■ Noch hat die Schweiz kein weibliches Regierungsmitglied
: Geschlossene Männergesellschaft?

Wenn es um die Verteidigung ihrer Privilegien geht, kennen die Herren Schweizer keine Parteien und keine Ideologien, sondern nur das Geschlecht. Das ist auch im Jahr 702 der Schweiz noch so. Diesmal haben sie sich im Geschlechterkampf gegen Christiane Brunner verbrüdert. Kaum war deren Kandidatur als Ministerin für die siebenköpfige Regierung bekannt, rotteten sich Männer fast aller politischen Couleur zu einer sexistischen Schlammschlacht zusammen, deren einziges Ziel es war, das Vordringen einer Frau in die Herrenriege an der Staatsspitze zu verhindern. Die Biedermänner lancierten Gerüchte über Liebhaber und Ehemänner von Brunner, raunten sich Details über Nacktfotos zu und beklagten den Kleidungsstil der Kandidatin.

Tatsächlich verkörpert Brunner all das, was in der Schweiz provoziert. Sie ist „Alt-68erin“, linke Gewerkschafterin, Feministin und eine streitfähige Politikerin, die es unter anderem gewagt hat, öffentlich für die Abschaffung des Militärs einzutreten. Doch die daraus folgenden politischen Kontroversen waren weder Gegenstand der Parlamentsdebatten und Hearings der vergangenen Wochen noch der Grund für das gestrige Wahlergebnis. Die Mehrheit der 256 Abgeordneten (davon 209 Männer) der Bundesversammlung stimmten nur deshalb für den von seiner Partei überhaupt nicht ins Rennen geschickten Sozialdemokraten Francis Matthey, weil der das richtige Geschlecht und das in langen Jahren der Männerkumpanei auf kantonaler und nationaler Ebene eingeübte berechenbare Herdenverhalten hat.

Eine geschlossene Männergesellschaft ist die Schweiz trotzdem nicht mehr. Schließlich gab es seit dem nationalen Frauenstreik für Gleichberechtigung vom 14. Juni 1991, den Brunner mitorganisiert hat, zahlreiche Anzeichen eines neuen Selbstbewußtseins der Schweizerinnen. Brunners Tätigkeit als Vorsitzende der Gewerkschaft der Uhren- und MetallarbeiterInnengewerkschaft ist nur ein Beispiel. Auch jetzt sind viele Schweizerinnen nicht bereit, die Parlamentsentscheidung hinzunehmen.

Für die Schweizer Sozialdemokratische Partei ist damit die Stunde der Wahrheit gekommen. Will sie vor ihrer Basis – zumal der weiblichen – bestehen, bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als den Fehdehandschuh aufzugreifen. Sie muß Brunner bei der zweiten Abstimmung in der nächsten Woche zur Ministerin machen. Sollte ihr das gelingen, muß sie aus der Regierung ausscheiden und in der Opposition Politik machen.

Die seit 1959 zusammenarbeitende Mehrparteien- Regierung – die bislang nur einmal und für eine kurze Zeit in den 80er Jahren mit Elisabeth Kopp ein weibliches Mitglied hatte – wäre mit einem Auszug der Sozialdemokraten am Ende. Die vielgerühmte „Konkordia“ aller Schweizer Parteien hätte sich als das entpuppt, was sie in Wirklichkeit immer war, eine reine „Männerkonkordia“. Dorothea Hahn