Hessens Wähler zwingen SPD zur Nabelschau

■ Nach der erdbebenartigen Schlappe bei den Kommunalwahlen in Hessen fordern die lokalen SPD-Politiker ihre Spitzen in Bonn auf, ein deutlicheres Profil zu entwickeln.

Hessens Wähler zwingen SPD zur Nabelschau

Die „strategische Zwittersituation“ der Sozialdemokraten in Bonn, ihr „hamletsches Verharren zwischen allen Stühlen“, die „weder-Fisch-noch-Fleisch-Rolle beim Handling politischer Grundsatzfragen – all das hätten die hessischen WählerInnen der alten Tante SPD am Sonntag in Rechnung gestellt. Wort- und gestenreich und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch kommentierte der hessische Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) am Tag danach das Wahldebakel für die SPD. Der Kanzler sei in einem Ausmaß am Ende, wie man das in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht erlebt habe, analysierte Fischer. Doch die SPD habe es nicht geschaft, sich als glaubwürdige Alternative zu präsentieren. Falls das Wechselspiel zwischen den „noch großen“ Parteien, zwischen Regierung und Opposition, auf Dauer nicht mehr funktionieren sollte, so Fischer warnend, könne aus der latenten Politikkrise schnell eine Krise für die parlamentarische Demokratie werden. Die SPD habe sich endlich zu entscheiden: „Entweder mitregieren oder opponieren in Bonn – beides zusammen geht nicht!“

Für Fischer waren diese Kommunalwahlen mit dem Einzug der rechtsradikalen „Republikaner“ in diverse Kreistage und Stadt- und Gemeinderäte des Landes ein „mittleres Erdbeben“. Hessens Umweltminister warf vor allem der CDU vor, mit der „unsäglichen Asyldebatte“ und mit „unerträglichen Einlassungen“ – wie etwa der von der „durchrassten Gesellschaft“ (Stoiber) oder der von den „SPD-Asylanten“ (Rühe) – den Boden für den Einzug der Rechten in die Parlamente bereitet zu haben. Fischer: „Man kann die Rechtsradikalen nicht kleinmachen, indem man ihnen hinterherläuft, sondern indem man knallhart dagegenhält.“ Die Grünen, so Fischer, seien vor den Rechten nie in die Knie gegangen, sondern auf Konfrontationskurs: „Und das hat sich für uns auch wahlarithmetisch ausgezahlt.“ Wie Fischer forderte auch Landtags-Fraktionschef Rupert von Plottnitz die „offensive politische Auseiandersetzung“ mit den Rechten. Alle demokratischen Parteien seien aufgefordert, ihr soziales Profil zu schärfen.

Das sah der hessische Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzende Hans Eichel ähnlich. Die SPD müsse jetzt mit sich ins Gericht gehen und der Garant für das ökonomische und soziale Überleben des unteren und des mittleren Drittels der Gesellschaft werden, sagte Eichel. Auch der Ministerpräsident fordert von den Parteifreunden in Bonn eine „für den Bürger erkennbare“ politische Linie: „Man kann nicht zugleich Regierung und Opposition sein.“

Am Beispiel der Solidarpaktdebatte versuchte Eichel dann vor der Landespressekonferenz seinen Genossen in der Bonner Baracke in den Sattel zu helfen. Eichel: „Entweder ist der Solidarpakt tatsächlich in allen Punkten solidarisch – dann tragen wir ihn mit. Ist er es nicht – dann darf die SPD nicht mitmachen.“

Wie Fischer setzt auch Eichel auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den „Republikanern“, die dabei seien, sich fest im Parteienspektrum zu etablieren. Eichel: „Die Gesellschaft ist nach rechts gerückt.“ In diesem Zusammenhang sei es die Aufgabe der SPD, die soziale Frage wieder „mit allen Konsequenzen“ in den Mittelpunkt zu stellen. Vor allem in den Arbeitervierteln der Großstädte hätten die „Reps“ nämlich überproportional viele Stimmen bekommen – „und die SPD hat überproportional viele Stimmen verloren“.

Das alles war gestern für den stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Volker Bouffier kein Thema. Dem Unionspolitiker ging es nach der Wahl, bei der sich die CDU habe „behaupten“ können (31,8 Prozent), bereits wieder um die Verteilung der Pfründe. Dort wo SPD und Grüne ihre Mehrheiten verloren hätten, so Bouffier, sollten die Bürgermeister und Landräte freiwillig ihre Sessel räumen und Platz für die christdemokratischen Kandidaten machen.

Das gelte auch für Frankfurt, so Bouffier, weil die CDU dort stärkste Fraktion geworden ist. Bouffier freute sich, daß sich der Wahlkampf der SPD mit bundespolitischen Themen nicht ausgezahlt habe. Die „Neidkampagne“ der SPD sei ein Schlag ins Wasser gewesen. Bouffier räumte ein, daß beide großen Parteien bei dieser Kommunalwahl einen „Denkzettel“ erhalten hätten. „Aber das war vor allem ein Denkzettel für die SPD.“ Auf Nachfrage erteilte der CDU-Mann einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit der CDU mit den „Reps“ eine klare Absage.

Die Rechtsradikalen, so Bouffiers Analyse, seien nur deshalb gewählt worden, weil es Menschen gebe, die Angst um ihre sozialen Besitzstände hätten. Und das liege vor allem daran, daß die BürgerInnen „die Bundespolitik in vielen Teilen nicht mehr verstehen“. Sein Fazit: „Unsere Politik stimmt, und in der Sache gibt es keine Probleme. Aber das Handwerkszeug ist verbesserungswürdig.“

Für den hessischen Landesvorsitzenden der FDP, Wolfgang Gerhardt, haben sich auch die Liberalen in Hessen „behauptet“, auch wenn die FDP den angepeilten Einzug in den Frankfurter Römer wieder nicht geschafft hat. Die Gewinne für die „Reps“ dämpfen aber auch bei Gerhardt die Freude über das „achtbare Resultat“. Eine „Stimmungswahl zur Verfassung von Politik in der Bundesrepublik überhaupt“ seien diese Kommunalwahlen gewesen. Das Ergebnis zwinge alle demokratischen Parteien zum „Konsequenzenziehen“. Die SPD, so Gerhardt, habe dabei „am meisten Grund, nachzudenken“. K-P. Klingelschmitt, Wiesbaden