Kaum droht eine Rezession, rücken Deutschlands Arbeitgeber den Reservaten der Freizeit zu Leibe: ein bundesweiter Feiertag soll geopfert werden – angeblich, um die Pflegeversicherung zu finanzieren. Tatsächlich aber planen die Zuchtmeister der Nation einen Anschlag auf die letzten Nischen des Müßiggangs. Von Bascha Mika

Oh Faulheit, erbarme dich!

Nur Arbeit und kein Spiel macht dumm!“ (Sprichwort)

Ein schreckliches Laster verdirbt die Gemüter der Menschen und zerrüttet ihren Organismus. Wie ein Fluch lastet es auf der Gesellschaft; es korrumpiert die Bedürfnisse der Zeitgenossen, bricht ihren Unabhängigkeitsinn und treibt sie in geistige Verirrung. Da stehen sie dann: vergrätzt und verhärmt – Opfer eines Dogmas, das ihnen die Freude aus Mark und Bein gesaugt hat. Lebendige Mumien, die der Lüge von der Selbstverwirklichung in der Selbstverdinglichung aufgesessen sind. Sie haben ihr Leben einem grausamen Götzen geweiht: dem Ethos der Arbeit.

Der Mensch im Kapitalismus, schrieb Max Weber, betreibt die Arbeit als Selbstzweck. Die Ökonomen haben ihm die Arbeitspflicht so lange rein-, den Schlendrian so lange rausgeprügelt, bis er seine natürliche Abscheu gegen jede Plackerei unterdrückte. Er schuftet nicht mehr, um zu leben, sondern lebt, um zu schuften, fordert gar selbst ein „Recht auf Arbeit“. Wo seid ihr geblieben, Bequemlichkeit und Genußsucht? Wo Rast und Ruh? Statt kreativer Arbeitsscheu regiert die Arbeitssucht, kontemplative Muße ist ausgerottet. Als armseliger Ersatz sind anstrengende Freizeit- und Konsumarbeit im Angebot.

Der Mythos vom schrankenlosen Hedonismus

Doch aus wohlverstandenem Eigennutz verbreiten die Zuchtmeister der Nation weiterhin den Mythos vom schrankenlosen Hedonismus in diesem Land. Und kaum dräut eine Rezession, rücken die Arbeitgeber den Reservaten der Freizeit zu Leibe. Die Karenztage, die 38-Stunden-Woche, den freien Samstag und das sonntägliche Arbeitsverbot stellen sie in schöner Regelmäßigkeit zur Disposition. Seit neuestem sehen sie ihre Konkurrenzfähigkeit durch den Beitrag zur geplanten Pflegeversicherung schwinden. Kräftig unterstützt von den Freidemokraten, fordern sie finanziellen Ausgleich – noch mehr Lebenszeit soll in toten Waren gerinnen, ein bundesweiter Feiertag soll abgeschafft werden, das könnte rund sechs Milliarden Mark bringen. Wie wär's mit Pfingstmontag? Da würde doch sogar im Vatikan gearbeitet, argumentieren die Einpeitscher – und verschweigen, daß die Herren in lila Robe dafür gleich an mehreren Tagen freimachen, an denen der Plebs fronen muß.

Staatstreu wie immer und mitverantwortlich für die herrschende Arbeitswut, stöhnen die Protestanten nur leise auf. Solange sich niemand am „Sabbat“ vergreift, strengen sie keinen Kreuzzug an. Schließlich hatte ihr Reformator Luther bereits einer Unmenge mittelalterlicher Feiertage den Garaus gemacht. Und statt sich an ihren arbeitsscheuen Gott zu erinnern – der sechs Tage schaffte, um dann für immer die Hände in den Schoß zu legen –, verkünden die Evangelen: „Kirche lebt auch ohne Feiertage!“ Und lahm fügt der Leiter des bayerischen Landeskirchenamtes, Hofmann, hinzu: „Ohne wirklich dringende Gründe“ wolle man sich aber vom Pfingstmontag nun doch nicht trennen.

Außerdem können die Protestanten vergnügt einem Bruderzwist entgegenblicken: Ein Preuße, wer sonst, will den feierfreudigen Katholen gleich mehrere Tage streichen. Warum sollen die Bayern und Baden-Württemberger, fragt sich Heinrich Lummer, gleich 14- bzw. 13mal dem legitimierten Müßiggang frönen? Stünde man ihnen – wie den meisten anderen Deutschen – nur zehn Tage zu, wären die Unternehmen genauso gut bedient wie mit dem bundesweiten Pfingstmontag.

Hin- und hergerissen zwischen Lokalpatriotismus und Merkantilismus granteln die bayerischen Arbeitgeber: Wenn schon eine bundesweite Pflegeversicherung, solle auch bundesweit der Schweiß dafür rinnen. Und statt zu begreifen, daß man Arbeit rationieren muß – damit keiner zuviel, aber alle etwas davon haben –, kassandrat der Arbeitgeberverband: „Wenn man sehenden Auges auf die Arbeitslosigkeit zuläuft, ist die Kleinkariertheit der Diskussion nicht zu verstehen.“

Doch seltsam: die bayerische Produktivität steht der in anderen Bundesländern nicht nach. Auch rund um Mainz und Köln, wo durch den Karneval fast zweieinhalb Arbeitstage ausfallen, sind die Unternehmen nicht dem Ruin nah. Die „Echt Kölnisch Wasser“- Firma 4711: „Nein, wir büßen durch die jecken Tage nichts an Produktivität ein.“ So kommt es ans Licht: Feiern erhöht die Arbeitseffizienz – das einzige, was faul ist, ist die Diskussion. Vor allem, da die Unternehmen schon jetzt nicht mehr wissen, wo sie ihr Zeug absetzen sollen.

Balsam für die Seele bietet die katholische Kirche. Solange es nicht um erotische Genüsse geht, kann man sich sinnenfreudenmäßig auf sie verlassen. „Ora et labora“ heißt der Wahlspruch der Benediktinermönche – was nach Schwindsucht und Rastlosigkeit klingt, aber nicht so gemeint ist. „Labora“, sinniert der Augsburger Bischof Dammertz arbeitgeberfeindlich, „schließt immer auch die Muße ein. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen diesen drei Dingen.“ Wie das Erzbischöfliche Ordinariat in München und in ungewöhnlicher Koalition mit den Gewerkschaften (Dammertz: „Kirche und Gewerkschaft sind eben für den Menschen da!“) ist der Kathole entschieden dagegen, „daß ein Kulturgut wie die Feiertage mit wirtschaftlichem Gewinn verrechnet wird“. Eine „Kultur der Muße“ müsse her, meint der Bischof, in dessen Diözese am meisten gefeiert wird: Das „Friedensfest“ beschert den Augsburgern noch einen freien Tag mehr als den Bajuwaren.

Nur ein müßiges Volk hat Hang zur kreativen Anarchie

So scheint es im Volke nur eine Gruppe zu geben, der die Feiertagsdiskussion egal ist. „Wir haben hier schon genug Feiertage“, griesgramt der PDSler André Brie stellvertretend für seine ostdeutschen Landsleute. Wie sollte er es auch anders wissen? Niemand verstand es besser, das Volk zu beschäftigen, als die Realsozialisten: da drückten sie ihren BürgerInnen neben der Lohn- noch die gesellschaftliche Arbeit auf und erfanden zusätzlich das Schlangestehen vor den Geschäften. So hielten sie ihre Leute auf Trab, und niemand kam auf (dumme) Gedanken.

Offenbar hatten sie ihren Marx richtig gelesen. Arbeit, wußte der, ist nur das „Reich der Notwendigkeit“. Das „Reich der Freiheit“ aber liegt jenseits davon. Nur deshalb planen die Zuchtmeister immer neue Anschläge auf die Nischen der Faulheit. Nur ein müßiges Volk hat Zeit, seinen Verstand zu gebrauchen, hat einen Hang zur kreativen Anarchie. Laßt es schuften und rackern, zermürbt ihm die Sinne, und es wird nach keinem Sinn mehr fragen. Oh Faulheit, erbarme dich!