„Kohl muß Indonesiens Vorgehen verurteilen“

■ Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Timor-Kommission, Moreira, in Lissabon

Die indonesische Regierung, mit der Bundeskanzler Kohl gestern in Jakarta erste Gespräche führte, hat nicht nur wegen ihrer äußerst repressiven Innenpolitik einen schlechten Ruf. Indonesien ist auch die Besatzungsmacht von Ost-Timor. Die frühere portugiesische Kolonie wurde 1975 von Lissabon in die Unabhängigkeit entlassen. Schon ein Jahr später wurde das südostasiatische Land von Indonesien besetzt. Portugal hat sich seitdem zur Fürsprecherin des Rechts auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit für Ost-Timor gemacht. Das portugiesische Parlament hat eine Timor-Kommission eingerichtet. Ihr Vorsitzender, der christdemokratische Abgeordnete Adriano Moreira, ist zugleich Vizepräsident des portugiesischen Parlaments.

taz: Worauf gründet sich der berüchtigte Ruf der indonesischen Regierung in Ost-Timor?

Adriano Moreira: Die indonesische Invasion und die Bekämpfung der Widerstandsbewegung in Ost- Timor hat bisher mehr als 200.000 Tote gekostet. Dies ist ein Genozid. Das Selbstbestimmungsrecht der Menschen in Ost-Timor wird von Indonesien nicht anerkannt. Das Recht auf Leben der Bewohner von Ost-Timor ist ständig bedroht. Die Massaker an der Zivilbevölkerung bezeugen dies. Nach den jüngsten Nachrichten, die wir haben, verstärkt Indonesien jetzt auch den Druck auf die katholische Kirche in Ost-Timor, weil die Geistlichen nicht aufhören, für das Recht des Volkes von Timor einzutreten.

Warum werden die Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor von der internationalen Gemeinschaft nicht schärfer verurteilt?

Die großen Mächte haben andere Interessen. Indonesien ist der Hauptverbündete der USA in dieser Region. Jetzt, wo die internationale Weltordnung neu definiert wird und Asien an Bedeutung gewinnt, ist dieses Bündnis für die USA besonders wichtig. Ein zweiter Punkt sind die Ölvorkommen in Ost-Timor. Dieses Öl ist nicht nur interessant für Indonesien, sondern auch für Australien. Deshalb ist Australien an guten Beziehungen zu seinem mächtigsten Nachbarn Indonesien interessiert. Die Interessen der großen Mächte machen es dem Volk von Ost-Timor also sehr schwer, sich bei ihrem Ruf nach Selbstbestimmung Gehör zu verschaffen. Portugal hat die Verpflichtung, diesem Ruf mehr Nachdruck zu verleihen.

Bekommt Portugal hierbei genügend Unterstützung von den anderen EG-Staaten?

Die EG und die ganze internationale Gemeinschaft muß begreifen, daß es hier nicht um eine Frage geht, die Portugal und Indonesien betrifft. Diese Frage betrifft vielmehr die ganze internationale Gemeinschaft. Denn Indonesien hat in Ost-Timor einen Akt des Völkermordes begangen. Dies wird von den Politikern in der EG immer noch nicht voll begriffen. Ich setze daher jetzt vor allem auf Nichtregierungsorganisationen wie die Internationale Juristenplattform für Ost-Timor, die wirkungsvoll auf die Verletzung der Menschenrechte in Ost-Timor aufmerksam macht.

Welchen Rat geben Sie Bundeskanzler Kohl für seine Gespräche mit der indonesischen Regierung?

Ich möchte den Bundeskanzler daran erinnern, daß er ein Land besucht, dessen Regierung die Menschenrechte verletzt und einen Völkermord begangen hat. Dies darf er nicht ignorieren. Er muß dieses Vorgehen verurteilen. Interview: Theo Pischke