Justiz: Umwälzung wg. Aufbauhilfe

■ „Entlastungsgesetz“ soll durch Aufgabenverschiebung Personal freisetzen

Rechtsanwälte und Richter haben erbittert dagegen gekämpft, seit gestern müssen sie damit leben: mit dem sogenannten „Entlastungsgesetz“. In ihm legt der Gesetzgeber Aufgabenverschiebungen fest, um Personalkapazitäten für die Aufbauhilfe der Justiz in den neuen Bundesländern leisten zu können. Im Klartext: Viele Zivil- und Strafverfahren, die bisher am Landgericht verhandelt wurden, werden künftig im Amts- bzw. Schöffengericht landen.

Weil in den Kammern des Landgerichtes je drei Berufsrichter (ein vorsitzender Richter, zwei Beisitzer) die Verhandlungen führen, am Amtsgericht jedoch ein Einzelrichter bzw. Einzelrichter plus zwei Schöffen, läßt sich durch diesen Schritt bereits Personal einsparen, zumal das „Pensum“ (eine rein rechnerische Größe für die Personalplanung) der Amtsrichter mit 640 Verfahren pro Richter und Jahr weit über dem der Landrichter (mit ca. 140 Verfahren) liegt. Darüber hinaus sollen diese Dreierkonstellationen auf zwei reduziert werden — eine weitere Einsparung, die nach Ansicht von Experten den BürgerInnen kaum auffallen wird.

Dennoch kritisierte noch am Wochenende Niedersachsens Justizministerin Heidi Alm-Merk (SPD), dieses Gesetz schränke „eine ganze Reihe von Bürgerrechten“ ein. So kann ein Amtsrichter künftig z.B. per Strafbefehl nicht nur Geld-,sondern auch einjährige Freiheitsstrafen erlassen, ohne daß der Betroffene persönlich gehört, also ohne daß je eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Nach heftigen Protesten von Anwälten und Richtern ist dies nach dem gestern in Kraft getretenen Gesetz nur in den Fällen möglich, in denen der Betroffene einen (Pflicht-)Verteidiger hat, der ihn entsprechend berät und aufklärt.

Dennoch besteht an dem Verfahren weiter Kritik. Der Bremerhavener Amtsrichter Bernd Asbrock zum Beispiel will dies „persönlich nicht anwenden“: Schließlich sei durchaus denkbar, daß eine etwaige Bewährung widerrufen würde und jemand für ein Jahr in den Knast wandere, ohne daß ihn ein Richter jemals gesehen habe. Für Asbrock, der über die ÖTV bereits im Vorfeld zu den Kritikern des neuen Gesetzes zählte, ist

Verlagerung von Ost nach West Foto: Tristan Vankann

dies „ein Unding“, da der Richter nach persönlichem Ermessen entscheiden müsse, wie beispielsweise Bewährungsauflagen oder die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit oder ähnliches auf die angeklagte Person überhaupt wirke, ob demjenigen ein Bewährungshelfer an die Seite gestellt werden müsse usw. Für Asbrock kommt eine Freiheitsstrafe per Strafbefehl deshalb nur in Frage, wenn der Angeklagte dies ausdrücklich will. Asbrock: „Dabei stellt sich die Frage, welche Täter dies sein werden. Zugute kommt das doch den Leuten, die eine öffentliche Hauptverhandlung scheuen, wie z.B. Wirtschaftsstraftätern.“

hier die

Glasbrücke

Im Bereich mittlerer Kriminalität führt das Entlastungsgesetz zu einer „erweiterten Strafgewalt“ von Amts-und Schöffengerichten: während diese bisher bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe verhängen konnten, sind ihnen jetzt bis zu vier Jahren möglich. Damit landen bei ihnen zahlreiche Fälle, die die Staatsanwaltschaft bisher vors Landgericht brachte. Für die Betroffenen hat auch dies weitreichende Konsequenzen: Sie haben hier eine grundsätzliche Berufungsmöglichkeit, können also in die 2. Tatsacheninstanz. Damit wird durch die Berufung das gesamte Verfahren neu aufgerollt, während nach einem Prozeß vor dem Landgericht lediglich eine

rein rechtliche Überprüfung, die Revision, möglich ist. Für die Opfer von Vergewaltigungen fatal: Sie können zweimal durch die Verfahrens-Mühle gezwängt werden.

Ungeachtet der Kritik bezweifelt der Präsident des Amtsgerichts Bremen, Rüdiger Tönnies, ob auch die gewünschten Kapazitäten freigesetzt werden können: Es verändere sich zunächst nur die Rechengröße. Er schätzt, daß durch die Aufgabenverschiebung allein 40 % der Zivilsachen zusätzlich beim Amtsgericht landen. Und ob infolge dieser Mehrbelastung die Pensionen der Amtsrichter reduziert werden müssen, hat den Gesetzgeber bisher nicht gekümmert. Birgitt Rambalski