Auch die Frauen standen auf den Barrikaden

Einhundertfünfzig Jahre lang war die Berliner Märzrevolution eine männliche Veranstaltung – welch wesentliche Rolle die Frauen beim Aufstand von 1848 innehatten, wird von der Geschichtsschreibung kaum gewürdigt  ■ Von Heinz Warnecke

Am 20. März 1848 berichtete die Berlinische Zeitung in einem Extrablatt, daß Frauen den Arbeitern und Kämpfern an den Barrikaden Lebensmittel zureichten, daß sie „Kaffee kochten und Brote schnitten“. Darüber hinaus nahmen sie an den Verteidigungsvorbereitungen gegenüber den herannahenden preußischen Soldaten teil: „Frauen und Töchter, selbst Damen von Adel und Frauen hoher Beamter schleppten in Körben und in den Schürzen Steine auf die Dächer und Kirchtürme und an ihre Fenster. ,Das Militär aus der Stadt‘, war der allgemeine Ruf.“ Gemeinsam mit den Männern forderten Frauen und Mädchen die schwerbewaffneten Soldaten auf, Schießbefehle nicht zu befolgen, entwaffneten einzelne und überwältigten aufgestellte Wachen. Als die Soldaten unter dem Einsatz von Kanonen und Gewehren gegen die mehreren hundert Barrikaden anstürmten, leisteten Frauen und Mädchen auf Straßen und Plätzen den Verteidigern der Barrikaden bei Verwundungen Erste Hilfe und setzten nicht selten ihr Leben ein, um vor der Übermacht zurückweichenden Kämpfern beizustehen. Alle Aktionen der Unterstützung und Hilfe beantworteten die preußischen Offiziere und Soldaten mit brutaler Gewaltanwendung, „indem alles niedergeschossen und -gestochen wurde, was sich zum Widerstand bereit zeigte“ – wie Graf Lüttichau, einer der kommandierenden Offiziere, in seinen Erinnerungen eingesteht. Die bereits genannte Berlinische Zeitung bestätigt in ihrem Bericht, daß von Offizieren und Soldaten des öfteren „wehrlose Männer erschossen und nicht Weib nicht Kind geschont“ wurden. Insgesamt zehn Frauen und Mädchen, von denen wenig mehr als der Name, der Beruf und die Wohnung bekannt sind, mußten am 18.und 19. März 1848 in Berlin ihr Leben lassen. Eine der jungen Frauen wurde mit dem Säugling an der Brust Opfer der Revolutionsereignisse.

Berlinerinnen im Vormärz

Die einmütige Haltung der 1848er Berlinerinnen kündigte sich in den Jahren des Vormärzes durch eine Veränderung des Denkens und Fühlens der Frauen- und Mädchengeneration an. Ein Kennzeichen dafür ist, daß schriftstellernde Berlinerinnen eine immer größer werdende Leserinnengemeinde fanden. Beispielsweise war Bettina von Arnim durch ihren Briefwechsel mit Goethe und damit verknüpfte schriftstellerische Erfolge weit über Berlin hinaus bekannt geworden. Im Jahr 1843 ergreift sie mit einem Buch mutig für die Ideen der Freiheit und Menschenwürde Partei. Ihrem freimütigen Monolog der Hauptperson, „Frau Rath“, schließt sie den aufsehenerregenden Bericht eines schweizerischen Zeitgenossen an. Dieser schildert – buchstäblich unter Angabe von Namen und Hausnummer – die Notlage, Hunger, Krankheit, Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt Wohnungsnot im Berliner Elendsviertel „Vogtland“. Bettina von Arnim scheut sich nicht, die an damaligen Zeitungsschreibern geäußerte Kritik zu publizieren, sie würden zwar über die Notlage der Familien berichten, aber sonst nichts weiter tun. Mit dem Titel „Dies Buch gehört dem König“ wendet sich die Autorin sowohl an den Hauptverantwortlichen als auch an die gesamte Öffentlichkeit. Der Dichter des Vormärzes, Georg Herwegh, drückt in einem Gedicht unter der Überschrift „Auch dies gehört dem König“ berechtigte Zweifel an dem Willen und der Fähigkeit des Königs zu Reformen aus:

Herweghs „Gedichte einer Lebendigen“ waren einer großen Zahl von Berlinerinnen bekannt. Es erregte erhebliches Aufsehen, als er Emma Siegmund, eine stadtbekannte Seidenwarenverkäuferin, heiratete. Die Frauen und Mädchen Berlins verfolgten ihren Lebensweg mit Aufmerksamkeit und Sympathie.

Mit Zensur und Verbot gegen demokratische Gedanken

Vor allem an Mädchen und Frauen wendet sich in den Jahren des Vormärzes die schriftstellernde Berlinerin Klara Mundt. Bereits in ihrem ersten der mehreren hundert Romane und Erzählungen „Erste und letzte Liebe“, 1838, schildert sie, wie Angehörige der sozialen Oberschicht absichtsvoll Sünden und Verbrechen begehen, und trägt damit zur Desillusionierung des Denkens und Fühlens der Frauen- und Mädchengeneration bei. Die preußischen Behörden reagierten auf einzelne Veröffentlichungen wie zum Beispiel „Hofgeschichte“ (1847) mit Zensur und Verbot. Die Autorin beschrieb zwar das Leben und Wirken des Beichtvaters Ludwig XIV. von Frankreich als Höfling, Diplomaten, Henker und Wollüstling, doch lagen Vergleiche mit dem Hofleben, Höflingen, Diplomaten und hohen Beamten in Preußen und der Hauptstadt Berlin sehr nahe. Ihre zahlreichen Romane und Erzählungen erreichten im Vormärz vor allem auch durch Leihbüchereien eine große Zahl von Frauen und Mädchen.

Besondere Aufmerksamkeit richteten die Behörden auf die 1846 in Berlin wohnhafte, zweimal geschiedene und schriftstellernde Louise Aston, geb. Hoche. Sie sprach sich in ihrer Sammlung von zwölf Gedichten („Wilde Rosen“) unumwunden für die Gleichheit der Rechte beider Geschlechter aus:

Die Ehe in ihrer Zeit kennzeichnete sie – auch aus persönlicher bitterer Erfahrung – als „Wegwerfen der eigenen Persönlichkeit“ und „Seelenhandel“. In ihrem Buch „Meine Emanzipation“, 1846 in Brüssel gedruckt, verlangt sie für alle Frauen und Mädchen das Recht freier Entwicklung und Menschenwürde.

Anspruch auf eigene Entwicklung

Mehr noch, sie versucht diesen Anspruch auf freie Entwicklung, freies Leben und Lieben in ihrer Wahlheimat Berlin in die Tat umzusetzen. Sie schockiert ihre Zeitgenossen beispielsweise durch Männerkleidung und Rauchen auf der Straße. Obwohl sie in ihrer ganzen Erscheinung als elegante Frau, blondgelockt und mit Augen, „aus denen viel Geist und Gefühl sprechen“, geschildert wird, verweisen die preußischen Behörden sie „wegen Ansichten, welche für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien, wegen frivolen und außergewöhnlichen Benehmens“ 1846 aus der Stadt. Diese Reaktion ist ein Indiz dafür, daß sich Denken und Fühlen der Frauengeneration zu verändern begonnen haben, daß Ideen der Freiheit und Gleichheit in diesem Denken und Fühlen einen bestimmten Platz hatten. Zumindest im letzten Jahr vor der Märzrevolution trifft die Einschätzung der Zeitschrift Charivari zu, daß „die schriftstellernden Damen jetzt so gefährlich als übermütig werden“ und ihre Wirkung hoch einzuschätzen ist.

Betroffenheit und Beunruhigung löste die Nachricht aus, daß im Juni 1944 vom preußischen Militär ein Aufstand der schlesischen Weber blutig niedergeschlagen wurde. Unter den Webern waren elf Tote, darunter Frauen und Kinder, zu beklagen. Von den 150 Verhafteten erhielten 87 je eine Strafe bis zu neun Jahren Haft und 20 bis 30 Peitschenhiebe. Die Folge dieser barbarischen Bestrafung von Frauen und Männern ist nicht, wie von den Herrschenden erhofft, Resignation und Furcht. Im August dieses Jahres finden in Berliner Kattunfabriken Streiks und Demonstrationen für Lohnerhöhungen statt, die erst durch Militäreinsatz und Verhaftungen beendet werden können. Verbitterung über Unrecht und Willkür des preußischen Königs veranlassen den Bürgermeister von Storkow, Tschech, am 26. Juli 1844 zu einem Attentat auf diesen, um den Anstoß zu einer Wende zu geben. Das Attentat mißlang, ebenso aber auch der Versuch der Herrschenden, dem Attentäter niedrige Motive zu unterstellen und ihn in der Öffentlichkeit herabzusetzen. Seine Tochter Elisabeth stellt sich mit den Worten „Wir haben viele Freunde, für deine Sache geschieht etwas“ an die Seite des zum Tode Verurteilten. Mit ihrer Flucht aus dem Hausarrest und der Beschreibung des Lebens und Sterbens ihres Vaters beweist sie sich vor der Öffentlichkeit als Tochter eines Freiheitskämpfers.

Frauenaktion: Kartoffelkrieg

Ein Jahr vor der Märzrevolution, im April 1847, machen Berliner Frauen durch eine Aktion der Empörung auf sich aufmerksam, die als Kartoffelkrieg in die Stadtchronik eingegangen ist. Als Mitte April des Jahres die Kartoffelpreise auf den Berliner Märkten sprunghaft steigen und die verzweifelten Berlinerinnen von Verkäufern und Marktpolizei obendrein verspottet werden, läuft das ohnehin volle Maß über. Frauen und Männer stürzen sich auf die Marktstände, schlitzen die Kartoffelsäcke auf und bemächtigen sich des dringend benötigten Lebensmittels. Rasch breitet sich diese Aktion auf alle Straßen und Plätze aus. Erst nach drei Tagen gelingt es den Behörden unter Mobilisierung der gesamten Garnison – die Artillerie noch ausgenommen –, weitere Demonstrationen und Aktionen der Selbsthilfe zu unterbinden. Es werden 107 TeilnehmerInnen am Kartoffelkrieg verhaftet, darunter 17 Frauen. Sie werden zu schwerem Gefängnis und Zuchthausstrafen verurteilt. Verließen Frauen und Mädchen im Frühjahr 1847 Straßen und Plätze noch fluchtartig, wenn Formationen preußischer Soldaten auftauchten, so stellten sie sich im März 1848 gemeinsam mit den beinahe unbewaffneten Barrikadenkämpfern diesen entgegen. Es war nicht nur einzelne, es war eine große Anzahl junger Frauen, die bereit und entschlossen waren, die Wende des politischen und sozialen Lebens mit herbeizuführen und ein Leben in Freiheit und Menschenwürde zu erreichen.

Erster politischer Frauenklub

Berliner Frauen und Mädchen hatten sich bereits vor der Märzrevolution an Veranstaltungen zur politischen und sozialen Bildung beteiligt, darunter an den allabendlichen Bildungsveranstaltungen des Handwerkervereins. Einen ersten Schritt zur Vereinigung politisch interessierter Frauen leitete die als Schriftstellerin Louise Mühlbach bekannte Klara Mundt ein. Sie forderte die Berlinerinnen am 20.3. 1848 auf, sich zur Unterstützung der Witwen und Waisen der Revolutionsopfer zusammenzuschließen. Der Aufruf zur Geldsammlung für die Hinterbliebenen der Märzgefallenen fand großen Widerhall. Unmittelbar nach der Märzrevolution kehrte die Schriftstellerin Louise Aston nach Berlin zurück und schloß sich – wie die Biografin Anna Blos mitteilt – „nun offen der Demokratie an“. Nach Teilnahme an den Kämpfen der Berliner Freischar in Schleswig-Holstein als Sanitäterin gab sie die polemisch gehaltene Zeitschrift Der Freischärler für Kunst und soziales Leben heraus. Sie nahm unter anderem auch kritisch gegen nicht dem Ernst der Zeit entsprechende Vorstellungen von Lucie Lenz zur Emanzipation der Frau Stellung.

Durch neuere Untersuchungsergebnisse, darunter von Peter Kuhlbrodt, Leipzig 1989, sind neue Tatsachen über Lucie Lenz, Teilnehmerin am Berliner Barrikadenkampf und Mitbegründerin der Emanzipationsbewegung der Frauen und Mädchen, bekannt geworden. Sie gehört zu den Berlinerinnen, die sich der größten Vereinigung Berliner Demokraten näher anschloß. Auf zeitgenössischen Abbildungen ist zu sehen, daß Frauen an Versammlungen des anfänglich politisch, später demokratisch genannten Klubs nur von der Empore des Saales zusehen und zuhören durften. Erstmals wandte sich Lucie Lenz am 30. April 1848 an die Berliner Frauen. Gemeinsam mit anderen Frauen suchte sie am 3. Juni desselben Jahres die Leitung des demokratischen Klubs auf. Die Frauen baten, dem Klub eine gestickte Freiheitsfahne überreichen und mit dem Klub an der geplanten Gedenkveranstaltung für die Märzgefallenen teilnehmen zu dürfen. Die dunkelrote, schwarzrotgold verzierte Seidenfahne trug die Inschrift „18. und 19. März 1848“ und „Demokratischer Klub“. Lucie Lenz überreichte diese Fahne am 4. Juni mit den verpflichtenden Worten an die Leitung des Klubs: „stets die reine Demokratie, das Interesse und die Freiheit des gesamten Volkes zu vertreten“. Der Sprecher des Demokratischen Klubs, P. Börner, griff die Worte von Lucie Lenz auf, „fortzukämpfen mit den Waffen des Geistes und, wenn es not tut, mit dem Schwert in der Hand“, als er sich an Zehntausende BerlinerInnen wandte.

Hetze gegen demokratische Frauen

Lucie Lenz wirkte in Frauenvereinigungen, die sich das Ziel setzten, die soziale Not durch Lebensmittelspenden lindern zu helfen. Sie versuchte, Frauen zur demokratischen Ausbildung zusammenzuführen, und entwickelte – wenn auch kritikwürdige – Vorstellungen über Frauenemanzipation. Erst der Ausnahmezustand, der im Herbst über Berlin verhängt wurde, brachte die Anfänge politischer Vereinigung von Frauen in Berlin zum Erliegen.

Einem Resümee der Aktionen und Opfer der 1848er Berlinerinnen ist voranzustellen, daß engagierte Frauen vor und nach den Revolutionsereignissen zahlreiche Widerstände unterschiedlichster Art zu überwinden hatten. Die genannten Wortführerinnen stießen sowohl auf jahrhundertealte Vorurteile als auch auf neue, unerwartete Hindernisse. Beispielsweise zeichneten Karikaturisten die nach Emanzipation strebenden Frauen als biertrinkende, rauchende, mit ihrem Strickzeug und belanglosem Geschwätz Beschäftigte. Bereits im Juni 1848 wurde der „Politische Frauenklub“ durch ein Lustspiel des Schöneberger Volkstheaters Anlaß zum Gespött. Besonders folgenschwer war der Versuch, Frauen, die sich politisch engagiert hatten, als Polizeispitzel zu bezichtigen, wie zum Beispiel Mitte September 1848 Lucie Lenz, die stadtbekannte Demokratin. Verhindern konnten aber alle Vorurteile, Hindernisse, politische Verfolgung und Bespitzelung nicht, daß in der Generation der 1848er Berlinerinnen in der Zeit vor, während und in den ersten Monaten nach der Märzrevolution ein neues, tiefer begründetes Bewußtsein vom Anspruch auf gleiche Rechte und Freiheiten entstand.

Die Bürgerinitiative „Aktion 18.März“ wird in diesem Jahr besonders der Frauen der 48er Revolution gedenken.

Das Schiff mit seinen ungeschickten Leitern,

Mit Dir und Deinem unglücksel'gen Thron

Ich sehe vor Abend an der Klippe scheitern“

Wenn den unterdrückten Knechten

Erst der Freiheit Sonne scheint

Wird das Weib mit gleichen Rechten

– Einst dem freien Mann vereint.