■ Interview mit dem bosnischen Vize Zlatko Lagumdzija
: „Endlich sind die USA im Spiel“

Zlatko Lagumdzija gehört der jüngeren Politikergeneration Bosnien-Herzegowinas an. Er ist Mitglied der „Liberalen Partei“, in der alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind, die sich also nicht entlang ethnischer Linien formiert hat.

taz: In Sarajevo wurde die Bevölkerung von Ihnen, der Regierung Bosnien-Herzegowinas, zu einem Hungerstreik aufgerufen, in Tuzla drohten die Behörden mit dem Einsatz des Giftgases Chlorin. Was wollen Sie mit solchen Aktionen bezwecken?

Zlatko Lagumdzija: Vor zwei Wochen schien unser Land völlig am Boden zu liegen. Hunderttausende in den Enklaven Srebrenica, Zepa, Cerska und Gorazde schienen dem Hungertod preisgegeben, über 5.000 sind ja schon verhungert. Damals schien jede Hoffnung für alle diese Menschen vergebens. Da hatten wir allen Grund, verzweifelt zu sein. Jetzt aber hat sich die Lage etwas stabilisiert. Im allgemeinen bin ich zwar kein Optimist, aber seit kurzem haben wir wieder Gründe, optimistischer zu sein.

Warum sind die internationalen Organisationen Ihrer Meinung nach so zurückhaltend?

Weil sie nicht objektiv an den Konflikt herangehen. Objektiv sein hieße, die Fakten zu sammeln und dann zu bewerten, dann erst entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Sie wollen jedoch einen Kompromiß zustande bringen, indem sie jede Seite zum Nachgeben überreden wollen. Das ist aber alles andere, als neutral und objektiv zu sein, denn dieses Vorgehen belohnt den Aggressor. Damit werden alle vorangegangenen Verbrechen, die Massenmorde und die Vergewaltigungen, legitimiert. Ein Freund von mir hat den Spruch geprägt: 1973 war die Zeit von Watergate, 1993 kommt die Zeit von UNOgate.

Ändert sich mit mit dem neuen US-Präsidenten Clinton etwas an der Situation?

Das wesentliche am Clinton- Plan ist nicht das, was in ihm steht. Entscheidender ist, daß der große Spieler endlich ins Spiel gekommen ist. Die Vereinigten Staaten können nicht vorgehen wie kleinere Mächte, die manchmal sogar guten Willen zeigen, aber dann letztlich nichts bewegen können. Die USA können es sich einfach nicht leisten, an der Nase herumgeführt zu werden, ihr Prestige steht nämlich mit auf dem Spiel. Schon die humanitäre Hilfe nachdrücklicher durchzusetzen könnte die Situation im ganzen beruhigen. Inhaltlich aber hatten wir vom Plan mehr erwartet.

Sie wollten also mit dem Hungerstreik die USA zwingen, einen größeren Schritt zu tun.

Vor allem wollten wir die UNO und ihre humanitäre Hilfsorganisation UNHCR dazu zwingen, entweder den belagerten Menschen in Srebrenica, Gorazde, Zepa und Cerska zu helfen oder aber zuzugeben, daß die ganze Mission gescheitert ist. Immerhin ist jetzt eine Diskussion über das Problem entstanden.

Aber die hat doch keine Konsequenzen gezeitigt.

Da müssen wir abwarten. Sicherlich sind die bisher angekündigten Maßnahmen, die Fallschirmabwürfe aus großer Höhe, nicht unbedingt verheißungsvoll. Mit den sechs Punkten des amerikanischen Präsidenten Clinton aber hat sich immerhin die Atmosphäre etwas geändert, denn nach seiner Lesart sind Kroaten, Serben und Bosnier Verhandlungspartner. Er sprach nicht von Moslems, er sagte Bosnier. Damit akzeptiert er die Realität, denn hier in Sarajevo stehen Moslems, Katholiken, Orthodoxe und Nichtgläubige zusammen.

Werden Sie selbstbewußter in dem Grade, wie die bosnische Armee sich behauptet?

Natürlich. Zu Beginn des Krieges gab es diese Armee ja gar nicht. Wenn man sagt, wir kontrollieren nur mehr 30 Prozent des bosnischen Territoriums, dann sagen wir: ,Vor neun Monaten kontrollierten wir gar nichts. Jetzt immerhin 30 Prozent.‘ Zweihundert Meter von hier, vom Regierungsgebäude, entfernt, saßen die Soldaten der Jugoslawischen Armee, jetzt lauern dort noch die Tschetniks. Und dennoch haben wir standgehalten. Das ist doch ein Erfolg!

Sie brauchen also bloß noch Waffen, um in die Offensive gehen zu können?

Wenn das Embargo nicht existierte, wären wir dem Frieden schon viele Schritte näher.

Wie denn das?

Ganz einfach. Herr Karadžić kümmert sich nicht um UNO-Resolutionen. Er kennt aber ein Argument sehr genau, nämlich das der Macht. Je stärker wir sind, desto eher ist er geneigt, zu verhandeln. Sind wir aber schwach, dann schreckt die serbische Seite vor Massenmord nicht zurück. Im militärischen Sinne, also in bezug auf die Bewaffnung, ist unsere Armee natürlich immer noch weit unterlegen. Bei der Motivation jedoch ist dies umgekehrt.

Haben Sie eigentlich Freunde in der Welt?

Sicherlich haben uns Deutschland und Österreich politisch am meisten unterstützt, und wir hoffen nun auf Clinton. Eagleburger ist ja nicht mehr im Amt, es geschehen doch immer noch auch positive Dinge. Aber lassen Sie mich eins betonen: Wir würden sehr starke Unterstützung aus den arabischen Ländern bekommen, Zehntausende von Kämpfern würden zu uns kommen, Waffen würden geliefert, doch das wollen wir nicht. Wir wollen eben keine islamische Enklave hier werden, sondern ein besonders bunter Flecken in Europa bleiben. Deshalb hoffen wir auf die Hilfe aus Europa. Wenn Europa dies nicht versteht, werden auch die Muslimanen sich radikalisieren, dann werden sie fordern, die Hilfe aus den arabischen Ländern anzunehmen. Bisher ist es aber noch nicht so weit.

Ich kapiere die Haltung Europas uns gegenüber nicht. Wenn wir nicht zu Europa gehören, dann vielleicht Herr Karadžić? Europa muß eine Wahl treffen. Wenn wir eine Intervention fordern, dann nicht so, daß amerikanische und europäische Soldaten durch die Berge steigen und Tschetniks fangen. Das wäre ja völliger Quatsch. (Im Hintergrund Explosionen von Artilleriegranaten) Gebt uns die Möglichkeit, uns selbst zu verteidigen.

Und was erwarten Sie politisch?

Geben Sie uns Leute, die die amerikanische, britische oder schweizerische Verfassung übersetzen. Aber geben sie uns kein Modell, das sonst auf der ganzen Welt nirgendwo existiert. Wir wollen keine neuen Experimente. Ich sagte kürzlich zu Vance und Owen: ,Wenn Sie Ihr Modell so mögen, warum wenden Sie es nicht in Großbritannien oder in den USA an? Teilt doch die USA auf in Regionen, steckt die Holländer nach Virginia, die Afrikaner an den Missouri, die Deutschen nach Texas, die Engländer und Iren wer weiß wohin. Wenn das Modell dann dort funktioniert, könnten wir auch hier darüber reden.‘

Im Ernst, was erwarten Sie, was realpolitisch geschieht?

Wie die Friedensgespräche bisher geführt wurden, könnte der ganze Schlamassel hier in einen großen Krieg münden...

Können Sie das erläutern?

Der Erste Weltkrieg hat hier in Sarajevo begonnen, der dritte Weltkrieg kann hier ausgelöst werden. Deshalb muß der Krieg in Sarajevo gestoppt werden. (Artillerieeinschläge ganz in der Nähe).

Ist das Traum oder Realpolitik?

Antwort: Manchmal denke ich, der Plan, Bosnien aufzuteilen, ist gar nicht wirklich auf Bosnien bezogen. Vielleicht geht es gar nicht darum, hier eine tragfähige Lösung zu finden, sondern lediglich um die Frage, wie dieser Plan auf Rußland wirkt. Erich Rathfelder, z.Zt. Sarajevo