Lauter Erste Geigen

■ Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen vor dem Abflug in die nächste Saison / Ovationen an das Bremer Publikum

Wo plaudert man mal eine ruhige Stunde mit der Deutschen Kammerphilharmonie, die seit September das „Bremen“ im Namen führt? Erraten: im Flughafen-Restaurant, vor Abflug, gestern in Richtung alte Heimat Frankfurt/Main, geigenkastenumstellt. Denn dieses bemerkenswerte Orchester (selbstverwaltet, dirigentenlos, nur freiwillig und auf Zeit SolistInnen, 'Coaches' oder Gast-Dirigenten unterworfen) spielt nach wie vor mehr als 70 Prozent seines Einkommens auf Konzertreisen ein; von den 50 oder 60 Konzerten im Jahr wird es 1993 gut 10 in Bremen geben. Der Laden läuft: 400 verkaufte Abonnement-Karten für 1993, so weit hatte man es in Frankfurt nie gebracht. Mehr als die Hälfte der MusikerInnen sind inzwischen nach Bremen übergesiedelt und wohnen direkt in der Stadt oder auf dem Lande umzu. Ziemlich ehrlich klingen die Ovationen an das Bremer Publikum, nach der ersten Spielphase: „altersgemischt, sachverständig, begeisterungsfähig, auffällig gut“, findet Violinist Jörg Assmann, „eben auffällig nicht so wie das Abo-Pblikum sonst!“ Ach, und was hat Bremen überhaupt, und im Vergleich zu Frankfurt erst recht: „Luft! Wasser!“

Die naheliegende wie ungewöhnliche Idee, mit dem Konzert-Publikum nach der Aufführung über das Konzert zu diskutieren, wie man das sonst höchsten in guten Fällen vom Theater kennt, fing in der Glocke in der letzten Saison gut an und soll weitergehen — aber möglichst an einem Ort mit mehr Muße und Wein. Die KammerphilharmonikerInnen — sie tun, was sie versprochen haben, und öffnen sich dem Publikum, auch für neue Spielorte, für die Zusammenarbeit mit anderen KünstlerInnen auch anderer Sparten. Auftritte sind anvisiert für den Schlachthof, sonst rockumbraust, diesmal kammermusikalisch betont, auch mit der Galerie Rabus, womöglich mit dem Kito. Die MusikerInnen wollen keinen geheimen Mythos pflegen, sondern ihre Arbeitsweisen weitergeben und öffentlich erarbeiten.

Daß die Bremer Musikhochschule sich demnächst mit den Schwerpunkten Alter und Neuer Musik profilieren soll und will, finden die Kammerphilharmoniker „eine Riesen-Chance“. Wenn diese beiden Klangvorstellungen und Interpretations- Ideale miteinander und gegeneinander Bezug haben, „könnte Bremen eine Vorreiterrolle bekommen bundesweit“, findet Jörg Assmann. Diese Begeisterung ist nicht zufällig: „Alte Musik war auch mal Neue Musik!“, sagt Oboist Rodrigo Blumenstock; „und wir versuchen, das so zu spielen!“ Das heißt: Natürlich kann man nicht nur Avantgarde bringen, sicher gibt es „das klassische Sandwich-Programm mit zwei traditionellen Stücken und einem zeitgenössischen oder modernen dazwischen“. Aber wie!

Das Programmheft für das erste Abonnements-Konzert am Mittwoch (s. Kasten rechts) spricht von „Klang lichten“, „Artikulation schärfen“: Wie geht sowas? „Weniger romantisierend, ausladend, breit, weniger Vibrato, das einen brausenden Gesamtklang, einen Schmelz erzeugt; dagegen mehr so, daß die einzelnen Stimmen zu erkennen sind, ihre Gewicht, manchmal ihre Hierarchie“, beschreibt Blumenstock, „Durchhörbarkeit“, „Transparenz“.

Am Mittwoch gibt es zwei alte Stücke und ein zeitgenössisches. „Da kann man bei Haydn und Mendelssohn sehen, wie verschiedene Charaktere Stücke derselben Tonart haben können“, sagt Bratschist Jürgen Winkler, „bei dem Mendelssohn versuchen wir, sein unglaubliches Tmpo einzuhalten — wir sind hart dran!“ Und Solist Zehetmair — er spielt den Martin „so ungeigerisch, so suggestiv, der stammelt, haucht auf der Geige - das würde sich niemand trauen!“ S.P.