Ungarischer Kurswechsel an der Donau

Die ungarische Regierung scheint bereit, auf ihre bisherige Forderung nach einem Abriß des Wasserkraftwerkes im slowakischen Gabčikovo zu verzichten  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Über drei Jahre ist es inzwischen her, daß die Kommunisten Ungarns nicht zuletzt wegen des Staustufensystems Gabčikovo-Nagymaros ihren Hut nehmen mußten, doch immer noch – das haben die Ereignisse der vergangenen Wochen gezeigt – enthält der ungarisch-slowakische Streit über das Wasserkraftwerk an der Donau innenpolitischen Sprengstoff. So warf das Parlament in Budapest sowohl dem mit den slowakisch- ungarischen Verhandlungen unter EG-Vermittlung beauftragten Außenstaatssekretär János Martoni als auch dem Vorsitzenden des parlamentarischen Umweltausschusses, Rott Nándor, die „Untergrabung“ der offiziellen Regierungsposition vor: Sie hätten die Forderung nach Abriß des Wasserkraftwerkes aufgegeben und so der slowakischen Regierung, die weiterhin nicht bereit ist, auf Gabčikovo zu verzichten, einen guten Dienst erwiesen.

In Wirklichkeit dürfte es wohl die ungarische Regierung gewesen sein, die sich schon vor der teilweisen Inbetriebnahme des Kraftwerks Ende des vergangenen Jahres durch eine verunglückte Außenpolitik einen schlechten Dienst erwiesen hat. Derweil sich ihre Mitglieder nach außen hin als lupenreine Ökologen präsentierten (obwohl sie an anderer Stelle, etwa in bezug auf den Ausbau des einzigen ungarischen Atomkraftwerkes, genau das Gegenteil bewiesen hatten), wurde im Hintergrund kräftig an der internationalen Isolation der Slowakei gearbeitet – ein Vorhaben, daß in seiner Radikalität offensichtlich scheitern mußte. Während der Umleitung der Donau waren es schließlich die scharfen Töne der Regierung und das lautstarke Geschrei einer kleinen, ultranationalistischen Gabčikovo- Opposition, die hämische Berichte in ausländischen Medien nach sich zogen und Ungarns berechtigtes Anliegen gegen Gabčikovo schwächten.

Denn das gigantische Wasserkraftwerk kann durchaus als ökologisches Wahnsinnsprojekt bezeichnet werden, das nicht nur ein biologisch besonderes Gebiet und seine Flora und Fauna vernichtet. Abgesehen von den schon eingetretenen und kurzfristig zu erwartenden Folgen, ist auch eine der letzten großen Trinkwasserreserven Europas bedroht: Durch den Stillstand des Wassers im Stausee sickern Dreck und Giftstoffe, die bisher von der Donau weggespült werden, Stück für Stück in die unter ihr liegende Grundwasserreserve.

Dem slowakischen Regierungschef Vladimír Mečiar gelang es unterdessen, das Problem Gabčikovo geschickt mit den Angelegenheiten der ungarischen Minderheit in der Slowakei zu vermischen. Wohl wissend, daß er damit einen empfindlichen ungarischen Punkt treffen würde, warf er den 600.000 zumeist in der Südslowakei lebenden UngarInnen und ihrer politischen Vertretung vor, eine fünfte Kolonne Budapests zu sein. Mečiar zögerte auch nicht, Ungarn wiederholt und unbegründeterweise vorzuwerfen, es habe an der slowakischen Grenze militärische Einheiten aufgefahren, um in der Südslowakei zu intervenieren.

Mit ihrem Kurswechsel hin zu einer gemäßigteren Politik konnte die ungarische Regierung nun zwar seit Anfang des Jahres einige Teilerfolge verbuchen und erreichen, daß die EG-Vermittler recht eindeutig gegen die Slowakei Stellung nehmen. Der Preis für diesen Kurswechsel besteht jedoch praktisch in der Duldung von Gabčikovo. So akzeptierte Ungarn Mitte Februar das ihm und der Slowakei vorgeschlagene Drei-Punkte-Paket, das eine Einigung beider Seiten vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vorsieht, die Wasseraufteilung zwischen den beiden Ländern regelt und Ungarn verpflichtet, der Slowakei für ausgefallene Stromproduktion Ersatz zu leisten.

Als „Gegenleistung“ für die ungarische Kompromißhaltung setzte die EG ihrerseits die Slowakei unter Druck: Solange sie nicht das Drei-Punkte-Paket akzeptiere, werde der Assoziationsvertrag mit der EG auf Eis gelegt – ein Ultimatum, das wiederum das Dilemma der EG-Politik verdeutlicht. Die Gemeinschaft hat sich viel zu spät als Vermittlerin eingeschaltet und ist nicht an einem qualitativen, sondern möglichst schnellen Verhandlungsende interessiert.

Mečiar jedoch spielt auf Zeit, will durch die endgültige Fertigstellung von Gabčikovo vollendete Tatsachen schaffen. So hat die Slowakei bisher lediglich signalisiert, daß sie Ungarn den Anspruch auf einen verstärkten Wasserfluß in das alte Donaubett zugestehen wird. Die Bereitschaftserklärung, vor den Gerichtshof in Den Haag zu gehen, hat die Slowakei dagegen noch nicht unterzeichnet. Sie wäre auch eine Vorbedingung für ein anvisiertes Treffen zwischen dem slowakischen Regierungschef und dem ungarischen Ministerpräsidenten Jozsef Antall, auf dem das ungarisch-slowakische Verhältnis grundsätzlich geklärt werden soll.

Nach allem scheint die Natur endgültig die Verliererin zu sein. Vladimír Mečiar lehnte bei seinem Brüssel-Besuch Ende Februar nicht nur ein Enschädigungsangebot der Londoner Osteuropa- Bank (EBRD) über 10 bis 20 Millionen Ecu jährlich ab, falls er sich zum Abriß Gabčikovos bereit erkläre. Er brachte auch noch einmal eindeutig seine Position auf den Punkt: „Alle erwarten von uns einen Kompromiß in der Energiefrage. Aber eins ist klar: Wir werden nicht zur Wachskerze zurückkehren.“