„Behinderte werden totgemacht“

■ Im Hospital Lilienthal führen Eltern, Mitarbeiter und Kuratorium erbitterte Auseinandersetzungen

Eltern beklagen die schlechte Betreuung von BehindertenFoto: Katja Heddinga

Mit einem Memorandum hat der Elternbeirat des Behindertenbereichs im Hospital Lilienthal neuen Zündstoff in die Diskussion um die Betreuung der Behinderten im Hospital gebracht. In Lilienthal habe das „'Totmachen' von Behinderten bereits begonnen“, heißt es da, „auch das Umherstoßen von Menschen“ trage „zum Tode dieser Menschen bei“.

Die Situation im Behindertenbereich habe sich in den letzten vier Jahren gravierend verschlechtert, führte der Bremer Behindertenpädagoge Wolfgang Jantzen anläßlich einer Elternversammlung in Lilienthal aus: „Es gibt zunehmend bürokratische Eingriffe in pädagogische und therapeutische Prozesse. Und immer wenn Kritik kommt, werden diese Leute neutralisiert und mundtot gemacht.“

Die Fluktuation im Behindertenbereich sei seit Jahren so stark, daß die behinderten BewohnerInnen keine persönlichen Beziehungen zu den Betreuerinnen mehr aufbauen könnten, klagte Elternbeiratsvorsitzender Bernd Bockhorst schon vor Monaten: Das Personal sei überlastet, hinzu kämen Querelen zwischen der Leitung des Behindertenbereichs und den MitarbeiterInnen. Nach Angaben des Elternbeirates haben in den letzten dreieinhalb Jahren 180 von 230 qualifizierten MitarbeiterIn

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von den Behinderten an Tisch

nen gekündigt. Kuratoriumsvorsitzender Karl Manzke rechnet anders: „60 Prozent derer, die 1988 im Behindertenbereich gearbeitet haben, arbeiten jetzt noch da.“

Zwischen Hospital-Leitung und Elternbeirat herrscht tiefstes Mißtrauen: „Seit drei Jahren versuche ich als Mutter, mit der Leitung sachlich zu sprechen, und ich bin immer nur vertröstet, belogen und eingeseift worden“, klagt eine Mutter. Das Kuratorium hingegen kritisiert, der Elternbeirat, der laut Satzung an die Ziele des Trägers des Hospitals gebunden sei, arbeite nun gegen diese Ziele. Denn: „Eine Anstalt ist kein Ort zum Leben“, so steht es im Memorandum. „Eine Außenseiterposition“ lautete Manzkes Urteil über das von Jantzen mitkonzipierte Papier.

Die Lilienthaler SPD-Politikerin Karla Pfingsten, die die Geschehnisse im Hospital seit Jahren aus nächster Nähe beobachtet, konstatierte anläßlich der jüngsten Elternversammlung „ein totales Ab“. Es herrsche „eine furchtbare Ruhe“, doch „eigentlich müßte ganz Lilienthal schreien“. Daß einE MitarbeiterIn allein 15 Schwerstbehinderte zu betreuen habe, sei kein Einzelfall, berichteten MitarbeiterInnen. Und Behindertenpädagoge Wolfgang Jantzen ergänzte: „Die MitarbeiterInnen werden emotional ausgebeutet.“

„Wir haben den Eindruck, es wird zu wenig zielgerichtet gearbeitet“, befand Karl Manzke gegenüber der taz. Das direkte Gespräch zwischen MitarbeiterInnen und Kuratorium scheint schon lange nicht mehr möglich. Der niedersächsische grüne Abgeordnete Pico Jordan stellte bei einem Besuch im Herbst eine „beeindruckende Unfähigkeit zur Kommunikation“ im Lilienthaler Hospital fest.

Kuratoruim droht mit Schließung

Dabei hatten MitarbeiterInnen des Behindertenbereichs, Eltern und Kuratorium noch vor drei Jahren gemeinsam um bessere Bedingungen für die Behinderten gekämpft. 20 Stellen hatte der niedersächsische Sozialminister Walter Hiller dem Hospital schließlich auch zugesagt, unter der Bedingung, daß umstrukturiert werde. Ein vom Sozialministerium bestellter Gutachter hatte die Reglementierung und Entmündigung von MitarbeiterInnen durch die Heimleitung kritisiert. Und weil das gesamte Hospital, zu dem außerdem noch ein Krankenhaus und ein Altenpflegebereich gehört, dringend einer Umstrukturierung bedurfte, beauftragte das leitende Kuratorium eine sozialwirtschaftliche Unternehmensberatung, die BSU, ein neues Konzept auszuarbeiten.

Seit November ist die BSU im Hospital weisungsbefugt. Einige MitarbeiterInnen fühlen sich von ihr bereits übergangen: „Seit Monaten laufen wir hinter einem Termin mit der BSU her“, klagte ein Mitarbeitervertreter auf der Elternversammlung. In dem Memorandum werden „Versuche, auf die Presseberichterstattung reglementierend einzuwirken, Schuldzuweisungen an Mitarbeiter, die Eltern und Betreuer über die Dimension des therapeutischen Notstandes in diesem Bereich aufgeklärt zu haben“ und die „Beschimpfung der Eltern als 'hysterisch'“ kritisiert. Der Bremer Behindertenpädagoge Wolfgang Jantzen: „Die BSU hat keine Kompetenz in demokratischen Grundkenntnissen. Sie will die Bürokratisierung beibehalten.“

Kuratoriumsvorsteher Karl Manzke hingegen hat bei einer Mitarbeiterversammlung „Erleichterung gespürt, daß nun wieder geführt wird“. Es sei ja nicht verboten, Vorgaben zu machen, ergänzt sein Stellvertreter Gerhard Auf dem Brinke.

Das Kuratorium scheut die Öffentlichkeit, die Eltern setzen darauf, weil sie die Zustände ändern wollen. Für Elternversammlungen, zu denen auch die Presse eingeladen wurde, stellte das Kuratorium die Räume des Hospitals nicht mehr zur Verfügung. Das vom Elternbeirat vorgelegte Memorandum sei schädlich, urteilt Manzke: „Es schwächt unsere Position. Diese Sprache läßt dem anderen keine Chance, sie ist totmachend.“

Das Hospital habe einen Ruf zu verlieren: Die Belegung der Betten im Krankenbereich des Hospitals ist im vergangenen Jahr zurückgegangen. Gemeindedirektor und Kuratoriumsmitglied Detlef Stormer glaubt, die Gründe zu kennen: „Wenn man immer hört, da ist Knatsch ...“

„Sie haben den Bruch zu verschulden, wenn es dazu kommt“, warf Wolfgang Jantzen auf der Elternversammlung dem Kuratorium vor. Dessen Vorsitzender drohte im Gespräch mit der taz zurück: „Wenn es nicht gelingt, das Vertrauen innerhalb der Anstalt wiederherzustellen, müssen wir die Einrichtung aufgeben.“ Diemut Roether