"Entsetzen über die Verdrängungsleistung"

■ taz-Gespräch mit Marieluise Beck: über den Krieg gegen bosnische Frauen, den grünen Pazifismus, die Grenzen privater Hilfe und die Angst vor dem Kopftuch

: über den Krieg gegen bosnische Frauen, den grünen Pazifismus, die Grenzen privater Hilfe und die Angst vor dem Kopftuch

Marieluise Beck, früher für die Grünen im Bundestag, jetzt grüne Abgeordnete im Bremer Landesparlament, hat an der Frauenkonferenz in Zagreb teilgenommen und eine Bremer Initiative für humanitäre Hilfe in Bosnien und private Flüchtlings-Unterbringung gestartet.

taz: Die Organisation humanitärer Hilfe für Bosnien, auch die Debatte um militärische Intervention ist viel stärker ein Frauenthema, als das beim Golfkrieg je der Fall war: Gerade die Frauen wollen handeln, scheint es.

Marieluise Beck: Auf der

Zagreber Konferenz wurde das Thema der Intervention von den westlichen Frauen ausgeklammert, weil es die Konferenz in die Luft gejagt hätte — wie einen Dampfkessel! Aber die bosnischen und kroatischen Frauen haben dezidiert erklärt, daß alle Debatten um humanitäre Hilfe ehrenwert sind, aber

1nur Symptombekämpfung: Wir helfen nur den Menschen außerhalb des Ghettos.

Immer mehr Frauen realisieren, was wirklich passiert. Eva Quistorp, grüne Europa-Abgeordnete, hat jahrelang für „Frauen für den Frieden“ gearbeitet. Jetzt sagt sie: Notfalls muß diesem Völkermord auch mit gewaltsamen Mitteln ein Ende gesetzt werden. Und ich meine auch, zumindest die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten, zumindest in Schutzzonen, in denen die Bosnier vor Folter und Mord sicher sind, muß von der UNO durchgesetzt werden. Auch Lea Rosh fordert: Öffnung der Lager. Und das geht nicht mit weißen Bettüchern.

1Wir erfahren, unter welchen Bedingungen die Frauen sterben und leben müssen. Diese Kriegsführung gegen Frauen geht über den normalen Zynismus des Krieges weit hinaus.

Was sich die serbischen Tschetniks ausgedacht haben mit der systematischen Vergewaltigung der Frauen, die ihre Zerstörung bedeuten soll, mit der nachfolgenden Qual, die so gezeugten Kinder austragen zu müssen, das ist eine psychologische und körperliche Kriegsführung, wie am Reißbrett ausgedacht. Ich glaube, dafür gibt es keine historischen Beispiele. Es hat immer Vergewaltigung und Folter gegeben, aber so planmäßig eingesetzt, auch an Kindern, an kleinen Mädchen, die dann verblutet sind — diese grenzenlose Entfesselung von Unmenschlichkeit kann kaum noch aufgenommen werden im Kopf. Das hat sicher auch dazu geführt, daß viele europäische

1Frauen angefangen haben, das in ihren Kräften Stehende zu tun und echte Hilfe zu leisten.

Inzwischen sind etliche Frauen nach Kroatien geflüchtet, da gibt es inzwischen schätzungsweise 600 bis 1000 Geburten als Folgen dieser Vergewaltigungen. Aber was sich in den serbisch besetzten Zonen abspielt, wissen wir bis heute nicht. Es gibt Informationen, daß die großen Vergewaltigungs- und Internierungslager zunehmend aufgelöst werden, daß kleinere Lager eingerichtet werden, als Bordelle, Gasthäuser, die gar nicht mehr auffindbar sind. Schätzungen gehen von 20000 bis 50000 betroffenen Frauen aus.

Auch die Frauen, die sich vorläufig

1retten konnten, sind im kroatischen Flüchtlingslager elend dran.

Die Geflüchteten in den kroatischen Lagern sind ohne Geld, sie können keine Betäubung bezahlen für Abtreibungen, keine Naht nach Geburten. Sie kriegen minimale Rationen für sich und ihre Kinder. Eine Schweizer Ärztin baut im nichtbesetzten bosnischen Gebiet ein Zentrum für vergewaltigte Frauen auf. Sie sagt: Das einzige, was den Frauen helfen kann, ist eine Abtreibung. Für viele ist das schon zu spät. Eine nächste Aufgabe wird sein, Möglichkeiten für Adoptionen zu suchen für die Kinder dieser Frauen.

Sie haben nach der Frauenkonferenz in Zagreb eine Initiative in Bremen gestartet, damit bosnische Frauen aufgenommen werden, von Frauen, von Familien, privat. Sie haben an die BremerInnen appelliert, ein Souterrain, eine Dachstube freizumachen. Was ist dar-

1aus geworden?

Die Sozialbehörde und der Arbeiter-Samariter-Bund haben allerdings schlechte Erfahrungen mit solchen Versuchen gemacht, als damals die Cap Anamur vor der Tür stand. Da haben viele Menschen Hilfe angeboten — aber viele Angebote, von Männern, waren unseriös, andere so kompliziert an Bedingungen geknüpft, daß das nicht machbar war.

Das Hauptproblem: Eine private Einladung in die BRD bedeutet, eine Bürgschaft zu übernehmen für die Frau, den Mann, die Familie, die kommt, also persönlich zu garantieren für Wohnung, für den laufenden Lebensunterhalt — und für die Krankenversicherung. Inzwi-

1schen gibt es eine Empfehlung des Bundesinnenministers, daß die Länder davon absehen sollen. Ich wünsche mir in Bremen eine entsprechende Initiative des Senats.

Kritiker solcher einzelnen Rettungsaktionen sagen: Sie erfüllen genau die Ziele der serbischen Kriegs- und Vertreibungspolitik.

Man kann ja Menschen nicht zum Bollwerk gegen die aggressiven Vernichtungszüge der Serben machen, was sie de facto schon sind. Es gibt Flüchtlinge, die es einfach nicht mehr aushalten können und Ruhe und Schutz und Erholung brauchen. Das muß möglich gemacht werden.

In Zagreb haben mir Mitarbeiterinnen aus dem autonomen Frauenhaus eine Liste gegeben mit 150 Frauen, die einfach traumatisiert sind und es dort nicht mehr aushalten, die ganz schnell rausmüssen, die meisten mit Kindern. Ich hatte

1gehofft, daß die norddeutschen Länder diese 150 Menschen unbürokratisch unterbringen können, das läuft aber sehr schwerfällig. Absurd, wenn das kleine Kroatien, selbst fast in Kriegssituation, mit solchen Flüchtlings-Strömen fertig werden muß, und die westlichen Länder in ihrem Wohlstand meinen, eine Hilfe nicht zu schaffen. Deshalb auch der private Appell.

Mehrere Menschen ernähren und vor allem versichern zu müssen ist für die meisten hier nicht leistbar oder einfach abschreckend.

Patenschaften könnten sich zusammentun! Drei oder fünf Leute, die für ein Jahr die Existenz von Menschen sichern. Ich glaube, das Zurückschrecken vor solchen Initiativen kommt daher, daß die meisten verdrängen, was sich in Bosnien wirklich abspielt. Sicher ist solche private Hilfe ein Tropfen auf den heißen Stein, aber jedes einzelne Menschenleben, das Erleichterung erfährt, ist es doch wert!

Spenden zu sammeln ist etwas anderes, als Fremde in den eigenen vier Wänden aufzunehmen.

Ja. Gerade wir sind so auf Individualität gepolt, daß wir oft nicht mit dem eigenen Lebensgefährten in einem Raum wohnen, sondern in säuberlich getrennten. Mit Fremden die eigenen Räume zu teilen, da muß man Bedingungen schaffen. Getrennte Kochmöglichkeiten sind wichtig — das kann aber auch improvisiert in einem Flur sein! Vieles wäre möglich. Vielleicht könnten die alternativen Betriebe, die Handwerker haben, eine Spüle montieren und einen Herd? Ohne Distanz hält man Gastfreundschaft nur ein paar Wochen durch. Wir müssen aber wissen, daß es länger

1dauern kann.

Aber nicht ewig.

Nein. Die Menschen haben schreckliches Heimweh, es gibt bosnische Flüchtlinge, die sogar jetzt zurückwollen, mit dem Schuldgefühl, draußen zu sein und bloß die eigene Haut zu retten. Das kann genauso belasten wie im Ghetto zu sein. Außerdem wissen die Menschen: Wenn sie nicht zurückgehen, werden sie kein Land mehr haben. Das ist ja das einzige Kriegsziel der Serben: Land zu gewinnen, ohne die moslemischen Menschen.

Viele haben schlicht Angst vor dem Fremden, vor unbekannten moslemischen Sitten ...

Ja: Es gibt die Angst vor dem Kopftuch! — Ich habe kürzlich einen Film gesehen über eine bosnische Stadt, eingeleitet mit alten Video-Aufnahmen aus einer Disco, 1990. Das hat mich unglaublich angerührt, weil die Bilder eben auch aus einer Bremer Discothek hätten stammen können. Wir wissen zu wenig darüber, wie europäisch die Bosnier und auch die bosnischen Moslems sind, daß sie für eine ganz tolerante Form des Islam stehen, daß sie überhaupt keine fundamentalistische, sondern eine fast laxe religiöse Einstellung haben. Das rührt ja auch so sehr an: Diese Flüchtlinge sehen so aus wie du und ich, Frauen in Hosen, mit unseren Haarschnitten ...

In diesen Wochen gibt es in Bremen Gedenkveranstaltungen zum bewaffneten Aufstand im Warschauer Ghetto vor 50 Jahren ...

Gerade unsere Generation, unser politisches Umfeld nimmt für sich so sehr in Anspruch, sich mit dem 3. Reich auseinandergesetzt zu haben. Neben Gedenkstunden und Feiern und historischen Reflektionen muß man sich aber jetzt fragen, was es bedeutet, Zeitgenosse zu werden! Das ist sicher nicht in der Gänze vergleichbar, es gibt heute keine industriell angelegte Vernichtung eines Volkes, aber es gibt einen gezielten Genozid. Menschen werden in Lagern gehalten und vernichtet.

Ich bin entsetzt, mit welcher Verdrängungs-Leistung viele von uns dem Konflikt in Bosnien begegnet sind, das gilt auch für Teile der Linken, die für sich die historische Aufarbeitung der Greuel des 3. Reichs reklamiert. Oft steht vor der Frage, wie das Gemetzel zu beenden wäre, die: Was passiert mit meinem politischen Weltbild, mit meinem Pazifismus, mit meiner Haltung gegen den „US-Imperialismus“?

1Das ist doch die historische Frage: Hätte es irgendeine pazifistische Variante zur Verhinderung der Vernichtung der Menschen in den jüdischen Ghettos gegeben? Aber die Zeitrechnung der Friedensbewegung fängt leider erst 1945 an. Es ist ein politisches Versagen, daß wir so lange gezögert haben, unserer Regierung Druck zu machen, sich von dem Wegtauchen zu verabschieden: durch Störung der hochanfälligen Telekommunikation in Serbien, der Propagandamaschine, des Fernsehens, auch Embargo — wobei das übrigens auch die Bereitschaft voraussetzt, es notfalls auch mit Gewalt durchsetzen zu wollen.

Wie verantwortlich geht die politische Kultur der Grünen mit solchen Fragen um? Als es um Menschenrechtsforderungen im damaligen Ostblock ging, zum Beispiel in Polen, da war vielen die Friedensruhe, die „Stabilität“ wichtiger. Jetzt gibt es eine merkwürdige Art von Pazifismus mitten im Krieg. Würden Sie auf einen Außenminister Ihrer Partei, Trittin vielleicht, Hoffnungen setzen?

Herr Trittin würde vielleicht die Grenzen für Flüchtlinge öffnen, das wäre gut. Aber die brutale Erkenntnis ist doch, daß alle humanitären Aktionen dort enden, wo Menschen eingeschlossen sind — und niemand kommt ihnen zu Hilfe. Darauf müßte der Bundesaußenminister Tittin antworten können.

Er würde doch von den Grünen sofort unter Entrüstungsstürmen zurückgepfiffen. Aus Hamburg gibt es alle paar Stunden entgegengesetzte politische Erklärungen der verschiedenen grünen Lager zur Bosnien-Frage. In Bonn hat der Parteirat gestern die Frage vertagt. In Bremen gab es letzte Woche eine grüne Mitglieder-Versammlung, die darauf verzichtet hat, überhaupt abzustimmen — auch mit dem unschlagbaren Argument: Uns fehlen die Informationen ...

Ich frage mich andersrum: Würden die Grünen mobilisieren gegen die USA oder die UNO, wenn es jetzt ein Eingreifen gäbe? Würde sich jemand trauen, gegen solche Schritte zu mobilisieren? Hätten wir Grüne dagegen Demonstrationen organisiert, daß Hilfskonvois militärisch verteidigt würden? Ich nicht, ich würde das begrüßen. Sonst werden dort die Menschen ausgerottet, und wir schauen zu. Fragen: Susanne Paas

Spendenkonto: Arbeiter Samariter Bund, Stichwort „Frauen helfen Frauen“ — Bosnien; Konto 1186618, Sparkasse Bremen (BLZ 29050101)