Kein Rausch, keine Verzweiflung

■ Aus der Seifenblase destilliert: Turrinis „Grillparzer im Pornoladen“, inszeniert von Palitzsch am Berliner Ensemble

Kurz nach Einar Schleefs martialisch-genialer Hochhuth-Verwertung wagt das Berliner Ensemble eine weitere Uraufführung: Peter Palitzsch inszenierte „Grillparzer im Pornoladen“, das neue Stück Peter Turrinis, eines Dramatikers, der nicht unbedingt zu Subtilitäten neigt. Seit seinem Debüt „Rozznjagd“ (1971) läßt er keinen Zweifel daran, daß zur knallharten Sozialkritik auch gepflegte Obszönitäten gehören – ein gutes altes Siebziger-Jahre-Provokatiönchen. Seither hat er noch in jedem seiner Stücke, sei es „Die Minderleister“ (1988), sei es „Tod und Teufel“ (1990), brav voyeuristische Bedürfnisse bedient. Leider sind derlei Tabubrüche mittlerweile bloß noch anachronistisch, während Turrinis Abrechnung mit dem Sexismus sich mehr oder weniger naiv an dem, was er denunzieren will, aufgeilt. Sein neues Stück „Grillparzer im Pornoladen“ geht ironischer mit den verschwitzten Phantasien um: Eine kleine Boulevardkomödie.

Die Uraufführung, drei Tage nachdem Claus Peymann am Burgtheater ein anderes Werk („Alpenglühen“) des österreichischen Rabiat-Dramatikers recht pompös in Szene gesetzt hatte, fand in der neu in Betrieb genommenen Neuköllner Dependance des Berliner Ensembles statt, ein großer Probenraum im zweiten Stock eines alten Fabrikgebäudes im Hinterhof. Karl Kneidls Bühne verzichtet auf Milieukolorit. Das quadratische, an allen vier Seiten von Zuschauerbänken umgebene Podium ist leer bis auf den Plexiglastisch des Verkäufers. Die Wände des Zuschauer- und Bühnenraumes sind mit weißen Stoffbahnen abgehängt: eine nüchterne, hell ausgeleuchtete, vom Naturalismus des Spiels abstrahierende Bühne. Drei bewegliche Überwachungskameras filmen das Publikum, das sich auf acht unter der Decke hängenden Monitoren sieht – eine Assoziation an voyeuristische Manöver wie an die Gefahren des Ladendiebstahls.

Turrini läßt einen traurigen alten Mann als Verkäufer in einem Pornoladen sitzen und grübeln. Früher war er „der letzte männliche Souffleur am Burgtheater“, und seit ihn von diesem Posten eine Frau vertrieben hat, pflegt er einen Frauenhaß, den man nur ungeheuer abgründig nennen kann: Ressentiment durch die Niederlage im Erwerbsleben – wenn das keine raffinierte Psychologie ist. Die letzte Aufführung, bei der er soufflieren durfte, war ein Versdrama von Grillparzer, daher der griffige Titel von Turrinis Einakter. Als kleinen Scherz für Eingeweihte verrät uns der Ex-Souffleur, welche Burgtheater-Größen damals Grillparzer spielten („Ich hing an den Lippen der Hörbiger“). Wer sich auskennt, grinst, weil man sich vorstellen kann, wie abstoßend die gediegen konservative Schauspielerin Christiane Hörbiger Turrinis aggressives Volkstheater finden muß. Der von der weiblichen Übermacht verdrängte Souffleur hat sich hinter die Theke seines Ladens verkrochen wie in eine letzte Bastion verletzter Männlichkeit: „In keinem Pornoladen in diesem Land arbeitet eine Frau.“

Wenn man seinen Tiraden länger als einige Minuten Aufmerksamkeit schenkt, liegt das einzig am grandiosen Spiel Volker Spenglers. Er läßt die Figur nicht im Selbstmitleid panschen, sondern zeigt einen müden Phlegmatiker, dessen Verletzlichkeit und letzte Reste von Stolz traurig zwischen der abgewrackten Existenz durchschimmern. Spengler führt vor, welche böse Komik in dieser kaputten Figur lauert. Auf dieses Männerelend trifft eine Kundin, deren Frauenelend ebenso klischeegesättigt und -übersättigt ist. Auch hier ist erstaunlich, wie es Irm Hermann (kleinbürgerelegant in Stöckelschuhen und grünem Kostüm mit weißer Seidenbluse) gelingt, aus Turrinis Karikatur eine Figur zu machen, deren neurotischen Merkwürdigkeiten man neugierig folgt. Sie spielt, wie so oft schon, eine etwas verklemmte, etwas zickige Dame, die gerne ein Vamp wäre, aber leider reicht's nicht zur Femme fatale, sondern bloß zur vom Leben enttäuschten Spießerin.

Nach einigem Hin und Her, einigen Späßchen mit männlichen und weiblichen Puppen („ihn gibt es mit fünf verschiedenen Penisgrößen“) und diversem Kopulationsspielzeug, gesteht die Dame dem Verkäufer ihre kleine Neigung zu masochistischen Übungen. Damit liegt sie prima im Trend: Offenbar destilliert Turrini die Obsessionen seiner Figuren aus den Seifenblasen der Zeitgeistpresse, die das Publikum darüber informieren, in welcher Weise man heutzutage verrucht zu sein hat. Es kommt, wie es in solch gnadenlos übersichtlichen Theaterstücken kommen muß: Erst peitscht der Herr die Dame etwas aus und kotzt uns seinen (wie gesagt unerhört abgründigen) Frauenhaß entgegen. Anschließend, weil wir ja ein ziemlich progressives Stück sehen, darf die Dame den Herrn etwas quälen und uns wissen lassen, daß sie ihrem Exgatten seine Fremdgängereien bis heute nicht verzeihen kann. Wow. Das sind doch aufregende Neuigkeiten aus dem Geschlechterkampf. Dank der nicht sonderlich inspirierten, aber überaus präzisen Regie Peter Palitzschs wird daraus mehr oder weniger kurzweiliges Boulevardtheater, das, wie sich's fürs Boulevard gehört, die Schrecken, von denen es zu handeln vorgibt, banalisiert und verkleinert, so daß sie der Bürger gemütlich belachen kann: Kaum kann man die Quälereien zwischen Männern und Frauen gründlicher verharmlosen, als Turrinis Klischees es tun – kein Rausch und keine Verzweiflung, nur lustlos keifende Kleinbürger. Peter Laudenbach

Peter Turrini: „Grillparzer im Pornoladen“ (Uraufführung). Regie: Peter Palitzsch. Bühne: Karl Kneidl. Mit Irm Hermann und Volker Spengler. Berliner Ensemble im Ballhaus Rixdorf. Nächste Vorstellungen: 26., 27. und 28.Februar, jeweils um 20Uhr.