Die vergessenen Opfer des Kalten Krieges

■ Unverdrossen mahnen die Opfer der politischen Justiz in Westdeutschland ihre Rehabilitierung an/ Kaum Chancen auf Gleichbehandlung in Ost und West/ PDS-Gesetzentwurf im Bundestag ohne Chance

Hannover (taz) – „Leider waren wir vor zwei Jahren schon einmal weiter“, sagt der 64jährige Rentner Karl Stiffel, der die Bemühungen um die Rehabilitierung der westdeutschen „Opfer des kalten Krieges“ bundesweit koordiniert. Zu dieser Zeit gingen bei der Initiativgruppe in Essen noch Briefe ein, in denen etwa die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin „die politische Strafjustiz vor allem in den fünfziger Jahren einen dunklen Tatbestand“ nannte. Der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel erkannte immerhin „Ungerechtigkeiten im Bereich des Staatsschutzstrafrechts“ der alten Bundesrepublik. Doch „seit der Einverleibung der DDR“, sagt Karl Stiffel resignierend, sei selbst bei den Sozialdemokraten kaum noch etwas zu machen.

Schon vor neun Monaten hat die PDS/Linke Liste ein Gesetz „zur Behebung und Wiedergutmachung von politischen Ungerechtigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland“ in den Bundestag eingebracht. Als jedoch vor drei Wochen ein rundes Dutzend der heute noch lebenden Opfer der westdeutschen politischen Justiz zu einer Anhörung noch Bonn reiste, blieben diese mit einigen Experten und den Initiatoren des Gesetzentwurfes allein. Kein einziger Vertreter anderer Parteien, auch nicht von Bündnis 90/Grüne, interessierte sich etwa für das Schicksal von Elfriede Kautz und Gertrud Schröter, die wegen ihres Engagements für Kinderferienlager in der DDR zu jeweils einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung verurteilt wurden. Auf der Anhörung stellte die Initiativgruppe anhand von Einzelschicksalen noch einmal das ganze Spektrum der politischen Verfolgung der 50er und 60er Jahre dar: Urteile wegen Engagements für die „Freie Deutsche Jugend Westdeutschlands“ (5 Jahre), wegen Tätigkeit für die „Sozialdemokratische Aktion“ (dreieinhalb Jahre), natürlich wegen „illegaler Tätigkeit für die KPD“, aber auch wegen politischer Aktivitäten in Gewerkschaften. Das Ausmaß politischer Repression in der alten Bundesrepublik zu Zeiten des Kalten Krieges ist längst in Büchern dokumentiert – von 150.000 Ermittlungsverfahren spricht etwa der hannoversche Staatsrechtler Alexander von Brünneck. Jedes zwanzigste dieser Verfahren endete mit einem Urteil, aber zu Untersuchungshaft oder zum Verlust des Arbeitsplatzes konnten auch schon die Ermitllungen führen.

Nur noch eine Minderheit der damaligen Opfer der Justiz lebt heute noch. Verurteilt wurden sie alle auf Grundlage des 1951 eingeführten und 1968 wieder aufgehobenen Strafrechtänderungsgesetzes, das der CDU ausdrücklich als eine „Waffe“ galt, „die geschmiedet wurde, um im kalten Krieg zu bestehen“. Der Gesetzentwurf der PDS will eine Aufhebung der alten Urteile erreichen, er sieht eine Rückerstattung von „gezahlten Geldstrafen, Gebühren und Haftkosten“ vor und will, daß die Haftzeiten der Opfer als Rentenausfallzeiten angerechnet werden. Man dürfe sich bei der Rehabilitierung von Opfern von Strafverfolgungsmaßnahmen nicht allein „auf das ehemalige Staatsgebiet der DDR beschränken“, fordert der Gesetzentwurf Gleichbehandlung in Ost und West ein.

Doch es ist gerade diese Forderung nach Gleichbehandlung in Ost und West, mit der andere Parteien gegen die Rehabilitierungsinitiative zu Felde ziehen. So sieht etwa die CDU/CSU-Fraktion durch die Bemühungen um Rehabilitierung der Kalte-Kriegs-Opfer die „Bundesrepublik Deutschland mit Diktaturen wie denen des Dritten Reiches und der ehemaligen DDR auf eine Stufe“ gestellt. Auf der Anhörung meinte dazu der Rechtsanwalt Rolf Gössner: „Es muß nicht notgedrungen mit der Ablenkung vom strukturell recht unterschiedlichen SED-Unrecht zu tun haben, wenn Mißstände, Fehlentwicklungen und Ungerechtigkeiten der Alt-Bundesrepublik aufgearbeitet und zur Kenntnis gebracht werden“.

Im März, so heißt es bisher, werde der zuständige Rechtsausschuß des Bundestages über den Gesetzentwurf der PDS beraten. Im mitberatenden Haushaltsausschuß haben bereits alle Fraktionen eine Ablehnung empfohlen. Karl Stiffel hat nur noch die Hoffnung, daß ihm am Ende zumindest noch seine Haftzeit als Rentenausfallzeit anerkannt wird, wie das bei allen normalem Straftätern heute längst geschieht. Seine nicht üppige Rente von heute 1.613 Mark würde sich durch eine solche Gleichbehandlung mit gewöhnlichen Straftätern immerhin um runde hundert Mark erhöhen. ü.o.