtsextremistisch eingestuft worden. Anfang der Neunziger zählte dieser Satz zum Repertoire aller bedeutenden Parteien. Und was Anfang der Achtziger noch New-Wave-Spielmasse war, wie Pullover mit Hakenkreuzen, Songzeilen wie „Unsere Stiefel sind so schwarz“, das wird in den Neunzigern wiederaufgenommen – allerdings nicht im Spiel, sondern im Ernst.

Und nicht nur das. Seit Mitte der Achtziger haben DDR-Behörden Skinheads registriert und mit ihnen erhebliche Schwierigkeiten gehabt; größere als mit den DDR- Punks. Die Erkenntnisse darüber sind seit Januar 1990 öffentlich zugänglich. Wieso wundern sich so viele, daß diese Entwicklung nach der Einheit nicht abgenommen hat, sondern, unterstützt durch den Rechtsruck und eine aufwiegelnde „Asyldebatte“, angeheizt worden ist?

Der Rechtsextremismus der Neunziger ist die logische Fortsetzung des Rechtsextremismus der Achtziger. Er ist keine neue Erscheinung. Die rechte Szene hat zehn Jahre lang von der Ignoranz der Mehrheit und von deren eigenem Rechtsruck profitiert. Verständlich, daß man sich daran nicht erinnern will.

Umgewertete Werte

Die Sechziger und Siebziger waren Jahrzehnte inhaltlicher politischer Auseinandersetzungen, die Achtziger waren das Jahrzehnt des Bestreitens von Inhaltlichem. Die Jugendlichen der Achtziger hatten kaum eine andere Wahl. Sie litten unter den Inhalten. Diese hatten die Alten besetzt. Eine Jugend aber ist dazu da, die Alten vom Thron zu stoßen und die Werte umzuwerten. Also wurde es mehr und mehr eine Waffe im Dialog mit den Inhaltsgläubigen, die Bedeutung von Inhalten zu leugnen und die Bedeutung von Strukturen, in denen diese Inhalte immer wieder zum Tragen kommen, zu betonen. Weg mit dem Politischen als Denkkategorie! Laßt die Alten in ihrer Inhaltsgläubigkeit verrecken! Wir reden einfach nicht mehr über deren Inhalte! Undsoweiter.

Um 1980 hat fast jede Jugendströmung von Ideologien der Ungleichheit geborgt, sie waren Mode (und sind inzwischen ein Merkmal des Rechts- wie Linksextremismus). Was damals an Subkultur entstand, waren Alternativen zur sozialdemokratisch regierten Gesellschaft. Das langhaarig-vollbärtige Toleranz- und Harmonieideal ödete einen an; zu viele öffentliche Plätze waren von diesen Gestalten besetzt. Der junge Mensch wollte nicht im Hängemattenasyl großwerden, konnte es vielleicht, wegen des Modernisierungsschubes, auch nicht, und grenzte alles aus, was nicht modern war. Dies geschah nicht durch Diskussion, sondern mit Denunziationen. Ältere wurden nicht inhaltlich, sondern ästhetisch bekämpft. Man sagte nicht, man habe was gegen Kommunismus, sondern man habe was gegen lange Bärte und finde Stalin gut. Gegen eine Gleichheitsbeschwörung wurde am liebsten eine Ungleichheitsbehauptung gesetzt– um zu schockieren. Viele Achtzigerjahrejugendliche handelten angesichts der Umzingelung durch Harmonieangebote in Notwehr so, daß sie nach außen hin konservative Formen und Muster behaupteten. Sie mußten sich noch nicht die Frage stellen lassen, ob sie nicht etwa reaktionär handelten. Ein Teil der Jugend nahm eine geistig-moralische Wende vorweg, die wenige Jahre später durch einen Bundeskanzler angekündigt werden sollte. Jedoch blieb es bei der Ankündigung. Er ist halt der Ankündigungskanzler.

Nachdem 1983 meine Erzählung „Die Berliner Simulation“ erschienen war, fragte man mich öfter nach dem Begriff der Simulation, um herauszukriegen, inwieweit ich Simulation für wirklichkeitsstiftend oder -ersetzend hielt. Man erwartete von mir aus dem dekonstruktionistischen Pool entnommene Argumente, die die Wirklichkeit neu interpretierten. Ich hingegen sagte meistens zur Enttäuschung der Fragesteller, wenn Blut fließe, dann sei das Blut echt, und keine Simulation.

Im Westen nichts Neues

Diesen Gedanken bestätigen uns heute die Opfer jener inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi, die in den Achtzigern Jugendliche waren und dachten, sie könnten mit der Stasi zusammenarbeiten. In ihren Rechtfertigungen klang immer wieder durch, daß Information nicht inhaltlich, sondern kybernetisch betrachtet wurde. Der Tenor der Erklärungsversuche der Stasi- Künstler vom Prenzlauer Berg, warum man sich zutraute, mit der Stasi zu sprechen, ohne Schaden anzurichten, lautete: Wir haben es als Spiel gesehen, als Verstopfung von Informationskanälen, nicht als Weitergabe von Information, die zu blutiger Wirklichkeit werden könnte. Auch dies ist eine bekannte Denkfigur aus den Achtzigern, von französischen Inspirationsphilosophen verbreitet, von ihren Jüngern nachgebetet. Es ist ein Welterklärungsmodell, das Inhalte nicht wichtiger nimmt als Strukturen, in denen Inhalte eine Rolle spielen. Da man davon ausgehen kann, daß die Stasi in alldem kein Spiel gesehen hat, ist die These vom Spiel nett, aber gefährlich.

Das philosophische Spielfeld der Achtziger und die Realität krachten im Osten zusammen, im Westen nicht. Denn im Westen war es wirklich nur ein Spiel. Und wirklich: Im Osten war es ernst. Die Unterschätzung der Inhalte und die Überschätzung von „Strukturen“ hatten diese Prenzlbergverräter gemein mit manchen West-Jugendlichen der Achtziger, die sich mit ähnlichen Denkmodellen gegen die Älteren stemmten. Im Westen Deutschlands wäre die gleiche Generation (meine) der gleichen Gefahr ausgesetzt gewesen, wenn ähnliche Bedingungen geherrscht hätten. Viele hätten nicht anders gehandelt als die Männer und Frauen vom Prenzlauer Berg.

Mehrmals habe ich am Prenzlberg das Argument gehört, Biermanns Generation, das seien Leute mit einem anderen Politikverständnis. Das gleiche im Westen. Die Jugend der Achtziger hatte die Nase voll von einem in politischen Kategorien vernagelten Denken und war gierig auf alles, was die politikgeilen Besserwisser alt aussehen ließ. Das ewig Bedeutungsschwere und -schwangere und Wahrheitstriefende galt es wendig und geschickt zu unterlaufen. Das wurde geradezu eine Spezialität der Jugend der Achtziger. Im Westen wie im Osten.

Yesterday's Heroes

Die Aussage, man könne die Achtziger nicht mit den Neunzigern vergleichen, höre ich meistens von Menschen, die in den Achtzigern selber jung waren und die es nun, in den Neunzigern, in aller Tollheit nicht mehr gewesen sein wollen. Manche Helden der Achtziger tun alles, um als solche nicht in Erinnerung zu bleiben. Ist es jedoch nicht zu verhindern, so arbeiten sie daran, Retuschen an dem Bild der Achtziger vorzunehmen. Sie wollen sich aus dem Bedeutungsfeld eines Mißverständnisses schaffen, das vielleicht gar keines ist. Man hatte zehn Jahre lang Zeit einzusehen, daß Inhaltsverweigerung nicht Inhaltslosigkeit, sondern selber Inhalt ist. Die Entscheidung, sich nicht zu entscheiden, ist die Entscheidung dafür, andere entscheiden zu lassen.

1982, als NS-Chic und Bolchevique-Chic im „Dschungel Berlin“ getragen wurden, als DAF sangen „Tanz den Adolf Hitler“ und „Unsere Stiefel sind so schön“, verkaufte die Künstlerin Rosemarie Trockel Pullover, in die neben anderen Zeichen kleine Hakenkreuze eingestrickt waren. Wie jene Moden und jene Musik schienen auch diese Pullover ein Beleg

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dafür zu sein, daß man nun über alles freier reden, mit allem spielerisch umgehen könnte. Vielleicht war es eine Errungenschaft der Achtziger, daß gelernt wurde, mit allen möglichen Elementen und Inhalten spielerisch zu verfahren. Diese Fähigkeit bedeutet ja nicht, daß man dazu verurteilt ist, Inhalte gar nicht mehr wahrzunehmen.

Zehn Jahre später aber behauptet einer der Wortführer der Achtzigerjahrejugendlichen, Diedrich Diederichsen, derselbe Pullover der Rosemarie Trockel habe 1992 eine andere Bedeutung. Nun hat ihn ein Musiker der Rockband „Störkraft“ im Fernsehen getragen. „Störkraft“ ist eine sogenannte rechtsextreme Rockband. Auf einem Frankfurter Podium empörte sich Diederichsen darüber, daß der Musiker diesen Pullover nicht trug, um mit ihm zu spielen, sondern daß er ihn trug, weil er ernst meinte, was so hübsch in ihn eingestrickt ist. Diederichsen nimmt den Rechten der Neunziger übel, daß sie sich Zeichen aus den Achtzigern borgen, die ihnen offenbar nicht so fern sind. Diederichsen bringt die Achtziger also doch mit den Neunzigern in Verbindung – allerdings ausschließlich zu dem Zweck, diese Verbindung zu bestreiten. Der Zauberlehrling fuchtelt. Gebannt schaut man ihm zu. Dies ist nicht die Zeit für Simulationstheorien. Geschichte wird wieder mit Blut geschrieben.

Hakenkreuz-Chic

Was hat diesen Pullover innerhalb von zehn Jahren verändert? Was hat Diederichsen innerhalb dieser zehn Jahre verändert? So wendig wie möglich versucht er, kurz bevor man ihm sagen könnte, damit mußt du jetzt leben, Junge, das hast du doch gut angerührt, sich auf die eine Seite von zwei wie Sauerbier angebotenen Meinungsmöglichkeiten zu schlagen: 1992 hängt er den Linken raus. Er will nicht auf der falschen Seite gestanden haben. Aber er hat vergessen, daß es einmal darum ging, auf keiner Seite zu stehen. Und schließlich standen für dieses Bewußtsein auch die Songs der DAF und die Pullover der Rosemarie Trockel.

Diederichsen ist zu Recht beleidigt. Die Sache geht ihm so nah, wie sie ihm auch zu gehen hat. In seinem Buch „Sexbeat“ hat er verraten, auf welchem Mist sein Denken wuchs: „Es ist klar, daß die Second-Order-Generation, also wir, ihren fundamentalen Erkenntnissprung hatte, als sie der Mittel und Wege habhaft wurde, die es ermöglichten, die Inhalte zu vergessen.“ Das Problem nur ist: Die Inhalte kehren wieder. Und hier und heute sind sie nun „im Ernst“ wieder da: das Hakenkreuz, der faschistische Gruß, das Jungvolk-Outfit.

Wurde nicht die Achtziger lang auf der Zeichenebene alles vorbereitet, und ist es nicht so, daß man sich nun nur noch zu bedienen braucht? Wer mit den Moden durch die Achtziger ging, wird noch ein paar Naziklamotten im Schrank hängen haben. Wenn er die heute unbedacht anzieht, riskiert er – zumindest in manchen Berliner Bezirken – Kopf und Kragen, und zwar in echt.

Diederichsens Abarbeiten an der Frage, ob Nazikultur Subkultur sein kann, wirft selber noch mal ein Licht auf den für die Achtziger typischen Tick, Nebenschauplätze zu Hauptschauplätzen zu machen. Diederichsen begnügt sich damit, rechtsextremen Rockbands Subkultur-Eigenschaften abzusprechen – womit er sich nur aus deren Traditionslinie ziehen will.

Jetzt wäre darüber zu sprechen, worüber am Prenzlauer Berg inzwischen gesprochen werden mußte. Was geschah in der Subkultur, als dieser Rechtsruck Anfang der achtziger Jahre begann? Wie war das mit dem Revival der Dreißiger und Vierziger in den Achtzigern? Die Party ist vorbei. Reden wir über sie! Warum sollte das Hakenkreuz neulich keine Bedeutung gehabt haben? Was gefiel uns daran? Was haben wir übersehen?

Bodo Morshäuser ist Schriftsteller und lebt in Berlin.