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Krise, Kakao und Korruption

Im einst reichsten Land Westafrikas drängen die Bäuerinnen in die Politik/ Von Verarmung zur Systemkritik, weitab von den Intellektuellenzirkeln der Städte  ■ Von Bettina Rühl

„Du hast das Leben ohne Wasserspülung noch nicht vergessen?“ fragt Watson seinen Kollegen Aimé Kadio. Mit ihren College- Schuhen müssen die beiden in der Nacht ihren Weg durch die unbefestigten Straßen des Dorfes suchen, die nach den kräftigen Regengüssen der letzten Tage eher Bächen ähneln. Watson arbeitet als Journalist in Abidjan, der Metropole der Elfenbeinküste. In seinem Heimatdorf Ahoutoué treffen sich Intellektuelle, Dorfbewohner und Bäuerinnen. Die Frauenorganisation der Oppositionspartei „Ivorische Volksfront“ (FPI) veranstaltet ein Seminar. 90 Prozent der Bewohner von Ahoutoué sind Mitglieder der Partei.

Watsons Eltern sind in die traditionellen Stoffe gehüllt, ergreifen auch die Hände der Fremden und vollführen einen kurzen Tanz. Nach der Begrüßungszeremonie setzen sich die Alten wieder vor den Fernseher, um den Ausgang des UEFA-Cups zu verfolgen.

Die Preise verfallen, die Dörfer auch

Ahoutoué liegt 30 Kilometer von Abidjan entfernt zwischen Kakaoplantagen und vereinzelten Urwaldriesen. Steinhäuser zeugen vom früheren Reichtum des Dorfes, das auch an das Wasser- und Stromnetz angeschlossen ist. Die Dorfbewohner leben von Kaffee und Kakao. Doch die Kakaobohnen, die auf den Wellblechgerüsten neben den Straßen trocknen sollen, sind in den Regengüssen liegengeblieben. Mit dem Sturz der Weltmarktpreise für Kaffee und Kakao verfällt auch Ahoutoué.

Viele der 250 Seminarteilnehmerinnen sind Bäuerinnen. Sie gehören zu den Hauptverlierern der Wirtschaftskrise im einst reichsten westafrikanischen Staat. Likpode Frah hat ihr Leben lang auf den Plantagen ihres Mannes geholfen, hat Brennholz und Wasser geholt, Maniok angebaut und fünf Kinder großgezogen. Lesen und Schreiben hat sie nie gelernt, und Französisch, die offizielle Landessprache, versteht sie nicht. Sie ist alt geworden und schmächtig unter ihren bunten Stoffen, aber ihre Augen und Stimme sind klar: „Ich kann von den Früchten meiner Arbeit nicht mehr leben und sehe die anderen mit dem Mercedes fahren.“ Die Elfenbeinküste ist weltweit der größte Kakao-Exporteur. Vor sechs Jahren brachte das Kilo Kakao auf dem Weltmarkt 1.000 CFA-Francs, sechs Mark. Vier Jahre später waren es noch 340.

Das Land, das seit der Unabhängigkeit im Jahre 1960 vom mittlerweile steinalten Felix Houphouet-Boigny regiert wird, gilt internationalen Geldgebern immer noch als kreditwürdig. Unter der Mißwirtschaft und der Korruption der einheimischen Elite leidet besonders die Landbevölkerung. 1991 wurde die „Nationale Bank für die Entwicklung der Landwirtschaft“ (BNDA) liquidiert. Acht Milliarden CFA-Francs schuldet die Bank ihren Sparern, größtenteils KleinbäuerInnen. Dem stehen die 25 Milliarden CFA-Francs gegenüber, die allein der ehemalige Bürgermeister Abidjans, Emmanuel Dioula, verschwinden ließ. Solche „Unregelmäßigkeiten“ passieren derzeit regelmäßig – zwei weitere Banken wurden 1992 liquidiert. Während das Guinness- Buch der Rekorde 1991 über die Privatvermögen des milliardenschweren Präsidenten zu berichten wußte, ist die Kaufkraft im Land mittlerweile so gering, daß selbst Eier und Maniok auf den lokalen Märkten liegenbleiben.

Armutsbekämpfung kommt gegen Armut nicht an

Die Pflanzerin Susanne Zepoin ist aus der Region Man im Westen des Landes nach Ahoutoué gekommen. Ihre ganze Familie und alle Nachbarn sind Mitglieder der FPI. An ihrer Region ist die „Entwicklung“ vorbeigegangen, doch die Krise trifft auch dort. Die Bauerndörfer waren von der Landflucht betroffen; nun kehren viele Jugendliche arbeitslos auf die heimatlichen Plantagen zurück. Die Diözese Man übernimmt hier in 65 Projekten Aufgaben, für die die Regierung kein Geld zur Verfügung stellt: die Ausbildung von arbeitslosen Jugendlichen, der Aufbau eines dörflichen Gesundheitswesens und die Diversifizierung der Landwirtschaft sind die Hauptziele. „Armutsbekämpfung durch Mikroprojekte“ heißt das Konzept, das die katholische „Misereor Deutschland“ in dieser Diözese bei 30 Projekten unterstützt.

Brennholzstapel säumen die schlaglochreiche Piste ins Ausbildungszentrum Gopopleu. Seit ihre Plantagen wertlos geworden sind, suchen die BäuerInnen in den Resten des Regenwaldes nach neuen Rohstoffen. Im Geräteschuppen des Zentrums für „Landwirtschaftliche Ausbildung von arbeitslosen Jugendlichen“ liegen Machete und Spaten, Hacken und Rechen. Hier lehrt Henri Gnalla die Pflanzerskinder den Umgang mit den sensiblen Regenwaldböden.

Fruchtwechsel, Brachezeiten und Kompost sind Alternativen zu Brandrodung, Monokulturen und Kunstdüngern. Auf Lehrfeldern ziehen die Schüler Maniok, Auberginen und Süßkartoffeln. Durch den Verkauf auf den lokalen Märkten soll sich das Zentrum selber finanzieren.

Nach anfänglichen Erfolgen kommen von den 36 eingeschriebenen Schülern nur noch 12. „Der Anbau lohnt sich nicht mehr“, erklärt Dan das Desinteresse seiner Mitschüler, „warum sollen wir ihn dann lernen?“ Auf den lokalen Märkten können sie die Früchte von den Lehrfeldern kaum noch verkaufen. In der arm gewordenen Region versiegt mit dem Geld auch der Kleinsthandel. Dan ist die rund 60 Kilometer aus seinem Dorf dennoch gekommen – zu Fuß, um Fahrgeld zu sparen. Eine Alternative zur Landwirtschaft gibt es für ihn nicht. Ihm fällt aber sein Beitrag zur Ausbildung immer schwerer: den Reis und die Sauce, die er während der Wochen im Zentrum ißt, und die umgerechnet zwölf Mark Schulgeld im Jahr.

Auch zu den Gesundheitsprojekten der Diözese gibt es für viele Bäuerinnen keine Alternativen. Vom staatlichen Gesundheitswesen sind sie ausgeschlossen: Der Staat blieb seine Versicherungsbeiträge schuldig – neuerdings sind Medikamente, Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte gebührenpflichtig. Die Diözese bildet in den Dörfern Frauen aus, die leichte Krankheiten behandeln können und als Hebammen arbeiten. In manchen Dörfern ging binnen eines Jahres die Kindersterblichkeit von zehn auf drei Prozent zurück. „Die Frauen kommen jetzt seltener“, erzählt die Hebamme Agnes Matembiné. Viele können den Beitrag nicht mehr zahlen, mit dem die Erste-Hilfe-Kästen aufgefüllt werden – je nach Absprache in den Dörfern zwischen 3,50 und 12 Mark.

Die weißen Steinfliesen in Watsons Elternhaus sind von dem roten Schlamm überzogen, den die vielen Besucher von den aufgeweichten Dorfstraßen mit ins Haus bringen. Watson erzählt seinen Eltern in der Lokalsprache von den neuesten Übergriffen des Militärs auf dem Universitätsgelände im fernen Abidjan. Sie haben das „Manhattan Afrikas“ mit seiner glitzernden Skyline aus Verwaltungs- und Bankhochhäusern nie gesehen und können sich dennoch vorstellen, wovon ihr Sohn spricht. In Abidjan waren Schüler und Studenten seit Oktober im Ausstand. Sie konnten das Schulgeld und die Transportkosten nicht bezahlen, die erstmals wieder erhoben wurden: Weil sich die Regierung mit den BäuerInnen über die Ankaufspreise nicht einigen konnte, blieben die Kakao-Lagerhütten voll; die 2.000 CFA- Francs Schulgeld, rund 12 Mark, machten Bildung wieder zum Luxusgut.

Militär und Polizei sorgten hier mit Tränengas und Stockhieben für Ordnung. Sopie Akpecan erzählt vom Alltag des Mehrparteiensystems in der Region Akoupé: Den Frauen der FPI sei während des Wahlkampfs im Jahr 1990 in den Krankenhäusern die Behandlung verweigert worden. Arbeitsverträge würden oft nur in Verbindung mit dem Mitgliedsbeitrag zur Regierungspartei PDCI vergeben. Andere ergänzen: Oppositionelle Lehrer würden in andere Dörfer versetzt oder ihre Kinder auf andere Schulen geschickt. Mitgliedern der FPI werde gelegentlich die Geburtsurkunde für ihre Kinder verweigert.

„Es braucht eine politische Grundbildung“

Der Soziologieprofessor Firmin Krekre gehört mit zu den Vortragenden auf dem Seminar der FPI. Er ist, wie die anderen Redner, Mitglied der cellule universitaire, dem Zusammenschluß der Dozenten der Abidjaner Universität innerhalb der Partei. Keine Kaderschmiede, kein intellektueller Debattierkreis – Ziel ist die Erwachsenenbildung auf dem Land. Seit 1990 arbeitet die FPI am Aufbau einer Parteiorganisation in den Dörfern. Das Netz an lokalen Parteibüros ist gut ausgebaut, in vielen Dörfern stehen Versammlungssäle der FPI. Die Opposition wird bei den 1995 anstehenden Präsidentschafts- und Nationalversammlungswahlen nur dann eine Mehrheit gegen die regierende PDCI gewinnen können, wenn sie die Landbevölkerung gewinnt.

„Es braucht eine politische Grundbildung, um die Macht zur Rechenschaft ziehen zu können“, erklärt Krekre die Ziele des Seminars. Zu den Themen in Ahoutoué gehören Staatsschulden und Weltmarktpreise, Korruptionsskandale, die Veränderungen im ehemaligen Ostblock und der Tod von Willy Brandt. Dolmetscherinnen übersetzen, in zwei der sechs Arbeitsgruppen werden afrikanische Sprachen gesprochen.

Nach wie vor bestimmen nicht nur politische Programme die Regeln im ivorisch-demokratischen Spiel. Während in der Stadt die Vetternwirtschaft bindet, entscheiden in den Dörfern ethnische und Familienbande über Parteizugehörigkeiten mit. Aber die demokratische Konkurrenz erzwingt Strukturveränderungen auch in der Regierungspartei. Die PDCI setzt hierbei noch immer mit einigem Erfolg auf die Überzeugungskraft, die sie nach dreißig Jahren Alleinherrschaft als Traditionspartei hat.

Eine Seminarteilnehmerin erzählt, wie die PDCI im Oktober eine Frauenorganisation gründete. Tagungsort war Yamoussoukro, formal die Hauptstadt der Elfenbeinküste, eine Melange aus Stadt und Land nach Art des Präsidenten: Das Urwalddorf seiner Herkunft ließ er für Milliardenbeträge ausbauen. In den Marmorhallen und Wandelgängen der präsidialen „Stiftung für den Frieden“ trafen sich die „Schwestern“ der großen Familie des „Vaters der Nation“. Im Namen der Frauen und für die meisten unverständlich wurde auf französisch parliert. In ansteigenden Zuhörerrängen verschliefen die von weither angereisten Landbewohnerinnen die Zeit und stillten ihre Kinder. Nach drei Tagen bekamen sie ihre Präsidentin Leopoldine Coffie präsentiert. Von vier Bewerberinnen hatten drei zugunsten eines „Konsenses“ ihre Kandidatur zurückgezogen.

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