Brandenburgs Arbeitgeber kündigen Tarifvertrag

■ Ab April besteht in der Metallindustrie keine Tarifbindung mehr/ IG Metall will sich mit allen Mitteln wehren/ Schlichtung für die Ost-Chemie hat begonnen

Berlin (taz) – Bei Bestandsaufnahmen zeigen sich die Metaller wahrlich nicht verlegen. Die Aufkündigung des im Frühjahr 1991 vereinbarten Tarifvertrags für die ostdeutsche Metall- und Elektroindustrie sei ein „klarer Rechtsbruch“, wetterte der Berliner IG- Metall-Bezirksleiter Horst Wagner, gegen die man sich mit „allen juristischen und gewerkschaftlichen Mitteln zur Wehr setzen“ werde. Der Grund für Wagners Empörung: Wie schon in Sachsen haben die Metall-Arbeitgeber gestern auch in Ostberlin und Brandenburg jenen Stufenplan einseitig gekündigt, der den 300.000 ostdeutschen Metallarbeitern die stufenweise Anhebung ihrer Löhne bis 1994 garantiert und ihnen zum 1. April eine Lohnerhöhung von 26 Prozent beschert hätte.

In der vergangenen Woche waren die Schlichtungsverhandlungen für eine Revision des Stufenplans in den Tarifbezirken Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin/Brandenburg erfolglos abgebrochen worden. Jetzt wird nur noch in Mecklenburg-Vorpommern verhandelt, wo sich die Tarifparteien gestern zur vielleicht letzten Schlichtungsrunde trafen.

Der Verband der Metall- und Elektroindustrie beruft sich bei seiner Kündigung auf das Bürgerliche Gesetzbuch: Angesichts der kritischen Lage vieler Betriebe seien die Voraussetzungen zum Einhalten für „auf Dauer wiederkehrende Leistungen“ nicht mehr gegeben. Die Arbeitgeber, die lediglich einen Inflationsausgleich von 9 Prozent angeboten hatten, rechnen damit, daß der Tarifsprung ein Drittel der noch vorhandenen Arbeitsplätze akut gefährdet. Ob sich die IG Metall, die gegen die Kündigung klagen will, angesichts der vertrackten Rechtslage juristisch durchsetzen kann, ist jedoch fraglich. Sicher ist nur, daß ab April keine Tarifbindung mehr besteht. Am 31. März endet auch die Friedenspflicht – dananch könnten die von der IG Metall bereits angekündigten Arbeitskampfmaßnahmen voll anrollen. Indes forderte der Schlichter der sächsischen Metallindustrie, Rudolf Hickel, die Tarifpartner auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Ein möglicher Streik, so der Bremer Ökonomieprofessor, würde den Aufbau in Ostdeutschland enorm zurückwerfen.

Mit ihrer starren Haltung droht die IG Metall auch im Gewerkschaftslager ins Abseits zu geraten. Seit gestern laufen in Berlin die Schlichtungsverhandlungen für die ostdeutsche Chemieindustrie. Anders als die IG Metall ist die IG Chemie nicht an einen Stufenplan gebunden – der Gehaltstarifvertrag für die 80.000 Beschäftigten lief Ende Dezember aus. Die Verhandlungen waren Ende Januar gescheitert, da der Arbeitgeberverband AVCO lediglich eine lineare Erhöhung von Mai an um 7,5 Prozent angeboten hatte. Für die vier Monate davor sollte es keine Tariferhöhung geben. Die Gewerkschaft lehnte diese „Null-Monate“ kategorisch ab. Aber IG- Chemie-Chef Hermann Rappe kann sich, anders als Franz Steinkühler, durchaus Zurückhaltung bei den Lohnzuwächsen vorstellen. Erwin Single