Wird Ostdeutschland zum Billiglohnland?

■ Auch in Sachsen-Anhalt und Brandenburg sind die Revisionsverhandlungen für die Metalltarife gescheitert/ Arbeitgeber bleiben stur und kündigen Verträge auf

Berlin (taz) – Dem Osten steht ein heißer Frühling bevor: Nachdem die sächsischen Arbeitgeber am Donnerstag nach erfolglosen Schlichtungsgesprächen den Stufentarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie aufkündigten, gehen beide Tarifpartner nun auf Konfrontationskurs. Die Kündigung sei aus einer „reinen Notstandssituation“ heraus erfolgt, da man sich mit dem Tempo der Lohnangleichung in den neuen Ländern völlig übernommen habe, verteidigte Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Dieter Kirchner den in der Tarifgeschichte einmaligen Schritt. Die Gewerkschaften sehen dagegen in der Aufkündigung eine „Provokation“, die sie auf keinen Fall hinnehmen würden. Schließlich müßten sich die Arbeitnehmer darauf verlassen können, daß der 1991 vereinbarte Stufentarifvertrag auch eingehalten werde, so der DGB-Vorständler Michael Geuenich.

Wie schon in Sachsen und Thüringen ist gestern die Schlichtung auch in Sachsen-Anhalt und Berlin/Brandenburg gescheitert. Die IG Metall warnte die Arbeitgeber davor, denselben Weg wie in Sachen zu gehen und den geltenden Tarifvertrag vorzeitig zu kündigen. Wer die Metaller vor die Frage „Kämpfen oder Kneifen“ stelle, so hatten die Gewerkschafter bereits angedroht, der müsse mit Arbeitskämpfen rechnen.

Arbeitgeber und Gewerkschaften hatten sich in dem Stufenplan darauf geeinigt, die Metall-Tarife in Ostdeutschland bis 1994 auf das westdeutsche Niveau anzuheben. Zum 1. April dieses Jahres sollten die Ost-Gehälter von 71 auf 82 Prozent steigen, was bei den eingerechneten Tariferhöhungen im Westen einem Gesamtumfang von 26 Prozent entsprochen hätte. Den Tarifsprung lehnten die Arbeitgeber jedoch kategorisch ab – sie wollten lediglich einen Inflationsausgleich von neun Prozent zahlen. In der ostdeutschen Metallindustrie sind derzeit noch rund 300.000 Arbeitnehmer beschäftigt, über die Hälfte davon in Treuhand-Betrieben. Nach Auffassung der Arbeitgeber würde die Lohnangleichung vor allem den Kleinbetrieben den Garaus machen und Tausenden ihren Arbeitsplatz kosten, da Lohnkosten und Produktivität immer weiter auseinanderlaufen. Die Gewerkschaften befürchten, daß ohne den Stufenplan der Osten Deutschlands auf Dauer zur Billiglohnzone degradiert werde. Hart ins Gericht mit den Arbeitgebern ging auch der Schlichter der sächsischen Revisionsverhandlungen, der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel. Er warf dem Industrieverband vor, er hätte die Schlichtung vorsätzlich scheitern lassen, um anschließend den Stufentarifvertrag kippen zu können. Erwin Single