"Deshalb: Saludos Amigos"

■ Vor 7.000 nibelungentreuen CSU-Freunden deutete Bayerns Landesvater Streibl gestern in Passau zu ersten Mal persönliches Fehlverhalten in der "Amigo-Affäre" an. Freunde zu haben, so Streibl trotzig, sei dennoch..

„Deshalb: Saludos Amigos“

Da gibt's nur eins: Streibl zurück, Waigel vor. Nur Waigel kann noch etwas retten.“ Der 46jährige Busfahrer Edmund Riedle aus Günzburg hat Mut. Ganz fest hat er sein Schild auf seinem Tisch in der Passauer Nibelungenhalle festgeschraubt, um seinen Unmut über den bayerischen Ministerpräsidenten angesichts der Amigo-Affäre auszudrücken. Und das ausgerechnet auf dem traditionellen Politischen Aschermittwoch der Christlich- Sozialen Union, wo das Bier hektoliterweise strömt, wo die CSU ihre Basis um sich schart, die hoffnungsfroh darauf wartet, sich nach deftigen Angriffen der Parteispitze auf die Sozis kraftvoll auf die Schenkel schlagen zu können. Und das ausgerechnet jetzt, wo die von Skandalen geschüttelte CSU zum Angriff übergehen will. Wo der Chefredakteur des Parteiblattes Bayernkurier auf der Titelseite gar Napoleon bemüht. Der hatte, als er 1809 in der Dreiflüssestadt weilte, notiert: „Passau ist ein hervorragender Platz, besonders für eine Offensive.“

Edmund Riedle will auch eine Offensive. Er will den Parteivorsitzenden und Bundesfinanzminister Theo Waigel lieber heute als morgen an der Spitze in Bayern sehen, um dem „Schwindel in der Politik“ ein Ende zu machen. Der „kleine Mann“ habe die Nase voll von Streibls geschenkten Hazienda- Aufenthalten in Brasilien und Kenia, von seinen Spritztouren mit geliehenen BMW-Motorrädern und -Limousinen. „Die CSU geht schweren Zeiten entgegen“, ist der Busfahrer überzeugt, der schon seit 26 Jahren das schwarze Parteibuch in der Tasche trägt. Umfrageergebnisse, die die seit drei Jahrzehnten absolute Mehrheiten gewohnte CSU in Bayern erstmals unter 40 Prozent zeigen, bereiten dem Günzburger ernste Sorgen.

Mit seiner Meinung steht Riedle in der in Passau versammelten CSU-Fangemeinde auf verlorenem Posten. „Lächerlich, keine Beweise“, wischt ein in Passau in voller Montur erschienener Altöttinger Trachtler die Vorwürfe gegen Streibl vom Tisch. „Dem Mann soll man doch sein Privatleben lassen, wenn er sich für die Politik aufopfert.“ „Andere machen das doch auch“, verteidigt der 52jährige Cadolzburger Günther Deindörfer den bayerischen Ministerpräsidenten, während er Schafkopf spielt – mit CSU-Karten versteht sich. An seinem Tisch hat er das Schild montiert: „CSU 1994: 50% plus x“. Ein Rentner aus Nürnberg schimpft auf die „Gemeinheiten der Presse“. „Die CSU verliert nicht, solange wir da sind“, ist er felsenfest überzeugt.

Diese Grundstimmung bekommt auch Edmund Riedle schnell zu spüren. „Wo Aas ist, da sammeln sich die Geier“, geifert ein Streibl-Verteidiger und versucht, Riedles Tafel abzumontieren. „Das ist eine Schande für die CSU“, meint ein anderer. Schließlich überzeugen sie den Günzburger, das Schild lieber unter dem Tisch zu lassen, denn Parteichef Waigel könnte sich darüber ärgern, wenn er zusammen mit Streibl zu den Klängen des Defiliermarsches in die Halle einzieht.

Da Waigel jedoch zunächst im Schneegestöber auf der Strecke bleibt, marschiert Streibl allein durch die mit knapp 7.000 Zuhörern bis auf den letzten Platz gefüllte Nibelungenhalle. Alle stehen auf und lassen Streibl hochleben. Edmund Riedle bleibt sitzen, seine Hände rühren sich nicht zum Beifall. Alle sind gespannt, was Streibl zu seiner Verteidigung vorzubringen hat und wie er aus der Defensive wieder herauskommen will. Die Erwartungen sind groß. Jeder hat noch Streibls Titulierungen seiner SPD-Kontrahentin Renate Schmidt vom Vorjahr („Krampfhenne“, „Mäuschen“) im Ohr, seine Worte von den „Wirtschaftsschmarotzern“, die jetzt auf den Ministerpräsidenten zurückzufallen drohen.

Schon der erste Satz von Streibls Rede stimmt die bierselige Fangemeinde hoffnungsfroh. „Freunde zu haben, ist das denn eine Schande bei uns in der CSU? Deshalb: Saludos Amigos.“ Die Menge im Saal ist begeistert. Schnell werden noch vier Männer wegen Störung der Versammlung abgeführt, die ein Transparent mit Grüßen für den „Amigo“ auf der Empore entrollt hatten. Doch die Euphorie für Streibl hält nicht lange vor. Großen Beifall gibt es noch, als Streibl den Kämpfer mimt, eine Pose, die so gar nicht zum Laiendarsteller bei den Passionsfestspielen paßt. „Ja, ich stehe im Feuer, aber ich stehe“, gibt er sich selbstbewußt und spricht von „hinterhältigen Angriffen“ gegen seine Person, seine Partei und seine Familie. Er stellt sich als Opfer von „Schlammschlachten“ dar. Er nennt sie mal „infam“, dann „hinterlistig“, auch „schäbig“ oder „niederträchtig“, mal „schlecht“ dann wieder „erbärmlich“ oder „abscheulich“. Hinter allem hat Streibl die Sozis und die Medien ausgemacht, denen es nur um eines gehe: „um die letzte Bastion der Unionsparteien in Deutschland überhaupt“. Das „Bollwerk Bayern, diese Festung einer konsequenten und erfolgreichen Unionspolitik“, solle zum Einsturz gebracht werden.

Streibls Verteidigung gegen die Anwürfe fällt dabei spärlich aus. Vorwürfe gegen ihn, gegen seinen Sohn wegen unsauberer Immobiliengeschäfte, gegen seine Tochter wegen privater Reisen auf Staatskosten – alles „infame Lügen“. Außerdem würden Arbeitsplätze „nicht von denen geschaffen, die Beziehungen zur Wirtschaft verteufeln, sondern nur von denen, die den offiziellen wie den persönlichen Kontakt zur Wirtschaft pflegen“. Nur kurz deutet er einen Schimmer von Unrechtsbewußtsein an: „Vielleicht war es ja ein Fehler, mich von einem alten Freund einladen zu lassen.“ Doch korrigiert er sogleich den entstandenen Eindruck: „Ich konnte ja nicht wissen, daß man mir daraus einen Strick drehen würde.“

Die Stimmung im Saal ist gedämpft, zumal Streibl drei Viertel seiner Rede zu einer Art Regierungserklärung ausgestaltet hat unter dem immer gleichen Motto: „Bayern ist Spitze“. Es folgt eine ermüdende Latte von vermeintlichen Verdiensten der CSU in Bayern und der ganzen Welt.

Entsprechend müde ist der Beifall am Ende seiner Rede. Erst Theo Waigel reißt die Zuhörer wieder zu Beifallsstürmen hin. Er bezeichnet Streibl als „Ehrenmann“, der dies alles „nicht verdient“ hätte. „Niemand wird Theo Waigel und Max Streibl auseinanderdividieren können“, betont der Parteivorsitzende, der auch vorher keinen Zweifel daran gelassen hatte, daß er nicht von Bonn nach München wechseln möchte.

Der Günzburger Busfahrer Edmund Riedle ist hin- und hergerissen. Die Rede von Waigel und der Applaus, den der Parteichef erntet, erfüllen Riedles Erwartungen voll und ganz. Nur daß er nicht Ministerpräsident werden will, ärgert den Mann aus Waigels Heimatstadt. Doch wer soll dann für die CSU nach Bonn? „Das weiß ich auch nicht“, antwortet Riedle achselzuckend. Bernd Siegler, Passau