Der Bildersturm der Bürokraten

Denkmalschützer und Kunsthistoriker aus 15 osteuropäischen Ländern tauschten ihre Erfahrungen im Umgang mit den Denkmälern der Heroen der kommunistischen Epoche aus  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Im Zentrum von Tirana stürzten im Februar 1991 jubelnde Albaner das zehn Meter hohe Denkmal des Diktators Enver Hodscha vom Sockel. Wenige Monate später fiel vor der Lubjanka in Moskau das Denkmal des Tscheka- Gründers Feliks Dzierzynski und wiederum einige Monate später in der Innenstadt von Riga die gewaltige Lenin-Statue. Die Götter des Kommunismus wurden vom Volk gestürzt, der Volkszorn hinterließ nur leere Sockel. War dies ein Bildersturm von unten, Teil einer sozialen Bewegung, die die Abbilder der alten Vorbilder vernichten mußte, um etwas Neues schaffen zu können? Oder ist inzwischen in ganz Osteuropa das normal, was in Ostberlin im November 1991 geschah? Hier wurde gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung per Verwaltungsakt angeordnet, das Lenin-Denkmal in Friedrichshain abzureißen. Die Demontage kostete die Steuerzahler 500.000 Mark.

Um dies zu diskutieren und um Bilanz zu ziehen, trafen sich am vergangenen Wochenende zum ersten Mal Denkmalschützer und Kunsthistoriker aus 15 osteuropäischen Ländern in Berlin. Das Motto der dreitätigen Tagung hieß „Bildersturm in Osteuropa – Die Denkmäler der kommunistischen Ära im Umbruch“. Veranstalter waren der „Internationale Rat für Denkmalpflege“ (ICOMOS) und das „Institut für Auslandsbeziehungen“ (Stuttgart). Der Tagungsort, die ehemalige sowjetische, jetzt Botschaft der Russischen Föderation Unter den Linden, war mit Bedacht gewählt. Hier stand einst die zaristische Botschaft, und auf den Trümmern des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Baus ließ Stalin in dem ihm eigenen historisierenden Stil einen gewaltigen Neubau errichten. Heute ist er nicht nur Zeugnis der sowjetischen Architekturgeschichte, sondern ein Dokument, das ideologische Auswirkungen auf das Bauschaffen der jungen Republik haben sollte. Das Haus symbolisiere Stationen der sowjetischen und deutschen Geschichte bis in die Gegenwart, sagte der Leiter der Denkmalschutzbehörde, Helmut Engel, zu Beginn der Tagung. Er zeigt, daß der „Verzicht auf Zerstörung nicht den Verzicht auf Veränderung bedeutet“. Und in diesem Sinne gab er den Kollegen aus dem Osten die Bitte auf den Weg, die Denkmäler der vergangenen Epoche zu bewahren, denn die Vernichtung bewirke das Vergessen und „schließe damit die Gefahr von Wiederholungen ein“. Eine Auffassung, die ihn in Widerspruch zu einer vom Berliner Senat eingesetzten Kommission über die Zukunft der politischen Denkmäler bringt. Denn die empfahl, ohne Engel zu hören, kürzlich der Stadt, den 1986 errichteten, 13 Meter hohen bronzenen Thälmann-Kopf am Prenzlauer Berg zu demontieren. Ihre knappe Begründung: „Wenn ein Herrschaftssystem verfällt oder gestürzt wird, so verlieren die von ihm geschaffenen Denkmäler, soweit sie zur Legitimation und Festigung des Herrschaftssystems dienten, grundsätzlich ihre Existenzberechtigung.“

Was die Berliner als Handlungsanweisung für die Zukunft formulieren, ist aber in Osteuropa schon längst Praxis geworden. Ob in Rußland, Ukraine, Albanien, Rumänien, Polen oder in den baltischen Staaten, in keiner einzigen Hauptstadt, dies machten die Berichte deutlich, zieren noch Lenin- Monumente die zentralen Plätze. Verschwunden sind auch ein Großteil der lokalen Heldendenkmäler. Das Überraschende: Die allerwenigsten fielen wie in Albanien und zum Teil auch in Bulgarien der „spontanen Volkswut“ zum Opfer, also „Bildersturm“ im klassischen Sinne, sondern die Demontagen wurden genau wie in Berlin administrativ beschlossen, abgesegnet von Sachverständigenkommissionen und später ordnungsgemäß von Bauarbeitern entsorgt. Die Geschichte wiederholt sich hier. Zu Beginn der jeweiligen kommunistische Epoche verschwanden die Zeugnisse der Zaren oder, wie im Baltikum, der Republiken zugunsten von heroischen Monumenten, und in allen Ländern wurden ab 1956 die Abertausende von überdimensionierten Denkmälern für „Väterchen Stalin“ vernichtet. „Das Verschwinden von Objekten ist die Norm, das Erhalten die Ausnahme“, sagte der französische Kunstwissenschaftler Dario Gamboni und meinte damit kollektive Zerstörungen durch Machtwechsel von der Spätantike bis heute. Das Besondere beginne erst, wenn Denkmalschützer sich in diesen Prozeß einmischen und sich über die Aneignung der Symbole als „Kunstwerke“ Gedanken machen.

Daß die Klassifizierung – bewahrenswertes Kunstwerk oder Serienpropaganda, die auf den „Müllhaufen der Geschichte“ gehört – nicht einfach ist und in jedem Land, sogar in jeder Region unterschiedlich diskutiert wird, war das eigentliche Ergebnis der Tagung. In der Westukraine, dort, wo die Freiheitsbewegung RUCH das Sagen hatte und die ökonomische Lage schwierig ist, gibt es seit Ende 1990 fast überhaupt keine kommunistischen Denkmäler mehr, berichtete Bogdan Tscherkes. Sie wurden sämtlich zerstört und als Baumaterial verwendet. In der Zentralukraine hingegen findet man gelegentlich noch Lenin- Statuen, und in der Südukraine sowie auf der Krim, dort, wo die Kommunisten mit Erfolg die Autonomiebestrebungen der Krimtataren abwehren, werden sogar heute noch neue gebaut. Anders in Weißrußland. Hier wurden zwar 1990 massenhaft Monumentaldenkmäler einschließlich der Sockel abgetragen, aber noch gibt es einige „hervorragende Objekte“, die die gegen das Volk durchgedrückte Zwangskollektivierung heroisieren, dazu noch Tausende von Lenin-Büsten. Im Baltikum hingegen machte man nicht viel Federlesens mit den „Okkupationszeugnissen“, berichtete Ants Hein aus Tallinn. Zwar gäbe es Ideen eines stalinistischen „Anti- Memorials“ und auch den Vorschlag eines Monumentenparkes „in Art des Tivolis“, aber viel Erfolg werden solche Initiativen nicht haben. Buntmetallschieber haben Denkmäler massenhaft eingeschmolzen, und das Volk habe die „Bronzegötzen“ so gründlich satt, „daß schon der Gedanke, sich mit ihnen wieder zu befassen, Abscheu erregt“, so Heins. Wie vom anderen Stern mußte ihm der Bericht des slowakischen Denkmalbeauftragten Stefan Slachta vorkommen. Nach der ersten Abrißwelle habe sich der Slogan „Wir sind nicht so wie die...“ durchgesetzt. Seit zwei Jahren werde kein Denkmal mehr zerstört.

Auch im weiten Rußland, berichteten Kiriil Razlogov aus Moskau und Jurij Pirjutko aus Petersburg, gebe es noch Hunderttausende von Denkmälern, alleine etwa 800.000 Lenin-Büsten. Nur in den großen Städten seien diese schwer zu finden, die alten Symbole seien hier durch (alte) neue „Ikonen“ ersetzt. Statt Marx orthodoxe Kreuze und statt proletarischer Losungen McDonald's-Filialen. Einzigartig in ganz Rußland sei hingegen das Petersburger Experiment. Hier sammelt die Stadtverwaltung im „Museum des städtischen Denkmals“ alle Symbole der untergegangenen kommunistischen Epoche, die sie bekommen kann. Die Errichtung von Monumentenparks, mal „Denkmalsfriedhof“, mal „Monsterpark“ genannt, wird ebenfalls in Ungarn und Rumänien diskutiert. Ans Werk gemacht hat sich inzwischen auch ein deutscher Privatsammler. In Gundelfingen sammelt der bayrische Steinmetz Josef Kurz riesige Statuen, die ostdeutsche Kommunen gerne loswerden. Fünf Stalin- Lenin-Marx und die bronzene Figurengruppe aus der Dresdner Innenstadt hat er schon, den Berliner Thälmann-Kopf möchte er. „Man kann doch die Geschichte nicht einfach entsorgen“, sagt er, „da steckt doch so viel Arbeit drin.“