Das Regierungsviertel beschallen

■ Jahresbilanz des Hauses der Kulturen der Welt / Mehr Besucher, mehr Veranstaltungen und weniger Geld führte zu dramatischer Finanzsituation

Moabit. „Unsere Außenarbeit könnte zur Belebung der Atmosphäre im Regierungsviertel beitragen“, spielte Anke Wiegand- Kanzaki, Generalsekretärin des Hauses der Kulturen der Welt in der John-Foster-Dulles-Allee, schmunzelnd auf die Open-air- Konzerte im Sommer an. „Die Damen und Herren könnten süchtig werden, wenn unsere Musik durch ihre Betonwände dringt.“

Das Regierungsviertel im Reggae-Rausch – ein schönes Bild, das aber leider Utopie bleiben wird. Als hätten die Regierenden geahnt, was auf sie zukommt, haben sie die staatlichen Subventionen für das Haus so zusammengekürzt, daß seine Arbeitsfähigkeit wegen der „katastrophalen Haushaltslage“ ab Herbst gegen null tendieren wird. So jedenfalls lautete die Einschätzung seiner MitarbeiterInnen, die gestern Jahresbilanz zogen. Auch die legendären „Heimatklänge“, die, vom Tempodrom mitveranstaltet, jeden Sommer ein vieltausendköpfiges Publikum zum Tanzen brachten, kann das Haus 1993 nicht mehr finanzieren.

Für seine Leitungscrew ist die Lage geradezu schizophren. „Viel Anerkennung, wenig Unterstützung“ – auf diese Formel brachten sie ihre Situation. Einerseits erfahren sie bundesweit und international großes Lob für ihr einzigartiges Konzept. Vielbeachtete Veranstaltungen wie zuletzt das Festival für chinesische Rockmusik und die noch laufende Kunstausstellung „China Avantgarde“ haben die Besucherzahlen in die Höhe schnellen lassen: 1990 waren es 117.000, 1991 184.000 und 1992 mehr als 265.000 Menschen. Anderererseits sind die Subventionen von 3,5 Millionen im Gründungsjahr 1989 auf nunmehr 2,8 Millionen gesunken, obwohl sich die Anzahl der Veranstaltungen gleichzeitig verdreifacht hat.

Angesichts dieser Finanzklemme „schockiert es uns kaum noch“, so Pressesprecher Harald Jähner, wenn der Haushaltsausschuß des Bundestages weiterhin bösartig die Aufhebung der im Herbst verhängten Sperre von Finanzmitteln verweigern sollte. Anlaß seines damaligen Streits mit dem Haus der Kulturen der Welt war der Anspruch des Besucherdienstes des Bundestages auf einen Teil des Hauses, solange der Reichstag umgebaut wird.

Inzwischen aber habe der Besucherdienst seine Ansprüche reduziert, berichtete die Generalsekretärin, so daß sie via Verzicht auf die Studiogalerie einen Kompromiß erreichen konnten und nunmehr auch auf die gnädige Entsperrung der Gelder hoffen dürfen.

Dennoch: Diese werden hinten und vorne nicht mehr reichen. Akut bedroht sind vor allem jene Bereiche, mit denen das Haus der Kulturen der Welt „heraus aus dem Ghetto der Gutwilligkeit“ kommen und Menschen erreichen wollte, die gerade in Zeiten aufkommenden Ausländerhasses „nicht von vornherein Interesse an fremden Kulturen haben“. Sprich: die Arbeit mit SchülerInnen und Jugendlichen und Veranstaltungen in Ostdeutschland. Dabei seien ihre bisherigen Angebote, das „Kinderkino“ für Schulklassen, Workshops mit ausländischen KünstlerInnen für Jugendliche und diverse Programmtourneen in Potsdam, Erfurt, Dresden und Leipzig, sehr gut angekommen, bedauerte der Pressesprecher. Und: Per Satzung seien sie sogar verpflichtet, dortselbst und bundesweit Veranstaltungen abzuhalten. Gezwungenermaßen aber wird sich das Haus nun wieder mehr auf seinen Wirkungskreis am Rande des Tiergartens besinnen müssen – und die Bauarbeiter des Regierungsviertels beschallen. Ute Scheub