■ Plädoyer für die doppelte Staatsangehörigkeit
: Fehlgeleitete Ausländerpolitik

Seit Jahrzehnten wird in der Bundesrepublik Deutschland dafür gesorgt, daß die innere Grenze zwischen Deutschen und Nichtdeutschen für beide Seiten sichtbar und spürbar bleibt. Ausländer können beruflich, kulturell und sozial so integriert sein, wie sie wollen, sie können sich mit bayerischen Lederhosen oder Schwarzwälder Tracht kleiden, als Fußballspieler oder Künstler, Forscher oder Talkmaster zur Berühmtheit gelangen, doch sie sind und bleiben Ausländer. Jedes Gesetz, jede Verordnung, die diese Menschengruppe betrifft, soll den „Fremdlingen“ deutlich machen, daß sie sich zwar in Deutschland aufhalten dürfen – solange natürlich dafür akzeptable Gründe vorliegen und nach Meinung der Behörden das Boot nicht voll ist –, aber sie sollen niemals vergessen, daß sie Fremde sind und es auch bleiben werden.

Das Wort „Ausländer“ wird jedem Neuankömmling auf die Stirn eingebrannt. Selbst die Sprache wurde und wird bemüht, um diesen Status zu verewigen. So werden Arbeiter als „Gastarbeiter“ bezeichnet, Bürgerinnen und Bürger sind im öffentlichen Sprachgebrauch „unsere ausländischen Mitbürger“ oder „unsere ausländischen Gäste“. Selbstverständlich sind Gäste dazu angehalten, irgendwann einmal das Gastland zu verlassen. Ausländer haben also, gleichgültig wie lange und in welcher Position sie hier leben, ihren Aufenthalt in Deutschland als ein Provisorium zu betrachten. So können sie sich nur bedingt auf ihre reale Lebenssituation einlassen.

Dieses provisorische Hiersein wird den Ausländern täglich auf unzähligen Wegen zu verstehen gegeben, mit dem Ergebnis, daß – von wenigen Ausnahmen abgesehen – selbst die etabliertesten Ausländer das Gefühl eines provisorischen Daseins längst verinnerlicht haben. Das betrifft auch viele, die hier geboren sind. Äußerlich betrachtet, leben Ausländer genau wie Deutsche. Sie üben ihren Beruf aus, gründen Familien, bekommen Kinder, führen ihren normalen Haushalt. Doch sie hören stets eine innere Stimme, die ihnen sagt: „irgendwann mußt du hier alles abbrechen und in deine Heimat zurückkehren“.

Heimat? Das sind Erinnerungen an die Kindheit, an Jugendfreundschaften, an eine bestimmte Landschaft, an eine Welt, in der man sich so geben darf, wie man ist, in der man mühelos verstanden wird, in der man einfach zu Hause ist. Und mit jedem Jahr des Aufenthalts in der „Fremde“ werden diese Erinnerungen stärker idealisiert. Heimat bildet den imaginären Ausgleich für die häufig erlebten konkreten Ausgrenzungen und Diskriminierungen. Heimat wird zum Ziel aller unerfüllten Sehnsüchte, sie bildet eine Geborgenheit, in die man allerdings nur im Geiste flüchten kann.

Es ist unleugbar, daß die deutsche Ausländerpolitik viele der ehemals weltoffenen Auswanderer in nahezu verbohrte Nationalisten und fanatische Gläubige verwandelt hat. Untersuchungen weisen nach, daß viele der heute eifrigen Moscheegänger sich zuvor in ihrer Heimat kaum um religiöse Belange gekümmert haben. Für viele Ausländer stellt der Paß ihres Heimatlandes inzwischen ein Symbol ihrer Identität dar. Ohne diesen Paß würden sie sich völlig verloren fühlen. Nun kann man die vergangenen dreißig, vierzig Jahre nicht rückgängig machen und die psychischen und sozialen Fakten mit einem Federstrich aus der Welt schaffen. Nur Ignoranten können, wenn man für Ausländer die Gleichberechtigung mit Deutschen verlangt, sagen: „Sollen sie doch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen!“ Als wäre das jahrzehntelange „Ausländerdasein“ ein zerknülltes Blatt, das man in den Papierkorb werfen könnte. Man kann den Menschen nicht das Herz herausreißen, um das Hirn zu retten. Was sonst als die Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit könnte einen Ausweg aus der bisher fehlgeleiteten Ausländerpolitik bieten?

Doch vermutlich werden diese Argumente, die einen eher psychologisch-sozialen Hintergrund haben, bei den Verantwortlichen wenig Gehör finden. Diese Kreise sind eher für ökonomische Gründe zugänglich. Hierzu wäre zu erwähnen, daß der Verzicht auf die eigene Staatsbürgerschaft den Verzicht auf etwaige Erbschaft oder Güter, die man in der Heimat besitzt, zur Folge hätte. Schließlich sollte man nicht vergessen, daß in Anbetracht der sich in Deutschland verbreitenden Ausländerfeindlichkeit der Gedanke an eine unfreiwillige Rückkehr, die durch zunehmende Repression erzwungen wird, doch nicht so abwegig ist. Der Verzicht auf die eigene Staatsbürgerschaft würde diesen Ausweg gänzlich ausschließen. Ich möchte den Teufel nicht an die Wand malen. Aber angenommen, die Neonazis würden hier mehr an Boden gewinnen. Würden sie dann die eingebürgerten Ausländer schonen? Würden sie, bevor sie einen Schwarzafrikaner „aufklatschen“, ihn nach seiner Staatsangehörigkeit fragen?

Es ist mehr als fraglich, warum sich die meisten Politiker weigern, die doppelte Staatsbürgerschaft zu akzeptieren, obwohl diese Anerkennung vieles erleichtern und für Deutschland absolut keinen Nachteil bringen würde. Wenn nun die Staatsmacht keine Vernunft und Einsicht walten läßt, ist das Engagement der zivilen Gesellschaft gefordert. Die geplante Sammlung von einer Million Unterschriften könnte die Gesetzgeber zur Besinnung bringen und wäre ein hilfreicher Schritt in die notwendige Richtung. Bahman Nirumand