Jugendarbeit statt Polizeiknüppel

■ Hearing Verbrechensverhütung: Kriminalexperten und Innenpolitiker werden ganz sozial

Daß die klassische Kriminalitäts-Prävention nach dem biederen Muster „Die Kriminalpolizei rät“ wenig zur Bekämpfung oder gar zur Verhütung von Verbrechen beigetragen hat, hat sich inzwischen auch unter Kriminalpolizisten herumgesprochen: Diese Art der Prävention war „opferorientiert, sie gab Verhaltensempfehlungen, die zu Freiheitseinbußen und sogar zu Rückzug und Isolation der Ängstlichen führte“, kritisierte Kriminologe Joachim Jäger, wissenschaftlicher Berater des Rates für Kriminalitätsverhütung in Schleswig-Holstein anläßlich eines Hearings des Innensenators zu den Möglichkeiten polizeilicher Prävention.

Die Innenpolitik entdeckt ihr Herz für die Sozialpolitik: Noch ertönt angesichts steigender Kriminalitätsziffern allerorten oft und laut der Ruf nach mehr Polizei und Repression. Aber die Repression hat versagt und ist außerdem zu teuer, bilanzierten die nach Bremen geladenen Experten der Polizeiführungsakademie und des Landes Schleswig-Holstein. „Kriminalpolitik ist nach wie vor einseitig und kurzatmig“ kritisierte Joachim Jäger. Und der Kriminaldirektor im Ruhestand, Helmut Koetzsche warnte: „Wenn die Belegung der amerikanischen Gefängnisse weiter so zunimmt wie in den letzten Jahren, wird im Jahr 2050 jeder zweite US-Bürger im Gefängnis sitzen.“

Kriminalstatistiken sind unzuverlässig und leicht zu fälschen, warnen die Experten, wann immer die Hitlisten der gefährlichsten Großstädte ins Spiel kommen. Doch paradoxerweise führten erst traurige Rekorde in der Verbrechens-Statistik in Städten wie Lübeck und Neumünster zur Bildung von ressortübergreifenden Räten zur „Kriminalitätsverhütung“. Auf Präventionsräte auch auf Bundes- und Landesebene warten Kriminologen wie Joachim Jäger „schon seit 25 Jahren“. Nur Schleswig-Holstein und Hessen haben in den letzten Jahren solche Gremien eingerichtet.

Wie arbeiten Präventionsräte

die beiden Polizisten

auf dem Kran

„Die Kriminalpoizei rät“ — rettungslos out.Foto: Archiv

und was können sie leisten? Sie müssen bei den Ursachen für Kriminalität ansetzen, forderte Joachim Jäger: beim Täter, nicht beim Opfer. Dreh- und Angelpunkt der Prävention sei die Sozialisation. „Aus kriminologischer Sicht ist die Jugendarbeitslosigkeit eine nicht hinnehmbare Tatsache“, sagte Jäger. Etwa ein Zehntel der Jugendlichen werde „nicht gebraucht“ und erhalte damit in dieser Gesellschaft auch keine Chance. Für dieses Zehntel falle eine wichtige Sozialistationsinstanz weg: Ausbildung und Beruf.

Ähnlich wie die Verkehrssicherheit müsse auch die allgemeine Sicherheit zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe werden, forderte Jäger, der einen „interessanten Zusammenhang“ zwischen Verkehrssicherheit und niedrigen Kriminalitätsziffern beobachtet hat: Wo verschiedene Instanzen an einem gemeinsamen Sicherheitskonzept arbeiten, seien offensichtlich Gemeinsinn und Hilfsbereitschaft stärker ausgeprägt.

Keinesfalls dürfe die Bildung eines Rats zur Kriminalitätsverhütung alleinige Sache der Polizei

sein, mahnte Kriminaldirektor Reinhard Aben, Dozent für Kriminologie an der Polizeiführungsakademie, der von den Erfahrungen in der Stadt Lübeck berichtete. Wie in Lübeck müsse jede Kommune die Prävention zu „ihrer Sache“ machen. Acht Arbeitsgruppen zur Kriminalitätsprävention haben sich in der Hansestadt gebildet. Ihre Schwerpunkte: Stadtteilarbeit, neue Wohnformen, Jugendgruppendelinquenz, technische Prävention, Suchtprävention, Gewalt in der Familie, Gewalt gegen Frauen und Ladendiebstahl. Schulbehörde, Bauplanungsamt, Stadtjugendamt, Kirche, Frauenbüro und Einzelhandel wirken in diesen Arbeitsgruppen an Präventionskonzepten mit.

Sie freue sich, daß Innenpolitiker Forderungen entdeckten, die für Jugend- und Sozialpolitiker seit 20 Jahren selbstverständlich seien, merkte die grüne Sozialpolitikerin Karoline Linnert an. Sie warnte jedoch vor zu hohen Erwartungen an einen solchen Präventionsrat: Erfolg verspreche sie sich in erster Linie von einem stadtteilbezogen arbeitenden Gre

mium. Tatsächlich konnten die Experten — mangels Projekten — auch von wenig Erfolgen der Präventionsarbeit berichten. Sie beschworen die Politik der kleinen Schritte. Joachim Jäger nannte das Beispiel einer Go-Cart-Bahn in London, die vorbildlich „bei den Interessen der Jugendlichen in der auto-mobilen Gesellschaft“ ansetze. Seine Hoffnung: „Die Kids, die hier herkommen, werden später keine Crash-Kids, die Autos klauen und sie zu Schrott fahren.“ Jäger erinnerte aber auch daran, daß Kriminalitätsprävention gegen massive Interessen angehen müsse, „weil mit steigender Kriminalität auch Geschäfte gemacht werden“.

Wenig Vertrauen zeigten die Kriminalexperten in die Selbstorganisation der Jugendlichen. Die jugendlichen Banden, die in den Berliner U-Bahnen als „Guardian Angels“ ähnlich dem New Yorker Vorbild für die Schwachen Partei ergreifen wollen, sind in den Augen von Kriminaldirektor Koetzsche „unkontrollierbar“, da sie sich „ihre Regeln selbst setzen“. Diemut Roether