Henkerslohn: Eine Kanne Wein

■ Auch Scharfrichter galten im Mittelalter als Handwerker / Nur Multitalente durften am Richtblock tätig sein / Ausstellung "Berliner Handwerk von A bis Z"

Berlin. Die um ein biederes Image bemühten Handwerksvertreter von heute würden Bauklötze staunen, wer sich alles im späten Mittelalter an der Spree zu ihrer Zunft zählen durfte: der Bader, der Apotheker, der Musiker, der Jäger und sogar der Henker. Mehr als 60 Professionen, deren Vertreter sich um das Wohl und manchmal auch das Unwohl ihrer Berliner Mitbürger zu kümmern hatten, stehen im Mittelpunkt der neu gestalteten Ausstellung „Berliner Handwerk von A bis Z“ im Handwerksmuseum im Nikolaiviertel im Bezirk Mitte.

Mehr als 800 Exponate werden in den kleinen Räumen dieser Filiale des Märkischen Museums auf engstem Raum gezeigt. Da fällt dem Besucher in einer Glasvitrine das mächtige Beil des Henkers – etwa ein Meter lang – besonders ins Auge. Waltete der Scharfrichter seines Amtes, dann war sein Gesicht von einer schwarzen, schmiedeeisernen Maske verhüllt. An Arbeit für ihn mangelte es in vergangenen Jahrhunderten nicht, denn es gab stets eine Menge Delinquenten, die vom Leben zum Tode befördert werden sollten: Mörder, Diebe und andere Halunken, Teufelsgesellen und Ketzer, Ehebrecherinnen und vermeintliche Hexen.

Zu diesem Zweck mußte sich jede Stadt einen Henker leisten. Berlin hatte davon insgesamt 34, die heute noch namentlich bekannt sind. Der erste auf dieser Liste hieß Benedictus Barsch und amtierte 25 Jahre lang – von 1535 bis 1560. Der letzte war ein Nazi im „Tausendjährigen Reich“ namens Röttger. Auf sein Konto kommen auch die faschistischen Justizmorde in Plötzensee.

Manche dieser blutigen Vollzugsrichter hielten den Beruf nicht lange aus, wie zum Beispiel ein gewisser Christoph Stoff, der sich im Jahr 1714 nur ein paar Monate am Galgen betätigte. Herr Johann Daniel Brandt muß hingegen seine Tätigkeit sehr geliebt haben, denn er verdiente sich 39 Jahre lang (1769 bis 1808) Geld mit dem Unglück anderer und überlebte dabei sogar zwei Könige.

Überhaupt widmeten die Monarchen – wie jedem bedeutendem Handwerk – dem des Henkers besondere Aufmerksamkeit. Deutlich wird dies an einigen Edicten, die der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. in den Jahren nach seiner Amtseinführung (1713) erließ. 1727 zog er gegen die Eitelkeit von Scharfrichtern zu Felde und legte fest, daß diese und ihre Schinderknechte „in keiner andern, als dunckelgrauer Kleidung gehen, nicht weniger auch des Degen-Tragens sich enthalten“ sollten.

Der „Meister Hackebeil“, wie er auch im Volksmund genannt wurde, mußte ein Multitalent sein und alle aus dem Mittelalter übernommenen Arbeitsmethoden beherrschen: das Enthaupten mit dem Schwert, das Rädern, Verbrennen, Vierteilen, Lebendigbegraben, Erhängen und Ertränken. Hinzu kam die Folter, die er im Auftrag der Mächtigen auszuüben hatte. Häufig war er identisch mit dem Abdecker, denn er beseitigte auch gefallenes Vieh und fing tollwütige Hunde ein.

Es gab wohl auch kaum einen Handwerker, der soviel Publikum bei seiner Arbeit verbuchen konnte wie der „schwarze Angstmann“. Nicht selten sahen ihm Zehntausende Leute zu – wie zum Beispiel an der Richtstätte am heutigen Gartenplatz in Wedding. Außerhalb des offiziellen Programms wurde er aber wie ein Aussätziger behandelt: Keiner grüßte ihn, und in den Schenken mußte er sich solo an einen Tisch setzen. Jedes Glas, das er zum Munde führte, wurde hinterher vom Wirt zerbrochen. Damit sich Scharfrichter zu Hause hinreichend betrinken konnten, erhielten sie in Berlin nicht nur freie Wohnung und Holz zum Heizen, sondern für jede Halsabschneiderei als Extra-Vergütung eine Kanne Wein.

Die Ausstellung im Handwerksmuseum enthält neben dem Gruselkabinett auch viel Lehrreiches über traditionsreiche und nützliche Gewerke. Zum Beispiel wird dem Gast folgende noch heute gültige goldene Handwerkerregel mit auf den Weg gegeben: „Bäcker sind die besten Baumeister. Sie bauen aus kleinen Brötchen große Häuser“. ADN/taz

Die Ausstellung im Handwerksmuseum ist dienstags bis freitags von 9 bis 17 Uhr, samstags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.