piwik no script img

■ Der Hoechst-Skandal wirft grundsätzliche Fragen aufHantieren mit dem Unbekannten

Die Chemieindustrie bekämpft ihr schlechtes Image seit Jahren mit aufwendigen Werbekampagnen. Kernstück des Werbens um Vertrauen: Strahlende bärtige Forscher künden von den Umweltschutzanstrengungen der Industrie. Verängstigten Bürgerinnen und Bürgern werden Adressen und Telefonnummern angeboten, wo sie ihre Sorgen über Gefahren und Risiken zerstreuen lassen können.

Im Ernstfall, das hat der jüngste Unfall in den Frankfurter Hoechst-Werken gezeigt, funktioniert die Informationsweitergabe nicht. Nicht an die Bürger, nicht an kritische Wissenschaftler, nicht einmal an die zuständigen Behörden gaben die Hoechst-Leute ihr Wissen rechtzeitig und vollständig weiter.

Darin zeigt sich zum einen wieder einmal die klandestine Informationspolitik deutscher Großkonzerne. Die Manager halten Bürgerinnen und Bürger für zu dumm, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Den Anwohnern einer solchen gefährlichen Fabrik wird Hysterie statt Lernbereitschaft unterstellt. Zahlen über den Giftausstoß der Chemiewerke werden nicht veröffentlicht, weil sonst – so das Argument der Manager – die Konkurrenz erkennen könnte, was man produziert. In den USA müssen die Manager der gleichen Konzerne dieselben Daten der Bundesumweltbehörde EPA maschinenlesbar zur Verfügung stellen. Und jede/r Anwohner/in kann sich bedienen.

Vor allem aber macht den Hoechst-Leuten das zentrale Dilemma ihrer Industrie zu schaffen. Sie wissen nicht, was sie tun. Diese Industrie hantiert mit Tausenden von Stoffen, deren Brisanz den Verantwortlichen schlicht und ergreifend nicht bekannt ist. 70.000 sogenannte Altstoffe müßten nach dem sieben Jahre alten Chemikaliengesetz untersucht werden – über ihre Giftigkeit ist oft kaum etwas oder gar nichts bekannt. Erst bei wenigen Stoffen wurden die vorgeschriebenen Untersuchungen in Angriff genommen. Dennoch geht die Produktion in den chemischen Fabriken munter weiter, und dennoch klagt die Industrie, die häufig genug nichts über ihre gegenwärtige Produktion weiß, für die Zukunft sogar das kaum kontrollierbare Hantieren mit genetisch manipulierten Tieren und Pflanzen ein.

Macht, Geld und die Arbeitsplätze in der deutschen Chemieindustrie haben die Manager in der Vergangenheit nicht vor unangenehmen Fragen, aber vor der einzig möglichen Konsequenz ihres unverantwortlichen Tuns bewahrt. Wenn die Industrie nur mit Stoffen hantieren dürfte, die ihr genau bekannt sind, müßte sie dicht machen, so gestern ein Hoechst-Sprecher mit entwaffnender Offenheit. Man sollte den Mann endlich beim Wort nehmen. Macht ihren Laden dicht, denn sie wissen nicht, was sie tun. Hermann-Josef Tenhagen

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen