Das geht unter keine Vorhaut...

■ Ärzte-Symposium ums männliche Heiligtum: "Viren-Brutkasten" beschneiden oder nicht?

Das geht unter keine Vorhaut...

Ärzte-Symposium ums männliche Heiligtum: „Viren-Brutkasten“ beschneiden oder nicht?

Wie eine traditionelle Brit Mila dürften in der Roland-Klinik die Beschneidungen wohl nicht mehr aussehen. Und mit routinemäßiger, gar ritueller Entfernung der Penis-Vorhaut haben die operativen Eingriffe von Dr. Heribert Kaulen auch nur in den seltensten Fällen etwas zu tun: Er ist kein Mohel, kein „Fachmann“ für das jüdische Beschneidungsritual, sondern Urologe; er schließt nicht den symbolischen Bund mit Gott, sondern beseitigt Phimosen (griechisch: „Knebeln“) — eine Enge der Vorhaut, so daß sie nicht mehr über die Eichel zurückgestreift werden kann. Immerhin sind 8 bis 10 Prozent der erwachsenen deutschen Männer davon betroffen.

Abraham war der erste beschnittene Mann — und über die 22 bis 28 Quadratzentimeter Haut, die ihm, jüdischen und moslemischen, vielen afrikanischen und gut 75 Prozent der amerikanischen Männer fehlen, werden sich am Samstag rund sechs Dutzend deutsche Mediziner den Kopf zerbrechen. „Wann macht die Vorhaut (...auch gynäkologische) Probleme?“, das ist der Titel eines medizinischen Symposiums im Scandic-Crown-Hotel.

Und es macht Probleme, das kleine, mit reichlich „Sensoren und Gefühlsknospen“ (Kaulen) ausgestattete, faltige Etwas am Allerheiligsten des Mannes. Und nicht nur den Männern. Schon vor 150 Jahren wunderte sich der italienische Mediziner Rigoni Stein, daß Prostituierte sehr häufig an Muttermund-Krebs erkrankten, während dieser bei Nonnen nie auftrat. Gibt es sexuell übertragbare Krankheiten, die Krebs auslösen, war daraufhin die Frage — heute weiß man die Antwort: Es gibt sie, und der „Brutkasten“ der verantwortlichen Viren ist der feuchtwarme Platz zwischen Eichel und Vorhaut. Ein eindeutiges Plädoyer für die Verwendung von Kondomen.

„Wenn all das, was sich unter der Vorhaut ansammelt, weggeduscht werden kann, ist alles in Ordnung“, erklärt der Kinderarzt Dr. Hannsjörg Bachmann. Doch bei fehlender Hygiene oder der bereits erwähnten Phimose können durch Bakterien und Pilze Entzündungen von Vorhaut und Eichel auftreten und krebserregende Viren sich ungehemmt verbreiten. „Wo es rituelle Beschneidungen gibt, treten so gut wie keine Krebserkrankungen am männlichen Genital auf“, sagt der Dermatologe Dr. Gunnar Wagner.

Doch das ist für die Mediziner des hiesigen Kulturkreises kein Grund, für die routinemäßige Beschneidung von Neugeborenen zu plädieren. „Die Hygiene darf in unserem Land kein Argument sein“, findet der Urologe Kaulen, „das liegt in der Verantwortung des Einzelnen.“ So dreht sich die Diskussion eher darum, wann aus medizinischen Gründen operiert werden soll. Denn da gibt es die angeborene Phimose, aber auch eine normale „Verklebung“ zwischen Eichel und Vorhaut — eigentlich eine Gewebsschicht, deren feste Verbindung sich im Laufe der Kindheit, spätestens bis zum Eintritt in die Pubertät „wie ein Reißverschluß löst“ (Bachmann).

„Und dann kommen die Mütter — ganz selten Väter — mit ihren Söhnen und wollen wissen: Was würde eine Beschneidung für die Zukunft bedeuten? Beeinträchtigt sie die Sexualität?“ berichtet Kaulen. Kosmetisch ist die Operationstechnik heute ausgereift — „das muß glatt geschehen“, erklärt der Urologe, „da darf man keine Nähte sehen und kein ausgefranstes Band vorfinden.“ Früher, in den 30er, 40er und 50er Jahren, war das noch nicht unbedingt so: „Die Ergebnisse von damals sind kosmetisch absolut schlecht und verstümmelnd.“ Davor muß heute kein Mann mehr Angst haben — das Problem verlagert sich auf die psychologische Seite.

Und das Zum-Mann-gemacht- Werden fängt ja bekanntlich schon früh an. Im Kindergarten, „wo jeder jedem beim Pinkeln zusieht, fallen die Jungs einfach auf“, so Kaulen. Mann fühle sich „einfach beschnitten“: „Das ist vielleicht ähnlich wie bei einer Sterilisation. Da ist das Gefühl, nicht mehr vollwertig zu sein — und da bekommt man beim Orgasmus plötzlich Schmerzen, für die es keinen physiologischen Grund gibt.“

Solche Auswirkungen treten allerdings nicht auf, wenn die Jungen schon sehr früh beschnitten wurden, und auch über die psychologischen Auswirkungen auf ältere Männer gibt es keine genauen Erkenntnisse. Genauso wenig über das Gerücht, beschnittene Männer seien „besser“ im Bett — weil sie wegen der fehlenden Nervenenden länger aushalten könnten... Susanne Kaiser