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Die Kraft des zivilen Ungehorsams

Vor fünfzig Jahren wehrten sich in der Rosenstraße Tausende nichtjüdische Frauen erfolgreich gegen die Deportation ihrer jüdischen Männer  ■ Von Anita Kugler

Berlin. Jene, die Auschwitz und all die anderen Höllen überlebt haben, wissen nicht, warum gerade sie. Zufall; ein seelenzerreißender Zufall. Aber die 1.500 Berliner Juden, die vor fünfzig Jahren, am 27. Februar 1943, schon für den Tod bestimmt waren und ihm entkamen, wissen den Grund: Sie verdanken ihr Leben dem Mut ihrer nichtjüdischen Ehepartner oder Mütter. Eine ganze Woche lang, vom 28. Februar bis zum 6. März trotzten viele hundert, zeitweilig gar bis zu 6.000 Menschen, darunter fast nur Frauen, den Machthabern mit einer geradezu selbstmörderischen Verzweiflung. Bei Tag und bei Nacht standen sie mit ihren Kindern vor dem von den Nazis als Sammellager für in „Mischehe“ lebende Juden mißbrauchten Haus der Jüdischen Sozialverwaltung in der Rosenstraße 2-4. Sie riefen: „Wir wollen unsere Männer wiederhaben“ und in Sprechchören: „Gebt unsere Männer frei“. Zeitweilig war das Gedränge vor dem Haus so groß, daß die Polizei den Verkehr umleiten mußte und für die Straßenbahn das Durchkommen schwer wurde. Die Frauen ließen sich nicht einmal durch die im Hof aufgestellten Maschinengewehre vertreiben. „Ihr Mörder“, schrien sie, „ihr Feiglinge“. 25 der eingesperrten Männer schafften die Nazis über einen Hinterausgang heimlich zum Bahnhof und von dort nach Auschwitz. Die anderen erhielten in den nächsten Tagen nach und nach ihre Entlassungsscheine; ihre Freiheit.

Auch einige hundert Meter entfernt, vor dem ehemaligen Jüdischen Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26, versammelten sich in dieser ersten Märzwoche die Frauen. Und auch ihnen gelang es, ihre „arisch versippten“ Ehemänner von den Transportlisten streichen zu lassen. Und mehr noch. Weil die Frauen der 25 Unglücklichen, die in Güterzügen schon nach Auschwitz rollten, sich bei der Gestapo über die „ungleiche Behandlung“ beschwerten, erklärten die Behörden, die Männer seien „versehentlich evakuiert“ worden. Ein unglaublicher Vorgang. Mit eintätowierter KZ-Nummer und dem Wissen über das Vernichtungslager kehrten sie nach Berlin zurück und wurden – mit Besuchserlaubnis der Ehefrauen – in ein Lager gesperrt.

Der Widerstand der in „Mischehe“ lebenden Ehepartner gegen die Deportationen war einzigartig im nationalsozialistischen Deutschland. Sehr viel mehr Frauen und Männer als die vor der Rosenstraße 2-4 hatten sich schon Jahre zuvor dem Druck der Gestapo gebeugt und sich scheiden lassen. Gegen den verordneten Tod der bereits über 50.000 in den Osten „verschickten“ Berliner war niemand öffentlich aufgestanden. Und der Protest der Frauen rettete auch keinen einzigen der über 10.000 jüdischen, nicht „arisch versippten“ Rüstungsarbeiter, die ebenfalls Ende Februar von ihren Arbeitsplätzen weggeholt und deportiert wurden. Die sogenannte „Fabrik-Aktion“, die auch die letzten „kriegswichtigen“ Juden aus den Berliner Rüstungsfabriken entfernen sollte, ist, aufs Ganze gesehen, nicht gescheitert. Doch der erfolgreiche Ausgang des Frauenprotestes „legt die Vermutung nahe, daß ähnliche Aktionen den Kurs der NS-Judenpolitik in andere Bahnen hätte leiten können“, schreibt der Historiker Konrad Kwiet. Vielleicht. Es ist möglich, daß die Nationalsozialisten die aufbegehrenden Frauen deshalb nicht in Konzentrationslager schaffen ließen, weil die Stimmung insgesamt in Berlin kriselte. Das Stalingrad-Desaster hatte bei vielen den Glauben an den Endsieg zerstört, und die Feldpostbriefe von der Front um Charkow kamen auch nicht mehr an. Dazu kostete der schwere englische Bombenangriff in der Nacht vom 1. auf den 2. März 1943 vielen hundert das Leben, und in der Bevölkerung war es Tagesgespräch, daß die Flak oft nur noch von übermüdeten 16jährigen Schülern bedient wurde.

In den Gedenkstunden, die im späteren demokratischen Deutschland an die Ausgrenzung und Ermordung der Juden erinnerte, wurde der Protest der nichtjüdischen Frauen in der Rosenstraße kaum erwähnt. Im Zentrum stand immer die „Fabrik-Aktion“, die Berlin endgültig „judenfrei“ machen sollte und es faktisch auch tat. Zu den Menschen, die niemanden hatten, der für sie sprach, gehörte auch der Siemens-Rüstungsarbeiter Heinz Galinski. Jetzt zum 50. Jahrestag und in einer Zeit, in der es wieder gilt, nicht wegzuschauen, wenn Menschen Opfer rassistischer Gewalt werden, rückt erstmals der erfolgreiche Widerstand der Frauen in den Mittelpunkt des Gedenkens. Dieses Erinnern wird vor allem möglich gemacht, weil in diesen Tagen die Edition Hentrich ein bereits seit Jahren vergriffenes Buch neu und aktualisiert herausgegeben hat. Der Autor Gernot Jochheim hat Zeitzeugen befragt und die Geschehnisse in eine Art Tatsachenroman über das authentische Schicksal von Hans Grossmann eingearbeitet. Enthalten sind in dem Bericht Dokumente sowie Auszüge aus dem Tagebuch von Josef Goebbels. In den Schulbüchern und wissenschaftlichen Darstellungen kommt die Episode fast überhaupt nicht vor.

Auch den Ort des Geschehens finden Unkundige nicht. Die einst zweispurige Durchgangsstraße ist durch Verkürzung, Verlagerung, Abrisse und Querbebauung zu einer Sackgasse hinter dem Baukomplex Spandauer Straße/Karl- Liebknecht-Straße geworden. Die Hausnummer 2-4 mit der alten Synagoge dahinter gibt es nicht mehr, auf der Ödnis wächst das Gras. Im vergangenen Jahr stand dort eine Woche lang eine mit Informationen bedruckte kleine Litfaßsäule. Studenten der Fachhochschule für Sozialarbeit hatten sich den Protest der Frauen zu ihrem Arbeitsthema gemacht. Am heutigen Samstag wird sie wieder aufgestellt und werden die Grundrisse des Verwaltungsgebäudes und der Synagoge auf dem Boden markiert. Irgendwann wird hier auch ein Gedenkstein-Ensemble stehen, das Werk der Ostberliner Bildhauerin Ingeborg Hunzinger steht kurz vor der Vollendung. In drei hohe purpurfarbene Quader aus Vulkangestein sind Figuren hineingehauen, die die Geschichte – Verfolgung und Wiedersehen – versinnlichen. Neben den Figuren und jüdischen Symbolen sind Wörter eingemeißelt: „Die Kraft des zivilen Ungehorsams und die Kraft der Liebe bezwingen die Gewalt der Diktatur“.

Gernot Jochheim: „Frauenprotest in der Rosenstraße“. Edition Hentrich, Berlin 1993, 19.80 DM

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